Süddeutsche Zeitung

Gesundheitsversorgung im Landkreis Dachau:Auf dem Land fehlen die Doktoren

Experten diskutieren kontrovers über die gesundheitliche Versorgung im Landkreis Dachau. Nach Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung ist die Region nahezu überversorgt, trotzdem gibt es lange Wartezeiten in den Praxen

Von Julia Putzger, Dachau

Geht es um die ärztliche Versorgung in der Region, dann werfen Experten gerne mit allerlei Zahlen um sich. 109,62 Prozent etwa beträgt der Versorgungsgrad bei Hausärzten im Planungsbereich Dachau - und schrammt somit um weniger als einen halben Prozentpunkt an der Überversorgung vorbei. Ein Blick in Wartezimmer oder Terminkalender von Arztpraxen liefert jedoch meist andere Bilder: Mehrere Wochen oder gar Monate auf einen Behandlungstermin zu warten, scheint keine Seltenheit zu sein. Wie also sieht es mit der gesundheitlichen Versorgung im Landkreis tatsächlich aus? Dieser Frage versuchten verschiedene Akteure aus dem Gesundheitswesen und der Politik am Dienstagabend bei einer von der Gesundheitsregion Plus veranstalteten Expertenrunde auf den Grund zu gehen. Passgenaue Rezepte für vorhandene Probleme gab es zwar keine, dafür ein erstes Aufeinandertreffen aller Beteiligten und einen Überblick über Verbesserungsmöglichkeiten.

Eingeladen waren unter anderem der Sprecher des ärztlichen Kreisverbandes, Hans-Ulrich Braun, und Sebastian Eckert von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) vom Referat für strategische Versorgungsstrukturen und Sicherstellung. Deren Statements waren es dann auch, die die Diskrepanz zwischen der Versorgungssituation auf dem Papier und der tatsächlichen Situation beispielhaft illustrierten. "Die Region ist gut versorgt, jetzt müssen wir nur schauen, wie wir das beibehalten", erklärte Eckert, während Braun vor allem von strukturellen Problemen sprach. Ein früherer Hausarzt werde etwa durch 1,6 "neue" Ärzte ersetzt. Denn heute wolle ein junger Hausarzt nicht mehr 80 Stunden pro Woche arbeiten und rund um die Uhr für seine Patienten erreichbar sein, sondern achte auf seine Work-Life-Balance. Hausbesuche und Nachtdienste kämen für viele nicht mehr in Frage ergänzte Stefano Giusto, der in der Präsenzberatung Oberbayern der KVB arbeitet. Probleme also, die nicht nur Dachau, sondern ganz Deutschland betreffen.

Um dem entgegenzuwirken, gebe es verschiedene Förderkonzepte, wie Bernhard Seidenath (CSU), Vorsitzender des Landtagsausschusses für Gesundheit und Pflege, erklärte: Bei Niederlassung in einer Gemeinde mit weniger als 20 000 Einwohnern gibt es beispielsweise bis zu 60 000 Euro für den Arzt. Stipendien, die angehende Medizinstudenten zur späteren Tätigkeit im ländlichen Raum verpflichten, ihnen aber gleichzeitig das Ergattern eines der begehrten Studienplätze erleichtern, sollen ebenfalls zur Lösung des Problems beitragen.

Doch was bringt das, wenn faktisch nicht die Möglichkeit für einen Hausarzt besteht, sich im Landkreis niederzulassen? Schließlich gilt eine Region ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent als überversorgt. Und selbst wenn dies nicht der Fall wäre, könnte ein Arzt innerhalb des Planungsbereichs trotzdem frei wählen, wo er sich ansiedelt. Er müsste also zum Beispiel nicht nach Petershausen, wo seit Jahren ein Arzt gesucht wird, sondern könnte seine Praxis auch in der Stadt Dachau eröffnen. Darüber zeigte sich Landrat Stefan Löwl (CSU) verwundert, gar verärgert. Doch Eckert entgegnete: "Wenn wir innerhalb des Planungsbereichs auch noch reglementieren, würde das die Nachwuchssituation sicherlich nicht verbessern. Wir verteilen keine Hydranten und Laternenmasten, sondern Ärzte. Das sind auch Menschen."

Wo aber der Mensch in der ganzen Debatte rund um die ärztliche Versorgung bleibt, das fragte sich Karl Walter, Initiator des Karlsfelder Parkinsontreffs, bei der anschließenden Diskussion. Er habe das Gefühl, das es stets nur um die mathematische Lösung des Problems gehe, nicht aber um den Patienten und die tatsächlich erbrachte Leistung des Arztes.

Ein weiteres Problem stellte das Publikum fest: Zwar gelte der Landkreis bei der Versorgung mit Psychotherapeuten mit 318,4 Prozent als mehr als überversorgt, in der Realität sei das aber trotzdem zu wenig, die Wartezeiten enorm lang. Eine Zuhörerin, die mit der Thematik offenbar vertraut war, erklärte, dass die Berechnung des Versorgungsgrads auf veralteten Zahlen basiere. "Damals gab es viele der heutigen Krankheitsbilder noch gar nicht, und der Bedarf für Psychotherapie war viel geringer." Eckert verwies auf die für die Planung zuständige Bundesbehörde, die zugegebenermaßen etwas träge sei. Wenn diese aber oft genug davon höre, werde sich schon irgendwann etwas ändern. Überhaupt sollten sich vor allem die Kommunen selbst dafür einsetzen, Ärzte zu gewinnen. Daraufhin fragt der Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD): "Was sollen die Kommunen denn noch alles machen?"

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SZ vom 09.01.2020
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