Gesundheitsversorgung:Kritik an Psychiatriekonzept

Eine Gesetzesänderung erschwert auch dem Isar-Amper-Klinikum die stationäre Behandlung über längere Zeit. Darin sieht eine Expertin Nachteile für die Patienten

Von Ingrid Hügenell, Fürstenfeldbruck

Angela Maria Zander übt harte Kritik am KBO-Isar-Amper-Klinikum Fürstenfeldbruck. Die Psychologin ist vom Amtsgericht bestellte Betreuerin und Verfahrenspflegerin für die Landkreise Fürstenfeldbruck und Dachau. Ihrer Ansicht nach funktioniert das teiloffene Konzept der psychiatrischen Klinik nicht wirklich gut. Diese hatte kürzlich nach zwei Jahren Bestehen eine positive Bilanz gezogen. Zander sagt, sie habe viel Erfahrung mit psychisch erkrankten Menschen und auch mit dem Klinikum. Die positive Bilanz könne sie nicht teilen.

In der Umsetzung bedeute das geschlossen-offene Konzept der KBO, dass Menschen, die auf Grund ihrer Erkrankung eigentlich geschlossen untergebracht werden müssten, auf eine teil-offene Station kämen. "Die Idee ist sicher gut und entspricht dem begrüßenswerten Trend weg von einer 'Wegschließpsychiatrie' hin zur Patientenorientierung", erklärt Zander. Das funktioniere für viele Patienten auf der psychiatrisch-geschützten Station tatsächlich, für viele aber eben auch nicht.

Immer wieder, so berichtet Zander, spazierten Patienten einfach durch die offene Tür hinaus. Sie würden dann oft von der Polizei gesucht und zurückgebracht. Häufig würden sie aber auch als "entlassen" erklärt. "Im vergangenen Jahr ist eine Klientin von mir sechsmal von der vermeintlich geschlossenen Station entwichen, und dies ist kein Einzelfall", berichtet Zander. Sie glaubt, dass es für einen psychisch erkrankten Menschen oftmals entlastend sei, wenn von außen klare Strukturen vorgegeben würden. "Pseudofortschrittliche Strukturen wie geschlossen-offene Stationen" überforderten psychisch kranke Menschen oft.

Gesundheitsversorgung: Immer wieder verlassen Patienten das Fürstenfeldbrucker Klinikum, obwohl sie noch Behandlung bräuchten.

Immer wieder verlassen Patienten das Fürstenfeldbrucker Klinikum, obwohl sie noch Behandlung bräuchten.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Zander berichtet, dass auch Menschen mit einem Gerichtsbeschluss, der die geschlossene Unterbringung anordnet, eben nicht in den geschlossenen Bereichen, sondern auf der teil-offenen Station untergebracht würden. Haue dann jemand ab, sagten die Ärzte schon mal, der sei unauffällig gewesen und entließen ihn nachträglich. Das passiere relativ häufig, etwa bei jedem dritten ihrer Patienten, die einen Unterbringungsbeschluss hätten. "Das hat den Effekt, dass Patienten oftmals ein paar Tage später und in wesentlich desolaterem Zustand wieder eingeliefert werden, weil die Behandlung eben doch nicht abgeschlossen war", sagt die Psychologin. "Ich sehe das Problem auch", sagt Nicolay Marstrander, Chefarzt der Klinik Fürstenfeldbruck. Dass Menschen nicht lange genug behandelt würden, liege aber nicht an der Fürstenfeldbrucker Klinik, sondern an den gesetzlichen Vorgaben, erklärt der Psychiater und Psychotherapeut. "Das passiert in allen Kliniken."

Denn seit einer Gesetzesänderung vor zwei Jahren gebe es eine viel höhere Schwelle für Zwangsbehandlungen. "Wir sehen Menschen, die sehr krank sind, die ohne Wenn und Aber behandelt werden müssten, aber uns sind die Hände gebunden." Ein Unterbringungsbeschluss gelte für 24 Stunden, erklärt Marstrander. Viele Patienten hätten sich danach wieder beruhigt und könnten entlassen werden. Andere sähen ein, dass sie Hilfe bräuchten und blieben freiwillig in der Klinik. Wenn aber jemand nach dieser Zeit weder sich selbst noch jemanden anders gefährde und nicht bleiben wolle, müsse man ihn gehen lassen. "Die akute Selbst- oder Fremdgefährdung bestimmt, ob wir einen Patienten auch gegen seinen Willen festhalten dürfen."

Um jemanden länger in der Klinik behalten zu können, brauchen die Ärzte Marstrander zufolge einen Behandlungsbeschluss, den sie beim Vormundschaftsgericht erwirken müssen. Das heiße aber noch nicht, dass man jemanden auch behandeln dürfe, wenn der nicht damit einverstanden sei. Seit der Gesetzesänderung dürfe man niemandem mehr zwangsweise Medikamente geben, außer bei einer akuten Gefährdung. "Das ist hochgradig unbefriedigend." Die Leute seien dann mehrere Wochen in der Klinik, wollten aber nicht da sein und medikamentös behandeln dürfe man sie eben auch nicht. "Da versuchen wir es dann mit Beziehungsarbeit um Behandlungsbereitschaft zu erarbeiten." Es gehe aber um Einzelfälle. Auch früher habe es schon psychisch Kranke gegeben, die nicht einsahen, dass sie krank waren. Diese Patienten seien zwangsweise in die Psychiatrie eingewiesen worden. Dann habe man sie sechs Wochen unter Zwang medikamentös behandelt. Nach der Entlassung hätten sie sofort ihre Medikamente abgesetzt, die Behandlung abgebrochen und der Zyklus habe von vorne begonnen. "Die langfristigen Perspektiven wurden dadurch eher schlechter als besser. Und die Psychiatrie war immer der Feind."

Gesundheitsversorgung: Chefarzt Nicolay Marstrander beklagt den Mangel an niedergelassenen Psychiatern.

Chefarzt Nicolay Marstrander beklagt den Mangel an niedergelassenen Psychiatern.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Heute hingegen versuche man ein individuelles Behandlungskonzept zu entwickeln und mit den Patienten zusammen zu arbeiten. "Manche erreichen wir nicht. In Einzelfällen geht die neue Gesetzgebung zu Lasten der Patienten", sagt der Psychiater. Insgesamt aber halte er den neuen Weg für besser.

Die neuen Wege in der Psychiatrie sieht auch Zander durchaus positiv. Es funktioniere aber an der Fürstenfeldbrucker Klinik nach zwei Jahren noch nicht alles reibungslos, das höre sie auch von Polizeibeamten, Richtern und Kollegen. Sie wünsche sich deshalb einen Dialog zwischen der Klinik, Betreuern und Betroffenen darüber, was gut laufe und wo möglicherweise Verbesserungsbedarf bestehe.

Ein großes Problem, das beide ansprechen, ist, dass es nicht genug niedergelassene Psychiater gibt. Im ganzen Landkreis mit seinen etwa 214 000 Einwohnern sind es gerade vier Psychiater mit eigener Praxis. Viel zu lange Wartezeiten sind die Folge, manche nehmen gar kein neuen Patienten auf. Die Ambulanz an der Klinik bietet für Notfälle Krisensprechstunden an. Den Mangel an Fachärzten könne man aber nicht auffangen, sagt Marstrander. Die Versorgung reiche einfach nicht aus.

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