Süddeutsche Zeitung

Große Koalition:Unerträglich, untragbar und inakzeptabel

SPD-Politiker aus dem Landkreis stellen sich in der Causa Maaßen hinter die Spitzenkandidatin Natascha Kohnen.

Von Clara Nack und Anna-Elisa Jakob, Dachau

"Ich sehe keine Zukunft für die aktuelle Koalition", stellt Sören Schneider, Stadtrat und Ortsvorsitzender der SPD in Dachau, fest. Hintergrund ist die Entscheidung der Großen Koalition um den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. Nach einem langen Streit zwischen den Regierungsparteien CDU, CSU und SPD soll dieser nun als Staatssekretär von Horst Seehofer ins Innenministerium versetzt werden. SPD-Parteichefin Andrea Nahles trägt diese Entscheidung mit, wollte die Regierung nicht für eine einzige Personalie aufs Spiel setzen - und erhält dafür viel Kritik aus den eigenen Reihen. Unter anderem von Natascha Kohnen, Spitzenkandidatin der SPD für die bayerischen Landtagswahlen: Sie positionierte sich bereits offen gegen die Vorgehensweise von Andrea Nahles, dem angeschlagenen Maaßen zu noch größerer Verantwortung zu verhelfen, findet sie "nicht akzeptabel".

Wie sieht das die Parteibasis der SPD im Landkreis? "Die Reaktion von Natascha Kohnen finde ich gut", sagt Bezirkstagskandidatin Martina Tschirge. "Wir müssen jetzt klar Stellung beziehen". Die Bundespolitik werfe gerade einen dunklen Schatten über den lokalen Wahlkampf, das weckt Verzweiflung bei der Kommunalpolitikerin. Die Themen, die für den Landkreis wichtig seien, gingen durch dieses "Schauspiel" in Berlin unter. "Das ist ein Machtkampf, der sich nicht an den Bedürfnissen der Bürger orientiert", schimpft Tschirge. Damit kritisiere sie ausdrücklich auch die Parteivorsitzende Andrea Nahles.

Der Umgang mit der Personalie Maaßen sei unerträglich, findet Harald Dirlenbach, Bürgermeister der Gemeinde Vierkirchen. Wenn ein hochrangiger Beamter wie Maaßen an die Öffentlichkeit gehe und über die Stränge schlage, müsse er abgesetzt, nicht versetzt werden, fasst der SPD-Politiker zusammen. Trotzdem gebühre die eigentliche Kritik Innenminister Horst Seehofer, finden die kommunalen Vertreter der SPD. Der Ortsvorsitzende Sören Schneider betont: "Die Versetzung von Maaßen finde ich unnötig, Seehofer sollte die Verantwortung tragen." Dennoch sei diese Entscheidung eine starke, kalkulierte Provokation gegenüber der SPD gewesen, da ist sich Schneider sicher. Ob das Vertrauen innerhalb der Koalition noch für eine weitere Zusammenarbeit ausreicht? Nein, meint der SPD-Stadtrat, "dann lieber ein Ende mit Schrecken".

Martin Güll, Landtagsabgeordneter der SPD, sieht das ähnlich: "Vieles spricht dafür, dass es bald zu Ende geht. Wir können uns Seehofers Aussetzer nicht mehr gefallen lassen". Er deutet an, dass eine Entlassung des Innenministers das Weiterleben der Großen Koalition bestimme. Für ihn gilt: "Wenn Merkel ihn nicht rausschmeißt, dann machen wir nicht mehr mit". Martina Tschirge sieht die SPD in einem Dilemma, Neuwahlen bewertet sie als Gefahr: "Wie lange würde es wohl dauern, bis wir dann eine neue Regierung hätten?"

Stefan Brix, Kreisvorsitzender der Jusos, sieht genau hier das Problem der Großen Koalition: "Beide Seiten der Koalition versuchen diese nur aufrecht zu erhalten, um Neuwahlen und eine stärkere AfD zu verhindern". SPD-Bürgermeister Dirlenbach bezeichnet den aktuellen Kompromiss der Koalitionsspitzen als einen "reinen Selbsterhaltungstrieb" einer Bundesregierung, die ihr Gesicht wahren möchte.

Doch nicht nur die kürzlichen Ereignisse lassen Dirlenbach am Nutzen der Großen Koalition zweifeln. "Mein persönlicher Eindruck ist, dass die Koalition nichts von dem zustande gebracht hat, was versprochen wurde", sagt er. Der Landtagsabgeordnete Güll kommentiert: "Unter den jetzt gegebenen Bedingungen hätten wir niemals bei einer Großen Koalition mitgemacht." Diese Enttäuschung spürt auch Stefan Brix innerhalb seiner Partei: Die versprochene Erneuerung der SPD sei eine Bedingung für den Eintritt in die Große Koalition gewesen. Davon sei aber bislang noch nichts zu spüren - "alles geht so weiter wie bisher". Vor der Bundestagswahl seien die Mitgliederzahlen der Jusos im Landkreis gestiegen, seit dem Beginn der Großen Koalition sei aber die Hälfte der neuen Mitglieder bereits wieder ausgetreten.

Wie es für die SPD im Wahlkampf weitergeht? Am Samstag baut die Partei in Dachau ihren ersten Infostand auf. Martina Tschirge sagt, ihr würde es jetzt schon vor den Reaktionen der Wähler grauen. Wer will es ihr verdenken.

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SZ vom 21.09.2018
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