Große Wagen und große Randale:Der ganz normale Wahnsinn

An die 30 000 Menschen besuchen die Faschingszüge am Wochenende. Die Lage ist meist ruhig - doch viele junge Leute sind sturzbetrunken

Von Robert Stocker und Wolfgang Eitler, Dachau

Die Faschingsumzüge am Wochenende im Landkreis haben auch heuer wieder Menschenmassen angelockt. Nach ersten Schätzungen kamen an die 30 000 Besucher zu den Veranstaltungen nach Markt Indersdorf, Petershausen, Vierkirchen und Dachau. In der Großen Kreisstadt gibt es nach den Alkoholexzessen der Vergangenheit keinen Umzug mehr, sondern nur noch eine Party vor dem Rathaus. Besonders Jugendliche nutzten offenbar die Gelegenheit, während der Umzüge über die Stränge zu schlagen. Die Polizei berichtet von jungen Leuten im Landkreis, die völlig betrunken zu randalieren begannen und Schlägereien anzettelten.

20 000 Besucher in Indersdorf

Die Kreisstraße 9 zwischen dem Kreisverkehr am Indersdorfer Waldfriedhof und der Abzweigung nach Daxberg / Breitenwiesen ist gesperrt. Statt Autos sind hier Faschingswagen unterwegs, die sich auf der Pasenbacher Straße hintereinander aufreihen. Sicherheitsleute überprüfen die TÜV-Gutachten zum Aufbau der Wagen, kontrollieren, ob keiner der Teilnehmer Glasflaschen dabei hat und die Lautsprecherboxen nach innen ausgerichtet sind. Wer gegen die Auflagen verstößt, wird vom Zug ausgeschlossen. Mitarbeiter des Landratsamts messen den Lärm, der aus den Boxen dringt. "Schade, ohne volle Dröhnung geht heute nichts mehr", sagt ein Polizeibeamter, der mit seinen Kollegen den Kreisverkehr abriegelt. 52 Wagen und Fußgruppen seien angemeldet.

Pünktlich um 13 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung, angeführt von den Indersdorfer Musikanten. Tausende säumen inzwischen die Maroldstraße bis zum Kloster hinunter, die Dachauer Straße über die Glonnbrücke bis zum Marktplatz, wo die Getränke- und Imbissbuden aufgestellt sind. Vor dem Rathaus ist wieder eine große Bühne aufgebaut, von der Bürgermeister Franz Obesser die Teilnehmer begrüßt. Noch immer strömen Hunderte Besucher vom Bahnhof und den Ausfallstraßen ins Zentrum hinein. Insgesamt dürften es fast 20 000 sein. Der Zug wälzt sich langsam die Maroldstraße hinab, die teilweise fantasievoll kostümierten Zuschauer applaudieren und winken. Die "Maisbrunner Narren" nehmen mit ihrer "mobilen Entkeimungsanlage" die Diskussion über die Pflege- und Hygienemängel am Dachauer Klinikum aufs Korn: "Dreck, Keim, fehlendes Personal, diese Probleme sind fatal, bevor der Patient liegt hilflos stationär, holt unsere Entkeimungsanlage her", haben sie auf eine Tafel ihres Wagens geschrieben. Wenn der Zug beendet ist, feiern Teilnehmer und Besucher am Marktplatz weiter. Zapfenstreich ist um 21 Uhr. Viele betrunkene Jugendliche liegen schon am Nachmittag am Straßenrand. "Wahnsinn", sagt eine Teilnehmerin. Die Pressesprecherin der Polizei, Melanie Habersetzer, teilt am Sonntag kurz vor Redaktionsschluss mit, dass die Lage in Indersdorf "friedlich" sei. Aber sie fügt bedauernd hinzu: "Es gibt wahnsinnig viele junge Betrunkene." Die Stimmung sei nicht so aufgeladen wie in Vierkirchen: "Da war die Hölle los."

Exzesse in Vierkirchen

Zwischen dem Auftritt des Gemeinderats und den meisten Faschingswagen beim Umzug am Samstag in Vierkirchen liegen gerade mal ein paar Meter. Tatsächlich sind es gefühlte Jahrzehnte. Brav und heiter in einer friedlichen Batman-Variante führen die Mandatsträger den Zug an. Sie marschieren vor ihrem Häuschen auf Rädern, auf dem sie sich selbst für das eben erst fertig erstellte Fledermaushotel loben und sich vorsorglich auf die Schippe nehmen: Der Volksmund hätte sie unter Umständen wegen einer solchen Entscheidung verhöhnen können. Dazu spielt die Blasmusik von Vierkirchen ein heiteres Swing-Medley.

Aber dann: "Meine Freundin kann Blasen, Blasen, Blasen, Blasen - jetzt kommt der Gag - "an den Füßen nicht ertragen." Oder: "I sauf' scho in der Früah." Ganz toll: "Meiner Freundin ist so eng, eng, eng" - klar: "der Schuh." Die jungen Leute toben auf ihren hoch aufgetürmten, von super-PS-starken Bulldogs gezogenen Wagen. Der Alkohol fließt im Drum'n'Bass-Rhythmus durch die Kehlen. Die Niederrother Jugendlichen haben einen gigantischen Zoowagen gebaut. Unfassbar riesig, mit bewundernswert technischem Geschick. In der Mitte befindet sich ein Raubtier-Gitter. So führen sie sich auch auf.

