Großes Interesse an einem Zeitzeugen:Kleiner, großartiger Junge

Manny Drukier überstand die NS-Diktatur und fand im Indersdorfer Kinderzentrum wieder ins Leben. Jetzt ist der 89-Jährige zurückgekehrt.

Von Daniela Gorgs, Markt Indersdorf

Fasziniert blicken die Zuhörer auf die historischen Fotos, die den Zeitzeugen im Kinderzentrum Indersdorf im Jahr 1946 zeigen. Moniek Drukier, ein gut aussehender, charmanter Teenager. In sauber gebügeltem Hemd lehnt er lässig an einem offenen Jeep vor dem Eingang der Indersdorfer Klostergaststätte. Und posiert in einem Weizenfeld, sein volles, dunkles Haar zur Seite gekämmt. Er lächelt auf den Fotos. Es ging ihm gut damals, im UN-Kinderheim im Kloster Indersdorf. Ein Team der Vereinten Nationen half Kindern und Jugendlichen, welche die Konzentrationslager überlebt hatten, auf ihren ersten Schritten zurück ins Leben. "Wir haben viel Sport getrieben, Partys gefeiert", erzählt Manny, so nennt er sich seit seiner Auswanderung in die USA. "Es ging uns gut."

Die Geschichte des 89-jährigen Mannes bewegt die Zuhörer im vollbesetzten Barocksaal der Indersdorfer Realschule. Sie nehmen Anteil, wollen wissen, wie der polnische Jude die Grausamkeiten der Nazi-Diktatur überlebte und heute in Kanada wohnt. Im Jahr 1928 in Łódź geboren, verbrachte Moniek dort seine Kindheit. Nach dem deutschen Überfall auf Polen konnte der Junge keine Schule mehr besuchen. Die Familie überlebte zunächst unter armseligsten Bedingungen in Kielce und Staszów und musste von November 1942 an in der Rüstungsproduktion der Hugo-Schneider-Aktiengesellschaft (Hasag) in Leipzig Sklavenarbeit verrichten. Anfang 1945 wurden Moniek und sein Vater Gavriel ins KZ-Buchenwald deportiert, zuletzt ins Außenlager Flößberg bei Leipzig. Moniek war 16 Jahre alt, als er völlig entkräftet aus dem Todeszug nach Mauthausen sprang, in dem sein Vater umkam.

Zeitzeugengespräch

Zeitzeuge Manny Drukie:

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Publikum hört zu, als Manny Drukier von der Geschäftsidee seines Vaters erzählt, als die Familie zu siebt in einem kargen Anbau in Kielce lebte. Im Sommer lief das Kondenswasser an den Wänden hinunter, die im Winter mit Eiszapfen bedeckt waren. Der Zwölfjährige half seinem Vater während der Besatzungszeit, mit einer Handmühle Korn zu mahlen. Heimlich verkaufte die Familie Weißmehl, wenn es gelang, dieses sicher vor den Ratten zu lagern. Manny erzählt, wie er sich in die Tochter des Vermieters verliebte und nur mit ihr am Fenster stehend sprach, damit sie nicht sah, dass er keine Schuhe trug. Als sich die Familie wieder einmal vor den deutschen Soldaten in einem Keller verstecken musste und doch entdeckt wurde, dachte er an seine erste Liebe. "Das hat mich innerlich gerettet."

Die Bedingungen: unerträglich

Es folgen Berichte über die Zwangsarbeit in Flößberg. Panzerfäuste musste er zusammenbauen. "Wir haben die Rohre mit Treibmittel befüllt." Die Bedingungen: "unerträglich". Im KZ Buchenwald hatte es noch Suppe gegeben. In Flößberg, so berichtet Manny, gab es nichts zu essen. Keine Waschmöglichkeit, dafür stundenlange Appelle. Die Insassen waren von Läusen übersät. "Es war schwer durchzuhalten." Bei den Schilderungen fällt es einer Frau in der ersten Reihe schwer, die Tränen zurückzuhalten. Es ist eine von Mannys Töchtern. Der 89-Jährige ist mit seiner Familie an den ehemaligen Zufluchtsort Indersdorf gereist, mit seiner Frau Freda, den vier Kindern Gordon, Laurie, Wendy und Cindy sowie den Enkeln Leah und Brett. Alle sitzen nebeneineinander im Barocksaal, hören zu und fotografieren das Zeitzeugengespräch mit ihren Mobiltelefonen. Der Schwiegersohn filmt. Gordon, der älteste Sohn, erklärt später, dass seine Schwestern viele Details nicht wussten. Und vieles erst aus der Biografie erfuhren, die der Vater vor 20 Jahren schrieb. Der Sohn erfuhr mehr durch die Gute-Nacht-Geschichten, in denen der Vater vom Krieg erzählte und dabei die positiven Seiten hervorhob. Zum Beispiel, wie es ihm damals gelang, heimlich Brot zu stibitzen.

Manchmal lachen die Kinder, wenn sie jetzt von ihrem Vater erzählen. "I went to camp, and I didn't like it very much", witzelt er oft daheim, verrät eine Tochter. Damit will er die Schwere herausnehmen und es selbst aushalten können, was er damals erlebte. Die ersten Jahre nach dem Krieg setzte sich kaum ein Holocaust-Opfer mit den Erlebnissen auseinander, sagt Manny. "Wir waren beschäftigt, ein neues Leben aufzubauen." Es hätte keiner geschafft, sich damit zu konfrontieren. "Überlebt haben nur die, die eine gesunde Struktur hatten."

Harmonisches Familienleben

Sein Leben mit seinen Eltern und seiner Schwester vor der Besatzung beschreibt Manny als harmonisch. Man unterstützte sich gegenseitig. Dann berichtet er, wie schwer ihm die Entscheidung fiel, nicht mit dem Vater zusammen im Todeszug zu sitzen. Gavriel Drukier war sehr schwach auf dem Weg nach Mauthausen. Er hatte angefangen, sich zu beklagen. "Ich hätte es nicht ertragen, wenn er in meinen Armen gestorben wäre." Als sich Manny entschied, den Vater doch in sein Abteil zu holen, war es zu spät. Der Vater war tot.

Zeitzeugengespräch

Das Interesse ist groß: auf Einladung des Heimatvereins erzählt Drukier im Barocksaal der Indersdorfer Realschule seine Geschichte. Seine Familie in der ersten Reihe hört zu.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Dankbar antwortet er auf die Frage einer Zuhörerin, wie er es geschafft habe, so ein toller, charmanter und erfolgreicher Mann zu werden. Und, vor allem, wie er seine Frau kennenlernte. Manny Drukier freut sich über das Kompliment und lächelt verschmitzt. "Man tut, was man kann." Und seine Frau, die lernte er auf einer Möbelausstellung in Toronto kennen, sagt er knapp. Jetzt muss auch seine Familie herzhaft lachen. "Das war aber eine kurze Version", ruft eine Tochter. Es ist ein guter Abend im Barocksaal.

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