SZ-Kulturpreis Tassilo:Der Herr der Kirchen

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Hans Schertl ist in diesem Jahr einer der Kandidaten für den Tassilo-Preis. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Hans Schertl kennt die 280 Gotteshäuser im Landkreis Dachau so gut wie kaum ein anderer: Auf seiner Homepage hat er in liebevoller Kleinstarbeit alles Wissenswerte über die Gebäude und ihre Geschichte zusammengetragen - und das von ihm entwickelte Kirchturmquiz hat schon so manchen Pfarrer ins Schwitzen gebracht.

Von Renate Zauscher, Haimhausen

Was tun, wenn man vor der verschlossenen Tür einer Kirche oder Kapelle steht und gern einen Blick in das Innere des Gebäudes werfen würde? Im Landkreis Dachau ist die Lösung vergleichsweise einfach: Man nimmt sein Handy zur Hand, geht auf die Seite www.kirchenundkapellen.de von Hans Schertl - und kann sich ein höchst anschauliches Bild vom Inneren des Bauwerks, seiner Baugeschichte und den Details seiner Innenausstattung machen. Ein "virtuelles Guckloch hinter versperrte Kirchentüren", das will Hans Schertl, der in Oberndorf in der Gemeinde Haimhausen lebt, den Nutzern seiner Seite bieten.

Rund 280 Kirchen und Kapellen gibt es im Landkreis, alle von ihnen und einige wenige in den angrenzenden Landkreisen hat Schertl erfasst, darüber hinaus 1150 Flurdenkmäler: Wegkreuze, Marterl und Bildstöcke. Der reine Textteil seiner Internetseite würde rund 4000 Buchseiten füllen; ergänzt wird er von rund 12 000 Fotos, die Schertl in fast allen Fällen selbst aufgenommen hat.

Vor mehr als sieben Jahrzehnten hat Schertl sein Interesse für kirchliche Kunst entdeckt

Hans Schertls Interesse für alles, was im weitesten Sinne mit kirchlicher Kunst zu tun hat, begann vor mehr als sieben Jahrzehnten: Schon als kleiner Bub war er gefragter Ministrant in seiner Oberpfälzer Heimatgemeinde Neuhaus an der Pegnitz. Weil seine Eltern gleich neben der Kirche wohnten, wurde der Fünfjährige schon mal aus dem Bett geholt, wenn sich für die Frühmesse kein anderer Ministrant fand. Später war er einige Jahre in seiner heutigen Pfarrei Jarzt als Kirchenpfleger tätig; er singt seit fast 50 Jahren im örtlichen Kirchenchor und ist Mitbegründer und musikalischer Leiter der Schönbrunner Sänger.

Zu Schertls musischen Begabungen und Interessen kommt eine andere Eigenschaft, ohne sie wäre die gründliche Erfassung aller Dachauer Kirchen und Kapellen nicht denkbar: Als Diplom-Finanzwirt ist er ein sehr strukturierter, systematisch vorgehender Mensch. Erst die Kombination beider Persönlichkeitsanteile dürfte das Lebenswerk des heute 77-Jährigen in seiner Vollständigkeit möglich gemacht haben.

Mithilfe des Internets will er auch junge Menschen erreichen

In den Anfangsjahren hat Hans Schertl die Ergebnisse seiner Recherchen noch auf selbstgebrannten CDs veröffentlicht, die er Schulen und Kindergärten zur Verfügung stellte. Vor rund 20 Jahren begann er dann, sie ins Internet zu stellen. Dem Vater zweier Söhne war schnell klar, dass er mit modernen Medien viel mehr junge Leute erreichen kann als mit dem "altmodischen" Medium des Buchs.

Nach seiner Pensionierung 2007 hatte der Heimatforscher schließlich Zeit, sich seinem anspruchsvollen Projekt ganz zu widmen. Er fuhr von Ort zu Ort, sprach mit Pfarrern, Mesnern und Kirchenpflegern, forschte im Archiv der Erzdiözese München-Freising und im Bayerischen Staatsarchiv, studierte alte Zeitungs- und Visitationsberichte.

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Die rein formale Beschreibung eines Bauwerks war Schertl dabei nie genug: Ihn interessierten auch die ideengeschichtlichen Umstände, die die Form einer Kirche oder Kapelle und ihre Innenausstattung mitbestimmt hatten, ebenso wie historische Begebenheiten oder Sagen und Geschichten, die mit dem jeweiligen Objekt in Verbindung stehen.

Wer virtuell durch eines der beschriebenen Gebäude wandert, wird auf jedes noch so kleine Detail hingewiesen: auf die besondere Form eines Opferstocks oder Türschlosses, auf Besonderheiten von Altären und Seitenaltären, auf Bilder und Plastiken, die die Wände schmücken. Man erfährt Wissenswertes über die jeweils dargestellten Heiligen, bekommt erklärt, welche historischen Entwicklungen etwa zur Erweiterung eines Kirchenschiffs oder zum Kapellenbau geführt haben. Wer sein eigenes Wissen testen will, kann sich an einem Kirchturmquiz beteiligen: Schmunzelnd erzählt Schertl, dass sogar der ein oder andere Ortspfarrer die eigene Kirche nicht gleich erkannte. Nach wie vor arbeitet er an der Webseite, er fügt Ergänzungen ein und beantwortet zahlreiche Anfragen anderer Heimatforscher und Kunsthistoriker.

Dankschreiben bekommt Schertl sogar aus den USA

Im Blick hat Hans Schertl auch das, was er als "Flurdenkmäler" bezeichnet: Wegkreuze, Bildstöcke und Marterl. Während Erstere zum kurzen Innehalten und dem Sprechen eines Gebets auffordern, wurden Bildstöcke vor allem dann errichtet, wenn jemand eine gefährliche Situation gut überstanden hatte und beispielsweise Dank sagen wollte für die glückliche Heimkehr aus einem Krieg. Marterl dagegen berichten von Unglücksfällen, die tödlich endeten. Heute stehen sie oft an Stellen, an denen ein - meist junger - Mensch bei einem Verkehrsunfall sein Leben verlor.

Hans Schertls Internetseite ist weit über den Landkreis hinaus bekannt: Selbst aus den USA hat er Dankschreiben von Menschen erhalten, die auf diesem Weg wieder Kontakt mit ihrer alten Heimat aufgenommen haben. Während der vergangenen zwei Jahrzehnte besuchten 5,5 Millionen User die Seite. Zuletzt war es knapp eine halbe Million jährlich. Schertls Homepage wurde mittlerweile in das elektronische Langzeitarchiv der Bayerischen Staatsbibliothek aufgenommen und steht den Nutzern im Lesesaal auch künftig zur Verfügung. Im vergangenen Jahr bekam der unermüdliche Heimatforscher für "Verdienste im Ehrenamt" das Ehrenzeichen des bayerischen Ministerpräsidenten. Auch seine Heimatgemeinde Haimhausen hat Schertl ausgezeichnet.

Freilich weiß man auch auf kirchlicher Seite, was man Hans Schertl verdankt: 2014 wurde ihm die Korbiniansmedaille für seinen Internetauftritt verliehen - eine der höchsten kirchlichen Ehrungen für Laien in der Erzdiözese München-Freising.

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