Süddeutsche Zeitung

Glücksspiel in Bayern:Gemeinderäte düpieren Verwaltung

Immer mehr Geld wird an Automaten verzockt. Die bayerischen Kommunen warten ungeduldig auf ein Gesetz der Staatsregierung das die Genehmigung von Spielhallen erschweren soll. Denn bisher haben die Gemeinden wenig in der Hand, wie das Beispiel Karlsfeld zeigt.

Gregor Schiegl

Die Gemeinde Karlsfeld wehrt sich mit allen Mitteln gegen die Ansiedlung weiterer Spielhallen. Einen Antrag, ein Sonnenstudio an der Münchner Straße in eine Spielhalle umzunutzen, lehnte der Bauausschuss am Mittwoch geschlossen ab. Zugleich verlängerte er eine Veränderungssperre für das Gebiet des Bebauungsplanes nördlich des Würmkanals östlich der B 304 um ein weiteres Jahr. Dagegen reichte ein Glücksspielbetreiber Normenkontrollklage ein. Die Gemeinderäte zeigten sich unbeeindruckt: "Wir brauchen eine klare Linie, und die müssen wir konsequent durchziehen", sagte Dag Hogh-Binder (CSU).

Stefan Handl, Sprecher der CSU-Fraktion, äußerte sich grundsätzlich: "Glücksspiel ist ein Problem in der Gesellschaft, dem immer mehr Menschen zum Opfer fallen." Das bestätigen die Zahlen der Landesstelle für Glücksspiel in Bayern: Ließen die Spieler im Jahr 2000 noch knapp 240 000 Euro an den 13 Automaten in Karlsfeld, waren es 2010 schon mehr als 280 000 Euro. "Da geht es um Menschen, die ihre Existenz zerstören und ihre Familien in den Abgrund ziehen", sagte Gemeinderat Hogh-Binder.

Noch dramatischer sind die Zahlen für Dachau: Dort verdaddelten Spielhallenbesucher im Jahr 2000 rund 660 000 Euro, 2010 waren es schon mehr als zwei Millionen. Dem Jahrbuch Sucht 2010 zufolge wird mit Automaten deutschlandweit ein Umsatz von rund 3,25 Milliarden Euro jährlich gemacht. Und die Branche wächst rasant. Das lässt sich auch an den Zahlen der Landesstelle für Glücksspiel für Dachau besonders ablesen: 1998 gab es in der Großen Kreisstadt noch keinen einzigen Glücksspielautomaten, zwei Jahre später waren es vier Standorte mit 36 Automaten, 2008 fünf mit 58 Automaten, 2010 verzeichnete die Landesstelle sechs Standorte mit 96 Automaten.

Verhindern kann eine Kommune Spielhallen kaum: Nach dem Baurecht sind sie in Misch-, Kern- und Gewerbegebieten grundsätzlich zulässig. Erreicht die Gemeinde eine Anfrage ist es für eine Bebauungsplanänderung zu spät. Es sei denn, man legt eine Veränderungssperre über das Gebiet, um sich die notwendige Zeit zu verschaffen - so wie Karlsfeld.

Wir haben mit der Thematik der Vergnügungsstätten schon länger zu kämpfen", klagte die stellvertretende Bauamtsleiterin Simone Hotzan. "Aber das ist gar nicht so leicht." Auch nach zwei Jahren ist der Gemeinde nicht gelungen, einen neuen Bebauungsplan aufzustellen. Hotzan: "Es hat immer wieder Gesetzesänderungen gegeben, deswegen läuft das so zäh." Die bayerischen Kommunen warten ungeduldig auf ein Gesetz der Staatsregierung, das die Genehmigung und den Betrieb des gewerblichen Automatenspiels erschweren soll.

Die Rechtslage erscheint so wackelig, dass die Rathausverwaltung sogar empfahl, einem Antrag stattzugeben, an der Münchner Straße über einer bereits bestehenden Spielhalle "ausnahmsweise" eine zweite zuzulassen. Dies könne "die Veränderungssperre auf stabilere Füße stellen", so die Argumentation der Rechtsberatung der Gemeinde.

Dagegen liefen alle Fraktionen Sturm: "Ich finde es geradezu paradox, einerseits eine Veränderungssperre zu verhängen und gleichzeitige eine Maximallösung zu erlauben", sagte Hiltraud Schmidt-Kroll (SPD). Außerdem widersprachen mehrere Räte der Darstellung der Verwaltung, es gebe wegen der bereits bestehende Spielhalle keine Beschwerden. Bernd Wanka (CSU), selbst Anlieger, klagte über die laute Musik. Die meisten Nachbarn hätten deshalb "fast schon resigniert". (Kommentar)

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SZ vom 15.06.2012
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