Long Covid:Hilfe für müde Virus-Krieger

Lesezeit: 3 min

Natascha Zöchling bietet in Haimhausen Yogastunden für Long-Covid-Patienten an. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wer sich nach einer Corona-Infektion schlapp und kraftlos fühlt, dem könne Yoga helfen - meint Natascha Zöchling, die in Haimhausen neuerdings Übungen für Long-Covid-Patienten anleitet. Damit will sie auch eine Versorgungslücke schließen.

Von Jessica Schober, Haimhausen

Natascha Zöchling atmet ein, ruhig und tief fließt die Luft durch ihre Nasenlöcher in alle drei Atemräume. In den Bauchraum, in den Raum unter den Rippen und bis unter die Schlüsselbeine in die Lungenflügel. Atmen - eine Selbstverständlichkeit, könnte man meinen. Doch wer eine Corona-Infektion überstanden hat, für den ist der Atem womöglich keine Selbstverständlichkeit mehr. Viele Long-Covid-Patienten leiden unter Kurzatmigkeit, haben ein Druckgefühl auf dem Brustkorb, andere haben Gelenkschmerzen oder Konzentrationsprobleme. Auf all das will die Freisingerin Zöchling in ihrem Haimhauser Yogastudio Sawasdee Triyoga eine Antwort finden. Und zunächst geht es dabei darum, den Druck rauszulassen - und auszuatmen.

Eine lilafarbene Yogamatte, lilafarbene Stützblöcke und weiße Kissen liegen auf dem gemaserten Holzboden. Das Vormittagslicht fällt schrägt durch die Dachfenster, als Natascha Zöchling ihre Übungen vormacht. Die klassischen Haltungen des Yoga - Asanas genannt - hat sie für den Long-Covid-Kurs so angepasst, dass sie auch ohne Vorerfahrungen zu meistern sind. In der Haltung "Katze und Kuh", einem Vierfüßlerstand, können die Übenden beispielsweise den Rücken weniger stark ins Hohlkreuz heben.

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Das Yoga soll kein Ersatz für eine Reha sein

Auch die Haltung des "Kutschersitzes" macht Zöchling vor: Entspannt sitzt sie auf einem Würfel, erdet die Füße und legt ihre bunt tätowierten Arme auf den Oberschenkeln ab, macht den Rücken rund. Buddhistische Gottheiten und Blumen zieren Zöchlings muskulöse Arme, in den Ohren trägt sie Perlenohrringe. Früher hat sie als Teamleiterin in einem Versicherungsunternehmen gearbeitet, Ende 2019 hat sie sich, unmittelbar zu Pandemiebeginn, selbstständig gemacht.

Yoga hat dabei nichts mit Leistung zu tun: "Es geht nicht darum, den Fuß hinters Ohr klemmen zu können", sagt Zöchling und lacht. Die Teilnehmenden müssten auch nichts ins Schwitzen kommen. "Wenn der Körper nicht so funktioniert wie er soll, dann fokussieren sich viele auf die Mängel." Das Yoga soll kein Ersatz für eine Reha sein, eher eine Möglichkeit, wieder mehr in die eigene Kraft zu kommen. Und es soll eine Versorgungslücke schließen. Viele Long-Covid-Patienten berichten, dass sie es Wochen nach der Infektion nur noch schnaufend eine Treppe hinaufschaffen. Müdigkeit und Antriebslosigkeit lähmen sie. Zöchling will helfen beim Umkehren der Gedanken, hin zu: Was geht denn immerhin alles noch?

"Es geht nicht darum, den Fuß hinters Ohr klemmen zu können", sagt Natascha Zöchling und lacht. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Rund zehn Prozent aller Infizierten sollen - Schätzungen zufolge - ein Symptombild von Long-Covid oder Post-Covid entwickeln. Das wären im Landkreis Dachau bei bislang insgesamt 72 574 Genesenen immerhin so viele Betroffene wie Altomünster Einwohner hat. Doch das Krankheitsbild ist schwammig, Rehamaßnahmen sind nur mühsam zu beantragen. Krankenkassen zahlen Yoga nur als präventive Maßnahme, nicht aber als Therapie bei Long-Covid. Manche Patienten leiden wochen- oder monatelang, andere nur vorübergehend, ohne Hilfe zu finden. "Und die Dunkelziffer ist hoch", vermutet Zöchling. Viele Betroffene erlebten vor allem die Zweifel aus dem Umfeld als belastend und hörten oft: "Was stellst du dich so an?" Das Unverständnis des Umfeldes führt zu Isolation. Dass der Alltag so schwer fällt, erleben viele Kontrollverlust.

Erste Interessentinnen für den Kurs haben sich schon gemeldet

Maximal acht Teilnehmende will Zöchling zulassen, geplant sind ab 5. September Kursblöcke jeweils montagabends und mittwochmittags. Am Ende des Kurses sollen die Teilnehmer in der Lage sein, in alle drei Bauchräume zu atmen. Interessenten meldeten sich Zöchling bereits über Instagram. Als ausgebildete Yogalehrerin und Yogatherapeutin in Ausbildung hat sie auch Flyer in Apotheken ausgelegt und steht mit Hausärztinnen in Kontakt.

Zöchling selbst wurde bisher von Corona verschont. Im ihrem Umfeld aber hat sie einen Bekannten an das Virus verloren. Es ist Zöchling anzumerken, dass sie viel Empathie für Menschen aufbringt, die an dem diffusen Fatigue Syndrom leiden. "Man muss nicht direkt betroffen sein, um mitfühlen zu können."

Sie will Menschen wieder "in die Selbstermächtigung bringen", wie sie sagt. Menschen, die von sich selber denken: "Ich kenne mich so nicht und bin von mir selbst abgekapselt." Den Betroffenen könne auch die Erfahrung in der Gruppe dienen, um zu begreifen, dass sie nicht allein sind mit Long-Covid. Im Zweifel genüge es fürs Erste schon, gemeinsam zur Nasenwurzeln hinzuspüren und sich zu fragen: Wie fühlt atmen sich an?

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