Haimhausen:Gänsehaut pur

Julia-von-Miller-Quartett

Einen außergewöhnlichen Musikabend bereitet das Julia-von-Miller-Quartett einem erlesenen Publikum.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Julia von Miller begeistert in der Kulturkreiskneipe mit beseelter Gesangskunst und freut sich über den Zuspruch des Publikums

Von Petra Neumaier, Haimhausen

Die Kulturkreiskneipe in Haimhausen ist nur zur Hälfte besetzt. Auf der kleinen Bühne haben es die drei Musiker um die Sängerin Julia von Miller jedenfalls enger als das Publikum in dem kleinen Saal: Nur etwa 20 Zuhörer haben sich eingefunden, "wohl das erlesenste Publikum, das man in Haimhausen bekommt", sagt die sonst um ein Vielfaches verwöhnte virtuose Gesangskünstlerin. Aber das klingt weder beleidigt noch enttäuscht, sondern eher wie ein charmantes Kompliment. Und umso herzlicher und persönlicher zieht sie das Publikum von der ersten Minute in ihren Bann. Sodass am Ende einem nur die leidtun, die diesen außergewöhnlichen Musikabend verpasst haben.

Ein schlichtes, schwarzes Kleid mit großer, zotteliger Ansteckblume: Sieht man einmal von den knallroten Samtschuhen im Daisy-Duck-Look ab, ihre Garderobe könnte nicht unauffälliger sein. Julia von Miller braucht keine Roben, um zu glänzen und auf der Bühne zu überzeugen. Singt sie französische Chansons, erscheint sie so elegant wie Edith Piaf, schmettert sie Blues, sieht man Dinah Washington - um schon im nächsten Moment, sich in einem rauchigen Lokal wähnend, Zara Leander zu huldigen. Keine Höhen und Tiefen sind ihrer Stimme verschlossen, die Julia von Miller aber auch vor jedem Stück dazu benutzt, Geschichten zu erzählen: über die Lieder und über die längst verblichenen aber unvergessenen Musikgrößen.

So wundert es nicht, dass schon bei den ersten Tönen des Stückes "Mademoiselle" die Füße und Köpfe der Zuhörer wippen. Einerlei, worum der Text geht. Die ausdrucksvolle Mimik der Schauspielerin und Moderatorin spricht für den Inhalt. Besonders beim "Que restet il", wo sie die Stimmungswechsel gekonnt von flehend zu kämpferisch, von verliebt zu gleichgültig in ihrem Gesicht authentisch widerspiegelt. Im Juni feierte die Ur-Ur-Enkelin des Erzgießers Ferdinand von Miller und Ur-Nichte von Oskar von Miller ihr 30. Bühnenjubiläum. Zusammen mit ihrer dreiköpfigen und brillanten Band (Dieter Holesch, Gitarre; Ludwig Leininger, Kontrabass und Robert Probst, Piano) - ist sie viele Jahre auf deutschen Bühnen unterwegs. "Jeder von uns bereichert jeden", sagt Julia von Miller. Besonders die Liebe zur Musik der Zwanziger und Dreißiger und im speziellen zu den Boswell Sisters teilen sie. Im Laufe des Programms "Was ihr wollt" (was für die Sängerin im Klartext heißt: "Eigentlich was wir wollen - ihr habt ja keine andere Wahl!") werden aber auch Stücke gespielt und gesungen, die bis in die Siebziger reichen. Wie Jimmy Hendrix' "Up from the Skies" oder Bobby Hebbs "Sunny".

Und dann überlässt sich Julia von Miller auch der Seele der Musik und dem Rhythmus der Instrumente und lässt nicht nur ihre schlanken Beine und ihre rotbraune Lockenmähne tanzen, sondern vor allem ihre Stimme, deren Vielfalt in Ton, Höhe und Lautstärke sie besonders in Dinah Washingtons "Since I fell for You" beweist: Gänsehaut pur und so laute Ovationen des Publikums, dass man seine geringe Anzahl vergisst. "Es hat sich doch rentiert, die lange Fahrt nach Haimhausen", sagt die Sängerin fröhlich lachend, die es sichtlich genießt in der "Wohnzimmeratmosphäre" spielen zu dürfen. "Es gibt ja nicht mehr viele Bühnen, auf denen man auftreten kann - umso mehr muss man solche regionalen Angebote nutzen und unterstützen", sagt sie später und ergänzt: "Außerdem bekommt man vom Publikum doch viel mehr mit."

Der Funke springt jedenfalls selbst nach der längeren Pause sofort wieder über. Sei es beim "St. Louis Blues" aus dem Jahr 1914 oder den lustigen "Sommersprossen", dem Original aus den dreißiger Jahren. Oder aber beim "Gemüse", dem kritischen Lied, das die ärztlich verordneten und "wissenschaftlich fundierten" Diäten auf die Schippe nimmt. Kämpferisch dann Friedrichs Hollaenders schon fast geschrienes Lied von 1928 "Raus mit den Männern aus dem Reichstag". Das gefällt nicht nur dem weiblichen Publikum sehr und wird nur noch durch das "Lass mich deine Carmen sein" gesteigert. Hier kommt der Pianist als genervter, spanischer Liebhaber zu einem ersten kleinen Soloauftritt. Einen großen hat er mit seinem selbst komponierten und zu seinem Spiel gesungenen Blues.

Drei Zugaben beenden das Konzert - die letzte, die ruhigste und nachdenklichste, widmet Julia von Miller dem Thema Einsamkeit - ein vertontes Gedicht vom "handfesten Depressionisten" Erich Kästner. Vielleicht auch, weil es letztendlich sogar egal ist, ob man vor einem großen oder kleinen Publikum singt. Denn: "Jeder ist letztendlich mit sich alleine!"

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