Ein echter Max Ernst - damit hatte an diesem Nachmittag keiner gerechnet. Doch die Kunstsachverständige Désirée Preiss ist sich fast sicher: "Die Handschrift sieht gut aus - zu 99 Prozent ist das ein echter Max Ernst", sagt sie begeistert. Die Besitzerin, eine Dame mittleren Alters, ist sichtlich überrascht. Die Zeichnung eines Auges, in glänzendes Gold gerahmt, befinde sich schon sehr lange im Besitz ihrer Familie. Seit Jahren frage sie sich, wie viel das Kunststück wirklich wert sei. Da bot es sich an, dass die Gemäldegalerie am vergangenen Freitag dazu eingeladen hatte, Kunst schätzen zu lassen.
Ob Gemälde, oder Skulpturen, jeder konnte mit seinen Schätzen vorbeikommen und sich bei den drei Expertinnen Désirée Preiss, Doris Bachmeier (Kunstgewerbe) und Susanne Herbst (Restauratorin) Rat einholen. Während die Restauratorin Tipps zum Umgang mit den Kostbarkeiten gab, klärten die anderen beiden über den Wert und die Herkunft der Stücke auf. Das Konzept ist im Prinzip das gleiche wie in der Fernsehserie des Bayrischen Rundfunks "Kunst und Krempel", in der zwei Experten mitgebrachte Kunst begutachten.
Aber dass jemand mit einem echten Max Ernst hereinspaziert - kaum zu glauben. Wieder und wieder nehmen die Sachverständigen das kleine Kunstwerk unter die Lupe. Begutachten kritisch die Signatur. Analysieren das Motiv und die Technik der Malerei. Eine Mischung aus Zeichnung und Frottage müsse es sein. Frottage von französisch "frotter", reiben, ist ursprünglich eine alte Drucktechnik und typisch für Max Ernst. Mit Kreide oder Bleistift wird die Oberflächenstruktur eines Gegenstandes oder Materials auf ein aufgelegtes Papier übertragen. Der Künstler entdeckte dieses Stilmittell 1925 neu und entwickelte es weiter. In diese Zeit datieren die Expertinnen auch prompt die Entstehung des vorgelegten Werkes.
Bei den Anwesenden herrscht große Aufregung. Mit einer solchen Pretiose hatten Geschäftsleiterin Elisabeth Boser und die drei Fachkundigen an diesem Nachmittag nicht gerechnet. Zu sehen bekamen die Frauen die unterschiedlichsten Gegenstände: eine Teekanne mit Elfenbeingriff, eine bronzene Jugendstilfigur, eine Reproduktion eines Gemäldes des Münchner Malers Mathias Schmid aus dem 19. Jahrhundert und vieles mehr. Die meisten mitgebrachten Kunstgegenstände und Bilder seien zwar hübsch, aber die wenigsten wirklich wertvoll, sagt Elisabeth Boser.
Ein Werk des Surrealisten Max Ernst hingegen sei sehr gefragt auf dem Kunstmarkt. Der Wert liege sicherlich in einem fünfstelligen Bereich, schätzt die Kunstsachverständige Désirée Preiss. Das Auktionshaus Christie's in New York versteigerte im November 2011 ein Werk von Max Ernst, "The Stolen Mirror" aus dem Jahr 1941 für 16,3 Millionen Dollar. Ein anonymer Käufer aus Europa ersteigerte das nur 65 mal 81 Zentimeter große Ölgemälde.
Um das Familienerbstück zu einem angemessenen Preis zu verkaufen, müsste die Besitzerin im Vorfeld die Echtheit des Gemäldes abklären lassen. Dabei spielt auch die Provenienz, also die Herkunft des Kunstwerkes, eine bedeutende Rolle. Besonders im Fall eines Max Ernst wird darauf auf dem Kunstmarkt großen Wert gelegt. In einem Prozess wurden 2011 sieben angebliche Max-Ernst-Bilder für Fälschungen erklärt. Sie gehörten dem Kölner Unternehmer Werner Jäger, dessen Sammlung gefälschter Gemälde zwischen 1995 und 2006 verkauft und versteigert wurde. Der Betrugsgewinn wurde auf 20 bis 50 Millionen Euro geschätzt. Damit handelt es sich i um den bislang größten Kunstfälscherskandal. Es ist nicht auszuschließen, dass es noch weitere gefälschte Werke von Max Ernst gibt. Leider konnte die Besitzerin keine Auskunft über die Herkunft geben.
Als Désirée Preiss der Besitzerin erklärt, dass man das Bild erst einmal von seinem Rahmen befreien müsse, um der Echtheit auf den Grund zu gehen, schaltet sich Susanne Herbst ein. Sie macht auf die kostbare Goldrahmung aufmerksam. Diese sei bestimmt aus einer besseren Kunstgalerie der 50er Jahre; die könne man nicht einfach öffnen. Für sie als Restauratorin sei so etwas heilig.
Diese Entscheidung liegt jedoch in den Händen der Besitzerin. Die gab nicht viel von sich Preis. Geradezu verschlossen wurde sie, als sie erfuhr, mit was sie da in ihrer Tasche spazieren ging. Ein Foto von sich lehnte sie ab - verständlicherweise. Alles, was sie verriet, war, dass sie schon als Kind oft vor dem Gemälde gestanden und in das Auge geblickt habe. Schon damals hatte es sie fasziniert. Ob sie das kostbare Familienerbstück verkaufen will oder nicht, verschwieg sie ebenfalls.
Désirée Preiss gab ihr noch einen Tipp: "Der Trick ist, wenn sie es verkaufen wollen, ein schönes Foto machen zu lassen, es ist ja schließlich schwarz-weiß".