Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat Hebertshausen nicht wirklich fürchten müssen. Er hat schon vorgebaut. Wer geglaubt hatte, bei seinem Auftritt am Donnerstagabend im Bierzelt komme es zum Showdown mit seinen Kritikern aus der eigenen Partei, wurde enttäuscht. Söder hatte am Tag zuvor in einem 20 Minuten langen Telefonat mit dem Parteirebellen Richard Reischl dem Aufstand erst einmal die Schärfe genommen. Er habe, sagt Bürgermeister Reischl, einen "sehr zugeneigten und zuhörenden Ministerpräsidenten" erlebt. Reischl sagt auch: "Ich habe kein Blatt vor den Mund genommen." Aber er war beeindruckt: Der Ministerpräsident hätte wohl tausend andere Telefonate zu erledigen gehabt, wie Richard Reischl meint.
Vielleicht war aber gerade dieses Telefonat wichtig. Vor einer Woche hatte Reischl auf Facebook mit der Politik seiner CSU in der Bundes- und Landesregierung abgerechnet. Aber wie: "Wir behandeln Menschen wie Dreck", schrieb der 41 Jahre alte Reischl. Seit 16 Jahren ist er Mitglied der CSU. Er sprach aus, was viele denken, zusammengefasst, dass sich die CSU von den Menschen weit entfernt habe. 1700 Briefe und Kommentare zu seinem Post hat Reischl bis heute erhalten - darunter viele von Parteifunktionären und Stammwählern. Fast alle unterstützen Reischls Kritik. Der Bürgermeister der 5500 Einwohner kleinen Gemeinde Hebertshausen verursachte bundesweit Aufsehen. Am 18. Juli dann die Ergebnisse des Bayerntrends: Die Regierungspartei stürzt nach dem Streit um die Asylpolitik auf nur noch 38 Prozent ab: ein historischer Tiefstand, drei Monate vor der Landtagswahl.
Und jetzt ist Söder da - und er wird eine gute Stunde später einen triumphalen Erfolg feiern, ausgerechnet in Hebertshausen, im Zentrum des Aufstands, wo drei Gemeinderäte der CSU laut Reischl ihr Parteibuch zurückgeben wollen. Als wäre nichts gewesen. Sogar der Rebell Reischl setzt ein strahlendes Lächeln zur Begrüßung auf. Energisch springt Söder in Trachtenjacke aus der Limousine, lässt das Empfangskomitee aus Vertretern der Kreis-CSU erst mal warten und begrüßt die Polizeibeamten mit Handschlag. Dann sagt er zu Reischl gewandt: "Ich habe Ihren Blog schon gelesen." Der Bürgermeister hat, fair und ehrlich wie er ist, auch den Inhalt des Telefonats mit Söder gepostet.
"Er muss den Klub zusammenhalten, und das ist ihm gelungen."
Danach noch eine Gruppenaufnahme mit dem Burschen- und Mädchenverein Hebertshausen. Sein Gründungsfest, der Verein ist 115 Jahre alt, ist der eigentliche Anlass von Söders Besuchs, vom Wahlkampf einmal abgesehen. Jetzt aber geht's mit schnellen Schritten hinein ins Festzelt, die Blaskapelle spielt schon den bayerischen Defiliermarsch, von der Decke hängen große, rote Herzen. Die Herzen der Besucher werden ihm noch zufliegen. Später wird Landrat Stefan Löwl, der von Söder wieder als "schönster und bester Landrat" gelobt wird, sagen, dass Söders Rede noch besser gewesen sei, als auf dem Volksfest in Markt Indersdorf. Einer meint, der Söder habe eben die Gabe zur "Selbstironie", ein anderer lobt seine "Souveränität".
Stadtrat August Haas, Listenkandidat für den Landtag, meint, dass Söder halt eine Wahlkampfrede gehalten habe. "Er muss den Klub zusammenhalten, und das ist ihm gelungen." Und wie: Hunderte im fast vollen Bierzelt stehen auf und singen mit dem Ministerpräsidenten die Bayernhymne, während seiner knapp einstündigen Rede haben sie sich die Hände taub geklatscht. Von der Bühne bis zum Ausgang vom Festgelände braucht er eine gute halbe Stunde. Die Menschen umringen ihn, wollen ihm die Hand schütteln, ein Foto mit ihm - gefühlt lächelt Söder für fünfzig Selfies. Dann ist er weg.
Hebertshausen war leicht, am Samstag aber muss er den 350 Delegierten des Bezirksparteitags der wichtigen Oberbayern-CSU eine Antwort auf die verheerend schlechten Umfragewerte geben. Der Schuldige ist klar, das klang am Rande auch in Hebertshausen an: Der Parteivorsitzende und Bundesinnenminister Horst Seehofer. In seiner Rede ging Söder nur kurz auf den Verlust der absoluten Mehrheit ein: Wer weiß, ob wir eine klare Mehrheit haben, wie er sagte. "Aber eine Zahl kann ich versprechen, dass ich 100 Prozent gebe." Der Ministerpräsident trat gemäßigt auf, wie Reischl feststellte. Das Wort vom "Asyltourismus" nahm er nicht mehr in den Mund - dass der Freistaat jährlich zwei Milliarden für die Integration der Flüchtlinge ausgebe, das tat's auch. Das sei mehr Geld als etwa für Umweltschutz und Gesundheitsvorsorge, und Söder vermisst da die "Balance". Aufbrausender Applaus.
Der eigentliche Star des Abends ist Richard Reischl
Söder sprach aber auch Themen an, die Reischl in seinem Brandbrief erwähnt hatte: Wohneigentum für junge Familien, bezahlbare Mietpreise, Pflegekräfte, mehr Kindergartenplätze, bessere Bedingungen für das Ehrenamt. Mit Blick auf Reischl betonte er, dass die Staatsregierung beileibe nicht nur in die Großstädte, sondern auch in die Landregionen investiere. 600 000 Euro etwa für den Breitbandausbau in Hebertshausen vor zwei Jahren. "Wir sind nicht immer einer Meinung, aber immer im Gespräch", sagte Söder und schaute auf den Tisch, an dem Reischl saß. Und weiter an seine Adresse: "Wir brauchen keine Mahner, sondern Kümmerer und Macher." Er mahnte an, dass in der Politik bei allem leidenschaftlichen Streit Demut und Respekt vor dem anderen nötig seien.
Genau das vermisst Bürgermeister Reischl. Söder wurde gefeiert, aber der Kommunalpolitiker ist der eigentliche Star des Abends. Journalisten umringen ihn und lassen ihn nicht mehr los. Ob er dem Wandel Söders traue, wird er gefragt. Reischl erklärt, dass er ein paar Monate abwarten müsse, um diese Frage beantworten zu können. Söder sei als Ministerpräsident die richtige Wahl, aber er stehe quasi noch in Probezeit. Reischl sagt, er hoffe sehr, von ihm keine verächtlichen Ausdrücke wie "Asyltouristen" mehr zu hören. Die CSU habe aus Bayern, einem armen Agrarstaat, ein wirtschaftlich erfolgreiches Land gemacht. Aber der Mensch sei darüber aus den Augen verloren worden.
Davon lässt sich Reischl nicht abbringen, der Rebell, das wird später in den Interviews deutlich, hat nicht wirklich klein beigegeben. Und vielleicht ist Hebertshausen gar nicht so befriedet, wie es nach Söders Auftritt scheint. "Ich möchte Ihnen gratulieren", sagt ein Bürger zu Reischl. "Sie sind ein super Bürgermeister, endlich einer, der sich etwas traut."