Süddeutsche Zeitung

Gruppenausstellung im Dachauer Wasserturm:Schichtbetrieb

Die Künstlergruppe Sixart bespielt alle Etagen des Dachauer Wasserturms, sogar das Treppenhaus. An den Titel "Stille" halten sich nicht alle. Dafür ist das Kollektiv zu divers - und das ist gut so

Von Gregor Schiegl, Dachau

Fast schon hatte man vergessen, dass der Dachauer Wasserturm vier Etagen hat. In den meisten Ausstellungen werden nur zwei Ebenen bespielt, in der dritten Etage müssen große Leute den Kopf einziehen wegen der niedrigen Querstreben, und die oberste Etage unterm offenen Dachgebälk bleibt meistens ganz leer. Bei der Ausstellung von Sixart ist das anders, das Künstler-Sextett nutzt das Raumangebot des hohen Hauses voll aus, sogar das Treppenhaus wird bespielt. Ein aus mehreren Teilen zusammengesetztes Textilbanner begrüßt die Besucher. Das Mittelstück hat viereckige Löcher wie in einer Guckbühne. Kinderhände aus Stoff sind am Rand angenäht, in jedem Viereck werden es mehr, die Fingerchen strecken sich hilfesuchend empor. "Stille Hände" hat Margot Marquardt ihre Arbeit genannt. "Es passieren viele Dinge im Stillen."

Es sind nicht immer gute Dinge.

Stille, das ist auch das Thema der Ausstellung. Es gehe darum, sich als Künstler der Stille bewusst zu stellen, heißt es in der Einladung von Sixart, sich der eigenen "Tiefe" innezuwerden, die im Lärm des Alltags verdeckt ist. "Stille ist eine Wirklichkeit, sie ist räumlich und zeitlich." Nun ja, dasselbe könnte kann man natürlich auch über das Spazierengehen sagen oder übers Fußballspielen, aber das sollte man Sixart nicht ankreiden. Bei einer in Mitteln, Formen und Stilen so heterogenen Künstlergruppe sollte man die Werke für sich sprechen lassen, und das eher behauptete als ausgeführte Thema Stille stillschweigend ignorieren, das schadet nicht. Sixart ist ein illustrer Kreis, fast ausnahmslos Kunstpreisträger, man kennt und schätzt sich.

Die meisten sind Mitglieder im Kissinger Kunstkreis "Lechkiesel", dem Gernot Kragl vorsteht. Kragl ist auch Kopf von Sixart. Er malt sonnengelb durchwirkte Farblandschaften in Öl, die Schichten sind mehrfach aufgetragen. Manchmal lassen sie kräftige Untertöne durchschimmern, Rot und Indigo, manchmal trägt er so dick auf, dass sie Farben reliefartige Strukturen bilden, manchmal kratzt er Schichten wieder ab. Je nach Machart wirkt das Bild spannungsreich und laut oder elegisch und, nun ja, still. Kragl ist viel in Schottland unterwegs, und wer die hellgrünen Wiesen der Highlands und die rote Erde dort schon einmal gesehen hat, erkennt sie auf seinen Bildern leicht wieder.

Schichtbetrieb herrscht auch bei Ute B. Reinhardt in der Etage darüber. In ihren Werken überlagert sie Sand, Marmorkalk, Sumpfkalk und Pigmente, die naturnahe Oberflächen schaffen, mal rau wie eine Borke, mal aufgelöst in Platten wie ein Erdboden nach langer Dürre. Das Thema Umwelt beschäftigt Reinhardt, aber es fließt eher sublim ein. Ihre Vorgehensweise ist intuitiv. Sich auf das Unvorhersehbare einzulassen, das reizt sie. Reinhardt erzählt, wie sie mal von einem erschrockenen Käufer angerufen wurde, der ihr mitteilte: "Ihr Werk arbeitet." Über so viel Lebendigkeit der Kunst sollte man sich freuen.

Ganz oben unter den offenen Dachbalken hängen die Bilder von Ursula Roll, einer Künstlerin, die ebenfalls aus dem Bauch heraus malt. Anders als Reinhardt schreckt sie vor knalligen Acrylfarben nicht zurück. Sie hat schon immer abstrakt gemalt, auf Bitten einer Freundin, die mit dem Ungegenständlichen nicht so viel anfangen konnte, hat sie auch mal eine Kuh gemalt. Seitdem gibt es in ihrem Oeuvre einen Nebenstrang, der es zu einer bemerkenswerten Popularität gebracht hat: Kühe allüberall. Inzwischen integriert sie auch schon Fotos der Rindviecher in ihren Gemälden, Almwiesen in abstraktem Farbrausch, rot, blau, grau und gelb, dazwischen dunkle Kleckse, die sich erst bei näherem Hinsehen als Kühe entpuppen.

Der klassischen Ölmalerei verhaftet ist der Künstler Alexander Hupfer, was nicht heißt, dass er einen traditionalistischen Stil pflegen würde. Besonders eindrücklich zeigt sich das in einem großformatigen Akt, der das Motiv der Venus vom Hohlefels adaptiert, einer schätzungsweise 40 000 Jahre alten Elfenbeinfigurine, die zu den ältesten Darstellungen des menschlichen Körpers zählt. Auf seinem Gemälde sieht man sie in Vorder- und Rückansicht, massige Hinterbacken, breiter Rücken, der Kopf nur ein eleganter Fortsatz des Leibes, üppige Brüste, nah am Vorbild, aber mit einer natürlichen Dynamik, als hätte man sie mitten in der Bewegung beobachtet. Der Hintergrund ist rotbraun, etwas dunkler als Terrakotta, man könnte auch sagen urzeitfarben. Trotzdem wirkt es modern und in seiner massiven, unangepassten Körperlichkeit wie ein Ausdruck modernen weiblichen Selbstbewusstseins. Bleibt noch Hansjürgen Vogel zu erwähnen. Der Künstler aus Fürstenfeldbruck bevölkert die Ausstellung mit Bronzeplastiken, die gleichermaßen elegant wie archaisch aussehen, als hätte man Kunst von Giacometti mit der von Lüpertz gekreuzt. Mit letzterem hat Vogel eine Vorliebe für klassische Themen gemein. Eine Plastik zeigt König Aigeus vor einem stilisierten Schiffsrumpf mit einem kunstvoll aufragenden Segel aus rotgefärbtem Stahlblech. Der Sage nach sollte Aigeus' Sohn bei seiner Rückkehr weiße Segel aufziehen, um damit anzuzeigen, dass er siegreich war. Doch wie das bei den Griechen so ist: Der Sohn verschusselt es in der Freude über den Sieg, immer noch wehen die alten (in der Sage schwarzen) Segel, und in seinem Gram stürzt sich der König ins Meer. Bei Vogel sieht man das Verderben nahen, den Moment, in dem sich das Schicksal wendet. Aber jetzt: Psst! Selber anschauen.

Still. Zeitgenössische Kunst der Gruppe "Sixart". Vernissage ist an diesem Donnerstag, 16. Mai, um 19.30 Uhr. Esther Mieves führt dazu einen Butoh-Tanz vor. Öffnungszeiten Donnerstag bis Sonntag, 14 bis 19 Uhr. Die Ausstellung geht bis 26. Mai.

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Quelle:
SZ vom 16.05.2019
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