Süddeutsche Zeitung

Geschichte in Dachau:Rechter Terror

Lesezeit: 3 min

Der Journalist Dirk Walter über den ersten Fememord in Bayern. Das Opfer stammte aus Odelzhausen

Von Thomas Altvater, Dachau

Der Anblick, den die zwei jungen Männer am 6. Oktober 1920 ungefähr zur Mittagszeit im Forstenrieder Park südwestlich von München erhascht haben, muss grausam gewesen sein. Sie stoßen dort auf den an einer Fichte angelehnten, zusammengesackten Körper einer blonden jungen Frau. Mit einer Schnur ist ihr Kopf an den Baum gebunden. Die Strangulationsmerkmale an ihrem Hals lassen keinen Zweifel daran, dass sie erdrosselt worden ist. Ein Zettel aus grauem Backpapier, der über der Leiche am Baum hängt, preist handschriftlich das Motiv der Tötung an: Verrat am Vaterland.

Die Fotos, die die Beamten von der Leiche geschossen haben, befinden sich heute im Münchner Staatsarchiv in einer Akte der Staatsanwaltschaft, die auch der Journalist Dirk Walter geöffnet hat. In einem Artikel in der heimatkundlichen Zeitschrift Amperland hat er das Schicksal der jungen Dachauerin auf insgesamt sieben Seiten historisch fundiert recherchiert und nachgezeichnet. Das Außergewöhnliche an dem Kriminalfall: Es war der erste Fememord, ein politisch motivierter Mord, im noch jungen Freistaat Bayern, ebenso war dies der einzig bekannte Fememord an einer Frau in der Zeit der Weimarer Republik. Der Name der Getöteten: Maria Sandmayr.

Aufgewachsen ist sie in ärmlichen Verhältnissen als Tochter eines Brauereigehilfen in Odelzhausen. Als Heranwachsende versuchte sie, den kargen Verhältnissen zu Hause zu entkommen und nahm eine Stelle als Köchin auf Gut Holzen bei Augsburg an. Dort entdeckte sie ein Waffenversteck, das seit dem verlorenen Ersten Weltkrieg von den Siegermächten verboten war. Weil sie nicht gut behandelt wurde, so vermutet Walter, dürfte sie sich zur Rache gegen den dort residierenden Fürsten entschlossen haben. Sandmayr wollte das Versteck der zuständigen Kommission melden, irrte sich jedoch in der Adresse und geriet dabei an das Mitglied einer streng nationalen Einwohnerwehr. Die Männer der Einwohnerwehr prahlten fortan damit, dass sie den Verrat des Waffenlagers vereitelt hätten. So dürften auch die Täter von Maria Sandmayr erfahren haben.

Es vergingen knapp zwei Wochen, ehe zwei Männer der Einwohnerwehr nach Maria Sandmayr in Odelzhausen und München suchten und sie schließlich fanden. Zuletzt gesehen wurde Sandmayr am Abend des 5. Oktober 1920 auf einer Straße in München, nahe ihrer Wohnung. Sie wurde gerade einmal 19 Jahre alt.

Bereits eine Woche nach dem Mord führten erste Spuren die Ermittler in das Milieu der Einwohnerwehr. Auch gab es laut Dirk Walter den begründeten Verdacht, dass es Verbindungen zur Münchner Polizei gab, die beim Mordfall Sandmayr mit den Tätern unter einer Decke gesteckt haben könnte. Handfeste Beweise gab es hierfür jedoch nie. Vielmehr präsentierten die Ermittler zwei Verdächtige: Hermann Berchtold und Hans Schweighart. Letzterer wurde nach einer Haftbeschwerde Ende 1922 freigelassen, ehe drei Jahre später der Haftbefehl endgültig aufgehoben wurde. Dass es zu keiner Verurteilung kam, lag unter anderem an den 1928 und 1930 beschlossenen Gesetzen, die eine Amnestie für bestimmte politische Morde vorsahen. So besann sich Hermann Berchtold auf dieses Gesetz und räumte in einem Brief an seinen Verteidiger den Mord als eine politische Tat ein. 1931 stellte das LG München I das Verfahren gegen ihn ein. Hans Schweighart wurde 1934 als Gefolgsmann Ernst Röhms im KZ Dachau erschossen. Berchtold trat später der SS sowie der NSDAP bei und spielte bei der Arisierung jüdischer Kunstsammlungen in Österreich eine entscheidende Rolle, wie Dirk Walter recherchiert hat. Seine Spur verliert sich allerdings nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Dirk Walter gelingt in seinem Artikel die zeitgeschichtliche Einordnung des Falls, indem er das Phänomen der nationalen Bürgerwehren aber auch die Fememorde in Bayern zu dieser Zeit aufgreift. Auch überzeugt die Akribie, mit der Walter das Tatgeschehen und die Ermittlungen darstellt. So lässt der Autor in seinem Artikel vor allem Zweifel an der Arbeit der Justiz aufkommen. Diese sei aus heutiger Sicht "haarsträubend" gewesen, wie er schreibt. So sah das Gericht von einer Anhörung des Verdächtigen Hermann Berchtold ab, ehe es das Verfahren einstellte. Auch die Tatbeteiligung Schweigharts sei nicht mehr hinterfragt worden. Für Dirk Walter steht dabei fest: Berchtold war kein Einzeltäter.

Bis heute ist der Kriminalfall nicht aufgeklärt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5361744
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.07.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.