Glasbläser Hajo Mück:Der Tüftler

Hajo Mück hat nach einem erfolgreichen Leben als Patentingenieur die Glasbläserei entdeckt und eigene Verfahren erfunden. Sein Haus in Dachau ist eine Melange aus Werkstatt und Gesamtkunstwerk

Von Petra Neumaier, Dachau

Eigentlich weiß man gar nicht, wo man anfangen soll: beim Haus, das die Wärme eines englisches Cottages ausstrahlt und hinter dessen vielen Zimmertüren - einem Adventskalender gleich - sich immer neue Überraschungen verstecken? Oder beim Atelier, in dem riesige Öfen selten lange darauf warten, Rohglas für außergewöhnliche Gläser zu schmelzen? Oder aber bei den unterirdischen Werkstätten, in denen Hajo Mück an neuen Verfahren tüftelt, an Möbeln sägt oder an Bildhauereien feilt?

Vielleicht beginnt man deshalb bei dem fast 70-jährigen Künstler selbst. Dessen geschickte Hände werden anscheinend nicht müde, all dem, was sich sein Verstand ausdenkt, eine Form zu geben. Hajo Mück, der Patentingenieur in Rente, ist für sich allein schon ein Gesamtkunstwerk. Einer, der sich über die Grenzen des bekannt Möglichen hinwegsetzt - wie der Drache, der auf der Stirnseite des Ateliers im gotischen, bleiverglasten Fenster über das Land fliegt. "Man findet immer eine Lösung", sagt der Dachauer irgendwann ganz nebenbei. "Die Frage ist nur, wie intensiv man sich um sie bemüht."

Bücher. Überall Bücher. Gestapelt und eng aneinandergedrückt. Kunst- und Bildbände über Glas und andere Kunst, Architekturen und ihre Schöpfer. Hajo Mück hat erst kürzlich gezählt: 13 Regale sind es, die mit einzigartigen Gemälden abwechselnd die Wände zieren. Hier und da sind auch besondere Erinnerungstücke dabei, wie die von seinen Arbeitskollegen. 35 Jahre lang war Hajo Mück, der studierte Elektrotechniker, Leiter der Patentabteilung bei der Banknotendruckerei Giesecke & Devrient in München. Als er 2004 in Rente ging, ehrten ihn seine Mitarbeiter unter anderem mit einem Geldschein mit seinem Konterfei - inklusive Wasserzeichen "und Bild von meinem Haus", sagt er so stolz, wie er auch durch sein Heim führt.

Glasbläser Hajo Mück: Selbstbildnis: Hajo Mück ist wie der Drache, der auf der Stirnseite des Ateliers im gotischen, bleiverglasten Fenster über das Land fliegt.

Selbstbildnis: Hajo Mück ist wie der Drache, der auf der Stirnseite des Ateliers im gotischen, bleiverglasten Fenster über das Land fliegt.

(Foto: Toni Heigl)

20 Jahre lang hat er es mit eigenen Händen ausgebaut. Stück für Stück und inklusive Stuck. "Meine Frau ist ein Engel, dass sie die Dauerbaustelle so geduldig ertragen hat", sagt Hajo Mück voller Bewunderung. Die Glasmacherwerkstatt ist sein Platz. Mit seinen Werkzeugen, Werkbänken und Regalen und vor allem mit den riesigen Schmelz- und Kühlöfen, die den Raum dominieren. Wenn sie glühen, wenn bei bis zu 1300 Grad Celsius das harte Glas so weich wie Kaugummi wird und schließlich dem unbeugsamen Willen des Glasmachers nachgibt, öffnet sich nicht nur dessen Herz, sondern auch das Dach, um die flirrende Hitze entweichen zu lassen.

Meist ist Hajo Mück hier für sich allein, und nur hin und wieder braucht er Hilfe. Wenn er mal ein großes und für einen Mann zu schweres Objekt verwirklichen will. In Formen gehüllt wiegen sie zuweilen 15 bis 20 Kilogramm - die im glühenden Zustand gedreht, gewendet und jongliert werden wollen. "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" steht nicht umsonst auf der Atelierwand geschrieben. Und: "Es ist ein unendlich Kreuz, gut Glas zu machen." Ein alter Spruch aus dem Bayerischen Wald.