Die Dachauer Polizei meldet am Sonntag nüchtern, dass Vierkirchen "in diesem Jahr extrem gut besucht" war. Mehr als 3000 Zuschauer bei 52 Faschingswagen, die sich im Schritttempo durch den Ort stauten. "Während des Faschingszuges fielen immer wieder Personen auf, die in ihrem betrunkenen Zustand Besucher anpöbelten und schubsten." Sie mussten den Umzug und das Areal verlassen. Dem Platzverweis seien "die Betroffenen irgendwann meist nachgekommen".

Der Umzug beginnt um 14 Uhr. Um 16.50 Uhr schlägt ein 19-Jähriger Bergkirchner auf einen anderen jungen Mann ein. Der Sicherheitsdienst übergibt den 19-Jährigen der Polizei. Gegen 17 Uhr schlägt ein 16-jähriger Altomünsterer einem gleichaltrigen Indersdorfer die Faust dermaßen hart ins Gesicht, dass das Opfer "mit schweren Verletzungen in ein Münchner Klinikum eingeliefert" werden muss. Um 18 Uhr werden eine 19-jährige Frau und ihre zwei Begleiter (16 und 17 Jahre) von einer Gruppe von fünf Personen angepöbelt und tätlich angegriffen. Die drei jungen Leute erleiden leichte Verletzungen. Zur selben Zeit unterhält sich ein 22-jähriger Mann mit einer Gruppe Jugendlicher. Die treten auf ihn unvermittelt ein und greifen einen 25-Jährigen an, der den Streit schlichten wollte. Beide Männer erleiden leichte Verletzungen im Gesicht, können jedoch keine Täterbeschreibungen abgeben. Etwa 40 Minuten später ist den Beschreibungen zufolge dieselbe Tätergruppe in der Indersdorfer Straße in Vierkirchen unterwegs, wo sie einen 20-jährigen Mann grundlos angreifen und das Nasenbein brechen.

Zwei junge Frauen im Alter von 23 und 19 Jahre sind um 22 Uhr so betrunken, dass sie auf der Straße laut brüllen. Ein 25-jähriger Anwohner fühlt sich durch den Lärm gestört und ermahnt sie zu Ruhe. Als die Frauen trotzdem nicht leiser werden, schüttet er Wasser auf sie herunter. Eine der Frauen sammelt daraufhin Steine auf, die sie gegen die Fensterscheibe wirft, die dadurch zerbricht. Noch ein Blick in die S-Bahnen zwischen Vierkirchen und München, die teilweise rappelvoll sind - mit jungen Leuten, die teils apathisch wirken. Fahrgäste erzählen, dass sie am liebsten ausgestiegen wären.

Mitten in dieser Love-Parade-Ekstase-Imitation tauchen ab und an junge Leute auf, die durchaus ein Anliegen haben. Die Feuerwehrler aus Fahrenzhausen ärgern sich über Bürger, die gegen den regelmäßig nötigen Probealarm und den Einsatz der Sirenen protestieren. Die Burschen und Mädchen aus Pfaffenhofen an der Glonn setzen ihrer Hütte ein Denkmal, die seit Jahrzehnten eine Art Jugendzentrum der Gemeinde darstellt.

Beschauliches Petershausen

In Petershausen geht es weit ruhiger und gelassener zu. Im Ortszentrum am Pertrichplatz haben sich ein paar Tausend Besucher versammelt, um den 44. Faschingszug in Petershausen zu sehen. Der beginnt in der Kirchstraße mit etwas Verzögerung kurz nach 14 Uhr. Helga Stempfl, Frau des Komitee-Vorsitzenden Gottfried Stempfl, steht in luftiger Höhe in einer Box, die am Ende eines Baggerauslegers montiert ist. "Es dauert noch ein bisschen, trinkt, tanzt oder schmust ein bisserl, bis es los geht", muntert sie die Besucher auf. Einige beobachten das Schauspiel entspannt auf den Freischankplätzen des Cafés Kloiber.

Dann sind die ersten Wagen des Zuges zu sehen, an dessen Spitze die Lokomotive des Petershausener Faschingskomitees fährt. Dahinter folgt ein kleiner Wagen, der sich für ein Spaßbad in Peterhausen einsetzt. Ein anderer befasst sich mit einer Rennstrecke um Petershausen, auf der es um den "Großen Preis von Klein-Venedig" geht. "Volle Fath voraus, stangalgrad ins Aus", hat der "Rennstall Petershausen" gedichtet. Nach dem Ende des Zuges können die Besucher in der Mehrzweckhalle weiterfeiern. Dort spielt die Band "Chikeria" auf. Komitee-Vorsitzender Stempfl verlost unter den Zugteilnehmern drei Fässer Bier. Auftreten werden die Fahrenzhausener Teeny-Garde und das Prinzenpaar Isabella I. und Josef II. aus Fahrenzhausen und Kammerberg, das mit Gefolge und Garde Hof halten wird.

Mehr Bilder online: www.sueddeutsche.de/dachau

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