ErinnerungsarbeitDie KZ-Gedenkstätte, die mal eine Wohnsiedlung war

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Das schmiedeeiserne Eingangstor am Jourhaus mit seiner zynischen Inschrift passieren jedes Jahr bis zu einer Million Besuchern.
Das schmiedeeiserne Eingangstor am Jourhaus mit seiner zynischen Inschrift passieren jedes Jahr bis zu einer Million Besuchern. (Foto: Toni Heigl)

Die KZ-Gedenkstätte Dachau wird an diesem Freitag 60 Jahre alt. Gegründet wurde sie auf Initiative ehemaliger Häftlinge. Der Weg dahin war weit – auch weil die Öffentlichkeit sich lange gegen das Erinnern an die Verbrechen des Nationalsozialismus wehrte.

Von David Ammon, Dachau

Am 29. April 1945, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs, befreiten Truppen der 7. US-Armee das Konzentrationslager Dachau. Rund zwölf Jahre zuvor hatten die Nationalsozialisten dort im März 1933 eines der ersten Konzentrationslager errichtet. Von den etwa 200 000 Inhaftierten kamen mehr als 41 500 Menschen ums Leben.

Bereits vor dem Tag der Befreiung gründeten überlebende Häftlinge des Dachauer Lagers ein internationales Lagerkomitee, das als gemeinsames Sprachrohr der ehemaligen Häftlinge diente. Das Komitee forderte früh die Errichtung einer Gedenkstätte auf dem Gelände des befreiten Konzentrationslagers. Dort, sowie auf dem Gelände des ehemaligen SS-Lagers, befand sich wenige Monate nach Kriegsende ein von der US-Armee eingerichtetes Internierungslager für mutmaßliche NS-Kriegsverbrecher. Ende des Jahres 1945 fanden dort die Dachauer Prozesse statt, um die Verbrechen der Konzentrationslager aufklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Dies geschah zu einer Zeit, in der viele Deutsche versuchten, das Geschehene zu verdrängen, die Verbrechen der Nazis zu relativieren und behaupteten, sie hätten von alledem nichts gewusst. So auch auf dem Dachauer Lagergelände: Nach der Rückgabe an den Freistaat Bayern richtete dieser in den vormaligen Häftlingsbaracken ein Auffanglager für Geflüchtete ein. Unter dem neuen Namen „Wohnsiedlung Dachau-Ost“ behielt es diese Funktion über 15 Jahre. Der Kampf der Überlebenden für eine Anerkennung des eigenen Leids traf zu dieser Zeit auf den erheblichen Widerstand aus großen Teilen von Politik und Gesellschaft. Öffentliches Interesse an der Geschichte des Lagers und dem Schicksal der Opfer des NS-Regimes war kaum vorhanden, Unterstützung erhielten sie nur wenig.

Auf einer alten Postkarte gibt es noch Ansichten der Wohnsiedlung Dachau-Ost für Flüchtlinge auf dem ehemaligen KZ-Gelände.
Auf einer alten Postkarte gibt es noch Ansichten der Wohnsiedlung Dachau-Ost für Flüchtlinge auf dem ehemaligen KZ-Gelände. (Foto: Niels Jörgensen/DAH)
Edmund Stoiber war der erste bayerische Ministerpräsident, der in der KZ-Gedenkstätte Dachau eine Ansprache hielt. Das Foto zeigt ihn bei einer Rede in Dachau acht Jahre später, 2003.
Edmund Stoiber war der erste bayerische Ministerpräsident, der in der KZ-Gedenkstätte Dachau eine Ansprache hielt. Das Foto zeigt ihn bei einer Rede in Dachau acht Jahre später, 2003. (Foto: Niels Jörgensen)

Noch im Jahr 1945 richteten Überlebende auf dem Gelände des einstigen Krematoriums einen kleinen Gedenkort ein. Von 1945 bis 1955 befand sich dort eine kleine Ausstellung über die von den Nazis im Konzentrationslager begangenen Verbrechen. Doch auch dieser Ort bekam die große öffentliche Ablehnung und starken politischen Widerstand zu spüren, als 1955 der Dachauer CSU-Landrat den Abriss des ehemaligen Krematoriums forderte. Nur aufgrund eines Zusatzabkommens der damals neuen Pariser Verträge, wodurch die Grabstätten der Opfer der NS-Herrschaft unter besonderem Schutz standen, konnte der Abriss gerade noch verhindert werden.

Zu diesem Zeitpunkt – die KZ-Befreiung jährte sich bereits zum zehnten Mal – gründete sich das Internationale Lagerkomitee neu, nun als Comité International de Dachau (CID). Den Überlebenden im Komitee gelang es, durch öffentlich und international ausgeübten Druck, die bayerische Staatsregierung schließlich von der Notwendigkeit der Errichtung einer Gedenkstätte zu überzeugen. Ab 1960 wurde die Ausstellung im ehemaligen Krematorium wiedereröffnet. Zudem entstand die katholische Todesangst-Christi-Kapelle als erstes religiöses Mahnmal auf dem ehemaligen Lagergelände. Man entschloss sich, die originalen, aber mittlerweile baufälligen Baracken abzureißen und stattdessen zwei Modellbaracken zu errichten, Wachtürme und Mauern wurden instand gesetzt.

Eine Million Besucher pro Jahr in der KZ-Gedenkstätte Dachau

Am 9. Mai 1965 schließlich war es so weit, das Kriegsende und die KZ-Befreiung lagen nun schon zwei Jahrzehnte zurück, und die KZ-Gedenkstätte Dachau mit einer neuen Hauptausstellung wurde eröffnet. Ruth Jakusch, eine Jüdin, die den NS-Terror im Exil überlebt und nach Kriegsende für das US-Militär bei den Dachauer Prozessen als Übersetzerin gearbeitet hatte, war am Aufbau der Gedenkstätte beteiligt gewesen und wurde ihre erste Leiterin. Mit der Errichtung des internationalen Mahnmals auf dem ehemaligen Appellplatz sowie der evangelischen Versöhnungskirche und des jüdischen Mahnmals war die Neugestaltung des Ortes vollendet.

Später, 1975, übernahm Barbara Distel die Gedenkstättenleitung. In den kommenden drei Jahrzehnten war sie maßgeblich für die Gestaltung des Geländes verantwortlich; das öffentliche Interesse an der Arbeit der Gedenkstätte wurde zunehmend größer. Dennoch dauerte es bis 1995, bis mit Edmund Stoiber zum ersten Mal ein bayerischer Ministerpräsident hier eine Ansprache hielt. Um die Jahrtausendwende entschied man sich für eine Neukonzeption der Gedenkstätte und der Hauptausstellung. Aktuelle Leiterin ist seit 2008 Gabriele Hammermann.

Jedes Jahr besuchen mittlerweile rund eine Million Menschen die KZ-Gedenkstätte in Dachau, darunter viele bayerische Schülerinnen und Schüler. Das Interesse an diesem Ort scheint groß zu sein. Gleichwohl steht die Erinnerungsarbeit in Deutschland vor fundamentalen Herausforderungen: Immer mehr Überlebende und Zeitzeugen versterben, historisches Wissen über die NS-Verbrechen nimmt ab, die Zahl antisemitischer und rechtsextremer Straftaten in Deutschland liegt auf einem Rekordhoch. Diesen Herausforderungen gilt es in den kommenden Jahren und Jahrzehnten gerecht zu werden.

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SZ PlusEin Essay von Thomas Radlmaier

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