Gewaltexzesse im Landkreis:Kultur der Maßlosigkeit

Nach den Volkfesten im Landkreis Dachau läuft im Amtsgericht regelmäßig ein Aktenberg auf. Doch nicht die Feste selbst oder der Alkohol sind verantwortlich für die Gewaltexzesse, sondern eine Kultur der Maßlosigkeit.

Gregor Schiegl

Zwei junge Männer gehen grundlos auf einen Mann los, misshandeln ihn und bedrohen sein Leben. Bei den Tätern handelt es sich nicht um Underdogs, deren Frust sich gewaltsam Bahn bricht. Es sind zwei sozial gefestigte Menschen, Studenten mit großen Plänen. Und sie wurden auch nicht provoziert.

Wiesnbierprobe in München, 2010

Auf den Volksfesten im Landkreis wird viel Bier konsumiert. Wenn die Zelte schließen, kommt es regelmäßig zu Schlägerein.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Einen sanftmütiger auftretenden Menschen als den kleinen Zeitungsausträger, der den beiden zum Opfer fiel, kann man sich kaum vorstellen. Wie kann es sei, dass so jemand mit dem Tod bedroht wird, über quälende zwanzig Minuten hinweg?

Der Fall, denn Richter Lukas Neubeck am Amtsgericht verhandelte, ist verstörend, weil er scheinbar völlig unmotiviert und grundlos geschah. Aber nichts geschieht grundlos. Der Richter spricht aus Erfahrung, wenn er von einem Beispiel spricht, "was Alkohol aus unbescholtenen Bürgern machen kann". In diesem Fall beinahe Mörder.

Die Verantwortung reicht weit über die individuelle Schuld der beiden Täter hinaus. Beim Amtsgericht läuft nach den Volksfesten in Dachau, Indersdorf und Karlsfeld regelmäßig ein Aktenberg auf. Die Volksfestwochen sind die Zeit des anything goes, auch und gerade in Dachau: Die Kneipen um das Festgelände schenken aus bis in die Morgenstunden.

Zu den Zechern gehörten auch die beiden Tätern. 1,7 und 1,8 Promille: Sie hatten mehr als genug; es wäre vermutlich ein lustiger Abend geblieben, hätte manihnen rechtzeitig den Hahn zugedreht. Aber das traut die Stadt sich nicht aus Rücksicht aufs Geschäft und falsch verstandener Folklore. Sie leistet selbst Exzessen Vorschub, die sie mit naiven Saftbar-Projekten für Jugendliche versucht zu unterbinden.

Nicht das Volksfest ist das Problem, nicht einmal der Alkohol - es ist die Kultur der Maßlosigkeit. Statt den enthemmten Besuchern Grenzen setzen, werden auch noch die letzten Leitplanken beseitigt, um den Absturz zu erleichtern. Dieser Absturz kann tödlich enden. Für die Besucher, aber auch für Unbeteiligte. Spaß ist das keiner mehr.

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