Dort, wo der Dachauer 1988 Feuer gefangen hat. Durch Zufall war er damals auf eine Anzeige der Sommerakademie in Frauenau gestoßen und hatte sich angemeldet. Seine Augen glänzen: "Es war wie ein Virus, das mich befiel und seitdem nicht mehr loslässt", erzählt Hajo Mück, der ab diesem Zeitpunkt zum Lernen zehn Jahre lang jeden Sommerurlaub im "Bildwerk" in Frauenau verbrachte. Später auch in anderen Hütten in Deutschland, in Österreich und in Tschechien.

Glasbläser Hajo Mück: Hajo Mück, Glaskünstler und Erfinder.

Hajo Mück, Glaskünstler und Erfinder.

(Foto: Toni Heigl)

Seit einigen Jahren ist er in seiner eigenen "Glashütte" zu finden. Oben am Ofen beim Glasblasen oder "Glasmachen", wie der Fachmann sagt, unten bei den Feinarbeiten. Beim Schneiden, Schleifen und Polieren. Eine Treppe führt unter das Atelier, wo sich erstaunlich große Räume öffnen. Denn der Künstler arbeitet nicht nur an Glas. Hier schreinert er, baut Modelle, verrichtet Schlossereiarbeiten und modelliert. Und hier experimentiert er auch. Akribisch tüftelt Hajo Mück dabei Methoden aus, die selbst Fachleute nicht für möglich hielten. Wie die Verfahren, Fotos aus Glas herzustellen.

In schwarz-weiß und farbig - feiner als graviert und bis ins allerkleinste Detail. "Kameographie" nennt der Erfinder die weltweit einzigartige Technik, die er 2007 zu entwickeln begann und die bislang nur er beherrscht. Bekannte Künstler der Glasszene, Schauspieler, dem Verfall preisgegebene Häuser (denen Hajo Mück selbst verfallen ist), aber auch Schlösser und König Ludwig daselbst bannt er mit diesem Verfahren auf und in Glas: als Bild, in Briefbeschwerer und in die Böden von Vasen. In seinem unterirdischen Ausstellungsraum finden sich viele Beispiele davon, neben einigen der 41 verschieden-bunten Glas-Teddybären, die Mück für das "Eisch Jahresprojekt 1996" gefertigt hat. Einen goldenen schickte er damals sogar Thomas Gottschalk, "er hat sich aber nie bedankt".

Außergewöhnlich sind die Schreinerarbeiten des Künstlers, die riesige Holzzahnbürste nebst aufgerollter Holz-Zahnpasta-Tube, die stylischen Barhocker aus blank poliertem Holz und die Standuhr mit Sitz: "Die Zeit geht, der Mensch sitzt", sagt er und lacht. Selbst sein Gartenhaus ist nicht von der Stange: ein riesiger Kopf, dessen weit aufgerissener Mund als Eingang dient. Bei Hajo Mück ist eben nichts gewöhnlich oder zufällig. Nicht der milchgläserne Fußboden des Wintergartens, der dank geschickt positionierter Spiegel Sonnenlicht auf das Zeichenbrett und die Werkbank des unteren Ateliers lenkt; nicht die Lasten-Hebebühne, die sich unter einem Teppich im Keller versteckt. Auch nicht der eckige Turm, in dem eine freischwebende Treppe hinauf zur Goldschmiedewerkstatt führt. Die Türen und der Hauptaufgang des Hauses sind gerettete Relikte eines dem Abbruch geweihten Hauses: "Wir wollten ein neues Haus - mit dem Charme eines alten." Das beinahe fensterlose Bad wird mit einem erleuchteten Pseudo-Fenster erhellt, als schiene draußen die Sonne. "Alles ist genau geplant", sagt Hajo Mück, der gute Ideen hat und den Kopf, sie durchzusetzen.

Früher, erzählt er und meint die ersten Jahre seiner Rente, habe er viel mehr Zeit in seinen Werkstätten verbracht. Da kam er nur zum Essen rauf. Jetzt sei er ruhiger geworden, "das genehmige ich mir jetzt". Gerne würde Hajo Mück mit jungen Leuten zusammenarbeiten. Ein paar Mal war er schon in der Kunstakademie, wo er Studenten die Techniken seiner Glasarbeiten beibringen möchte. Er hätte gerne mehr Eindruck hinterlassen. Er hingegen brennt - für die Kunst anderer Künstler genauso, wie für seine eigene. Ausstellungen und Wettbewerbe bestückt Hajo Mück seit 1991. In Deutschland, Österreich, Japan, Tschechien und USA. Doch seine Kunst gewerblich anbieten, liegt ihm fern.

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