Süddeutsche Zeitung

Haimhausen:Korrekturen

Kaya Dreesbeimdiek aus Schwabhausen hat sich an dem Dachauer Gedächtnisbuch beteiligt und das Leben eines Mannes erforscht, der ihr - politisch gesehen - nicht nahe steht: des Kommunisten Johann Kling

Von Wolfgang Eitler, Haimhausen

Rein äußerlich erfüllt Kaya Dreesbeimdiek aus Schwabhausen das Klischee einer karrierebewussten jungen CSU-Frau. Sie trägt einen grauen Strick-Janker mit modischer Adaption eines Hirschs in Rosa, dazu den passenden Lippenstift und leicht dunkel geschminkte Augen. Sie tritt im Rathaus von Haimhausen rhetorisch versiert auf. Die Zuhörer sind beeindruckt. Kaya Dreesbeimdiek war der Berliner Taz einen größeren Bericht wert, weil die Zeitung in ihr eine junge, konservativ denkende Generation repräsentiert sieht: selbstbewusst, zielstrebig, aber nicht aufmüpfig.

Deshalb muss die Frage gestattet sein, ob ihr der Mann, über den sie forschte und dessen Leben sie am Mittwochabend erzählte, sympathisch ist. Johann Kling war Mitglied der kommunistischen Jugend in Bayern nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, er war Widerstandskämpfer und einer der ersten Männer, die nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten am 10. Februar 1933 verhaftet wurde. Im April desselben Jahres wurde er ins Konzentrationslager nach Dachau gebracht. Kaya Dreesbeimdiek lässt sich mit der Antwort Zeit. "Sympathisch? - Es war so, dass ich mit ihm gefühlt habe. Sein Schicksal hat mich mitgenommen." Der eigene konservative Blick hat den auf Johann Kling, dem ersten Bürgermeister von Haimhausen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, nicht getrübt und beeinträchtigt.

Die 20-jährige Studentin der Betriebswirtschaft an der Ludwig-Maximilans-Universität in München beteiligte sich noch während ihrer Schulzeit am Josef-Effner-Gymnasium an dem Langzeitprogramm des Dachauer Gedächtnisbuches. Federführend dafür sind Sabine Gerhardus vom Dachauer Forum und seit einigen Jahren der Regionalentwicklungsverein Dachau Agil, der diese Forschungstätigkeit in die Geschichtswerkstatt eingebunden hat. Sie hatte die Alltagsgeschichte des Landkreises Dachau nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erforscht und mit den Biografien von Menschen aus dieser Region verbunden, die wegen ihrer Herkunft oder wegen ihrer politischen Überzeugungen von den Nationalsozialisten verfolgt wurden.

120 Namen haben Sabine Gerhardus und ihr Team im Archiv der KZ-Gedenkstätte gefunden. Die Lebensgeschichten von 20 Frauen und Männern sind genau recherchiert worden. Sie sind zu einer Ausstellung gebündelt worden, die nun von Gemeinde zu Gemeinde gereicht wird. Jetzt ist Haimhausen an der Reihe. Es folgt noch Sulzemoos, und dann beginnt bereits das nächste große Projekt, die Erforschung der 50er Jahre anhand von authentischen Zeitzeugenberichten. Diese Arbeit wird insofern leichter, als die meisten Menschen, die Wichtiges und Entscheidendes zu berichten und zu erzählen haben, noch leben.

Kaya Dreesbeimdiek dagegen musste erst Archive durchwälzen, Zeitzeugen in Haimhausen befragen, um endlich an die maßgeblichen Quellen zu geraten. Dabei haben ihr einige Haimhausener besonders geholfen: Gabriele Donder-Langer oder Hans Schindlböck von der örtlichen Geschichtswerkstatt und ganz besonders eine ehemalige Nachbarin des Haimhausener Kommunisten Johann Kling, Hiltrud Frühauf. Sie vermittelte der jungen Forscherin den Kontakt zu Klings Tochter Hanna Wolf in Augsburg. Diese Zusammenarbeit und diese Bereitschaft, Informationen weiter zu geben, ist nicht nur unter Hobbyforschern keine Selbstverständlichkeit. Auch in der Geschichtswerkstatt des Landkreises, die von der Ethnologin Annegret Braun aus Sulzemoos geleitet wird, herrschte anfangs ein gewisses Misstrauen untereinander. "Das ist überwunden", hieß es in Haimhausen. "Wir sind eine Gemeinschaft geworden."

Zunächst hatte die junge Forscherin gedacht, dass sich wegen der Teamarbeit in Haimhausen ihre Arbeit wie von selbst schreiben würde. Aber sie bemerkte schnell, dass Zeitzeugenberichte überprüft werden müssen. So erzählte Hanna Wolf Familiengeschichten, die sie selbst nicht erlebt haben konnte. Einige reichten in Zeiten zurück, in denen sie noch gar nicht geboren war. Solche Entdeckungen erforderten neuerliche Archivstudien und ständige Korrekturen eigener Positionen, um Ereignisse einordnen zu können.

Fest steht, dass Johann Kling seit 1933 von den Nationalsozialisten gegängelt, bespitzelt und zweimal inhaftiert wurde. Er kam nach Haimhausen, weil er dort ein Grundstück erworben und ein Haus gebaut hatte. Einerseits vernichteten die Nationalsozialisten mehrmals seine Existenz, andererseits gelang es Johann Kling immer wieder auf die Beine zu kommen. In Haimhausen galt er sogar als etwas Besseres, weil er als einziger ein Auto besaß. Als gesichert gilt, dass er und seine Frau einer jüdischen Familie zur Flucht verhalfen und sie in Haimhausen vor der Gestapo versteckt hielten. Und nach dem Endes des Zweiten Weltkriegs war er als Gewährsmann geschätzt, wenn Haimhausener Bürger um die Entnazifizierung bangten. Ihm wurde für seine Dienste Geld angeboten, das er nie annahm. Einen Monat lang war er auch Bürgermeister von Haimhausen. Allerdings fehlen Quellen darüber, was in dieser kurzen Zeit geschehen ist.

Wer aber war Johann Kling? Kaya Dreesbeimdiek bezeichnete ihn "als starken Menschen mit Idealen". Sie zitierte seinen Leitsatz, der von dem Philosophen Theodor W. Adorno stammt: "Faschismus fängt dort an, wo einer im Schlachthof steht und sagt, es sind doch nur Tiere." Die Beschäftigung mit Johann Kling hat ihren Blick auf Dachau und die Geschichte verändert: "Man wächst in Dachau anders auf. Aber es ist noch etwas komplett anderes, wenn man sich mit einer Person beschäftigt." Wer diesen Effekt historischer Forschungsarbeit selbst erleben will, hat von Freitag, 16. Februar, an Gelegenheit dazu. Dann startet die Geschichtswerkstatt des Landkreises im Augustiner-Chorherren-Museum in Markt Indersdorf mit dem Forschungsprojekt "Die 50er Jahre - Wirtschaftswunder und Verdrängung". Der Einführungsvortrag von Leiterin Annegret Braun beginnt um 19.30 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2016
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