Süddeutsche Zeitung

Zeitgeschichte:"Diese Quälerei konnte er nicht mit ansehen"

Der Prittlbacher Gemeindediener Hans Köchl half unter Lebensgefahr KZ-Häftlingen. 47 Jahre nach seinem Tod benennt Hebertshausen das Dorfgemeinschaftshaus nach ihm.

Von Petra Schafflik, Hebertshausen

Sein Wirken war schon fast in Vergessenheit geraten, doch nun ehrt die Gemeinde Hebertshausen ihren Bürger Hans Köchl, der als Prittlbacher Ortsdiener im Nationalsozialismus den Priestern im Konzentrationslager Dachau beigestanden und dabei sein Leben riskiert hat. Der mutige, selbstlose Einsatz des bereits 1972 im Alter von 79 Jahren verstorbenen Köchl könne heute Vorbild sein, betonten die Gemeinderäte in der Sitzung am Dienstagabend.

Bei der Frage, welche Würdigung angemessen ist, waren sich die Kommunalpolitiker rasch einig: Das neue Dorfgemeinschaftshaus in Prittlbach, das gerade geplant wird und bald stehen soll, wird nach Hans Köchl benannt.

Das Dorfgemeinschaftshaus in Prittlbach wird nach Hans Köchl benannt

Das Gebäude ist konzipiert als Treffpunkt für Vereine, Gruppen und Ehrenamtliche. "Der soziale Charakter des Hauses passt zu Hans Köchl, der durch und durch ein sozialer Mensch war", sagte CSU-Fraktionssprecher Johann Böswirth. Zusätzlich soll Köchl posthum die Ehrenbürgerwürde verliehen werden. Diese Auszeichnungen wollen die Kommunalpolitiker auch als ein Signal an die Gesellschaft verstanden wissen - gegen den aufsteigenden Rechtspopulismus und Extremismus. Hans Köchl selbst, der im November 1891 geboren wurde, wäre diese Würdigung vermutlich eher zu viel Aufmerksamkeit gewesen, sagt sein Ziehsohn Norbert Hechtl, der mit Enkel Roland die Sitzung verfolgte. "Er war ein durch und durch bescheidener Mann." Doch ihn selbst, so Hechtl, freue die Ehrung "riesig".

Der Anstoß zur Würdigung Hans Köchls kam von den Heimatforschern Angelika Eisenmann und Thomas Schlichenmayer. Bei den Recherchen für ein Projekt der Geschichtswerkstatt sind die Hobbyhistoriker zufällig auf den Prittlbacher Ortsdiener in der NS-Zeit aufmerksam geworden. "Eine bemerkenswerte Person", betonte Schlichenmayer im Gemeinderat. Denn als Gemeindediener habe Köchl Zugang gehabt zur sogenannten Plantage östlich der Alten Römerstraße außerhalb des Konzentrationslagers. Dort waren neben jüdischen Häftlingen vor allem Priester zu mörderischer Zwangsarbeit eingeteilt. "Diese Quälerei konnte Köchl nicht mit ansehen, er wollte helfen."

Hans Köchl schmuggelte unter Lebensgefahr Pakete aus der sogenannten Plantage

1938 hatten KZ-Häftlinge die große Kräutergartenanlage errichten müssen. An dem Anbau hatte Heinrich Himmler ein besonderes Interesse. Deutschland sollte von der Einfuhr ausländischer Medikamente und Gewürze unabhängig werden. Während des Krieges wuchs die ökonomische Bedeutung der Häftlingsarbeit im Kräutergarten. Mit Drohungen und Schlägen trieben SS-Männer die Häftlinge zur Arbeit auf dem großen Freigelände an, willkürlich wurden viele "auf der Flucht erschossen" oder zu Tode gequält. Die SS hatte auch einen Laden eingerichtet, der Produkte der "Plantage" an die Bewohner aus Dachau und den Nachbargemeinden verkaufte.

Hans Köchl wollte und konnte sich vom Elend der Häftlinge nicht abwenden. Also schmuggelte er Pakete, Briefe und Lebensmittel aus und in die sogenannte Plantage. Er war sich wohl bewusst, dass ihm diese Hilfe das Leben kosten konnte. Gesprochen habe er über sein Tun daher mit niemanden, sagt Norbert Hechtl, damals nicht, aber auch nach dem Krieg nicht. Doch, wie sich der Pflegesohn Norbert heute noch erinnert, wurde Hans Köchl in der Nachkriegszeit mehrfach von französischen Priestern besucht, die das KZ überlebt hatten. Vermutlich auf deren Initiative hin wurde Hans Köchl im Jahr 1971 mit dem Ritterkreuz des päpstlichen Silvesterordens ausgezeichnet.

Jetzt liegt das rote Kästchen mit dem Orden auf der Zuschauerbank im Sitzungssaal des Rathauses. Norbert Hechtl hat es mitgebracht. Schon diese Ehrung sei dem bescheidenen Köchl damals eigentlich zu viel gewesen, erinnert sich Hechtl. Und nun noch die Ehrung der Heimatgemeinde. Geschichtsforscher Schlichenmayer vermutet, dass Köchl angesichts des öffentlichen Interesses an seiner Person vermutlich "sauer" geworden wäre. Doch er findet es wichtig, dass dieser außergewöhnliche Bürger und seine Taten nicht in Vergessenheit geraten. Bei den Gemeinderäten rannten die Hobbyhistoriker mit ihrem Wunsch nach einer Würdigung offene Türen ein.

Köchl war nicht der Einzige: Maria Seidenberger aus Hebertshausen hatte als 17-Jährige Nachrichten, Briefe und Fotografien aus dem KZ an Angehörige von Häftlingen weitergeleitet. Der Überlebende Karel Kašák, ein tschechischer Journalist und Maler, erwähnte Seidenberger in seinem Werk. Sie versteckte all seine Schriftstücke in einem der Bienenstöcke ihrer Eltern. 2005 wurde Maria Seidenberger mit dem ersten Zivilcourage-Preis der Stadt Dachau geehrt. Sie verstarb 2011.

"Gerade in Zeiten des aufkommenden Populismus und Nationalismus braucht es Vorbilder gelebter Solidarität und Menschlichkeit. So ein Vorbild kann Hans Köchl sein", betont SPD-Fraktionssprecherin Marianne Klaffki. Die Ehrenbürgerwürde posthum hielt Bürgermeister Richard Reischl (CSU) für wenig geeignet. "Weil so eine Urkunde schnell in Vergessenheit gerät, aber Köchl uns ein Vorbild sein soll, über das man spricht." Die Benennung einer Straße nach seinem Namen in Prittlbach würde zu lange dauern. Also wird das neue Dorfgemeinschaftshaus nach Hans Köchl benannt. "Ein Signal nach außen", betonte Martin Gasteiger (FW). Auf Anregung von Stefan Ruhsam (CSU) soll Köchl zusätzlich posthum die Ehrenbürgerwürde verliehen werden. Das entschied der Gemeinderat einstimmig. Diese Ehrungen für den bescheidenen Vater, damit hat Norbert Hechtl nicht gerechnet. Zu Hause sind ihm erst einmal die Tränen gekommen, sagt er und fügt hinzu: "Über diese Entscheidung freue ich mich unbändig."

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SZ vom 21.03.2019
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