Gerichtsprozess:Hinter jedem Bild ein Schicksal

Dubiose Streaming-Portale locken in Abo-Fallen

Der Angeklagte hatte auf seinem Laptop mehr als 800 Dateien mit kinderpornografischen Material gespeichert.

(Foto: dpa)

Wegen Besitzes und Verbreitung von Kinderpornos ist ein 22-Jähriger aus dem Landkreis Dachau zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Auf den 728 Bildern und 95 Videos sind teilweise sogar Säuglinge zu sehen.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Um Punkt 22.24 Uhr an einem Mittwochabend im Sommer 2019 ploppt auf Instagram ein Video auf. Es zeigt ein Mädchen, schwarze Haare, dunkle Augen, geschätzt keine sieben Jahre alt. Es wird schwer sexuell missbraucht von einem Mann, der unerkannt bleibt. Er, ein 22-Jähriger aus dem Landkreis Dachau, hat den unerträglichen Film damals hochgeladen. Jetzt sitzt er auf der Anklagebank des Amtsgerichtes Dachau. Er muss sich wegen des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornos verantworten. Das Schöffengericht hält ihm Bilder vor, welche die Polizei auf seinem Laptop gefunden hat. Darunter ist auch ein Screenshot des Videos. Auf einem Bildschirm im Gerichtssaal ist jetzt das kleine Mädchen zu sehen, das wohl für immer mit einer Last leben muss.

Es ist ein schwerer Fall, den das Schöffengericht an diesem Montagnachmittag behandelt. Die Polizei fand auf dem Laptop des 22-Jährigen 728 kinderpornografische Bilder und 95 Videos. Davon zeigen 25 Fotos und elf Filme sexuelle Handlungen mit Kleinkindern bis zu zwei Jahren, darunter auch Säuglinge. Überwiegend ist auf den Dateien schwerer sexueller Missbrauch an Kindern zu sehen. "Grausamstes Material", sagt der Staatsanwalt. Dieses besaß und beschaffte sich der Angeklagte nicht nur, er verbreitete es auch über soziale Medien. Einmal verschickte er sieben Bilder über Whatsapp. Ein anderes Mal teilte auf dem Messenger Kik mehrere Dropbox-Links, über die die Empfänger an widerwärtige Videos kamen. Ende August postete der Angeklagte das Video mit dem schwarzhaarigen Mädchen auf Instagram. Das wurde ihm zum Verhängnis.

Das BKA erhielt einen Hinweis aus den USA

Ein US-Bundesgesetz verpflichtet Instagram, das zu Facebook gehört, und andere amerikanische Provider dazu, kinderpornografisches Material zu löschen und zu melden, das es auf ihren Seiten verbreitet wird. Die Internetanbieter müssen die Dateien an das "National Center for Missing and Exploited Children" (NCMEC) schicken, auf deutsch "Nationales Zentrum für vermisste und ausgebeutete Kinder". Die nicht-staatliche Stelle nimmt die Hinweise zu Straftaten gegen Kinder entgegen und leitet sie an Behörden auf der ganzen Welt weiter. Das Bundeskriminalamt erhielt vom NCMEC im vergangenen Jahr mehr als 62 000 Hinweise auf mögliche strafbare Handlungen im Zusammenhang mit Kinderpornografie in Deutschland. Daraus ergaben sich 21 600 Fälle.

Einer davon führte in den Landkreis Dachau. Im Dezember 2019 durchsuchte die Polizei das Haus, in dem der 22-Jährige mit seiner Mutter lebt. Die Beamten beschlagnahmten den Laptop des Angeklagten, eine externe Festplatte sowie mehrere Handys. Zudem stellten sie eine verbotene Waffe sicher, wofür sich der Angeklagte vor Kurzem in einem anderen Verfahren verantworten musste.

Warum er sich die Bilder angeschaut hat? "Extreme Neugier"

Das Gericht will jetzt vom Angeklagten wissen, warum er sich die Bilder und Videos angesehen und verbreitet hat? "Extreme Neugier", antwortet der 22-Jährige, der alle Vorwürfe einräumt. "Eine sehr schreckliche Art von Neugier", fügt er an. Doch eine pädophile Neigung habe er nicht. Der Staatsanwalt hält ihm entgegen: "Da mit Neugier zu kommen, ist schwer verdaulich." Auch Richter Daniel Dorner überzeugt das nur bedingt. "Hinter jedem Bild steckt das Schicksal eines Kindes, dessen Leben zerstört wurde", sagt er zum Angeklagten. Nur weil es Leute wie ihn gebe, die solche Bilder tauschen, "gibt es einen Grund dafür, die Bilder herzustellen". Darauf sagt der Angeklagte nichts.

Der 22-Jährige, der als Elektriker arbeitet, hat kaum Freunde, aber nach eigenen Angaben eine feste Freundin. Seine Freizeit verbringt er meistens vorm PC. Gegenüber der gerichtlichen Jugendhilfe hat er sich als "Stubenhocker" bezeichnet. Vor Gericht gibt er sich abgeklärt. Er redet unaufgeregt, auch als ihn Dorner auf dem Bildschirm im Saal mit Fotos konfrontiert, die der Angeklagte auf seinen Laptop gespeichert hatte. Nur die Hände kann er nicht still halten, immer wieder ballt er abwechselnd die Linke und Rechte zur Faust, die er in die andere offene Hand legt. Die Bilder und Videos habe er sich über Tauschgeschäfte mit anonymen Partnern im Netz beschafft, sagt er. Namen kenne er nicht. Auf viele Fragen des Gerichts sagt er immer wieder: "Weiß ich nicht." Etwa ob sein Instagram-Profil öffentlich zugänglich gewesen sei. Dafür bittet er darum, die externe Festplatte zurückzubekommen, weil darauf seine Musik gespeichert ist.

Das Schöffengericht verurteilt den 22-Jährigen zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung. Außerdem muss er die Kosten den Verfahrens tragen, die in diesem Fall unter anderem wegen der aufwendigen Auswertung der Daten mehrere tausend Euro betragen dürften. Zudem muss er sich bei einer Fachambulanz für Sexualstraftäter melden und sich einer Therapie unterziehen, wenn bei ihm eine pädophile Neigung festgestellt wird. Er wird nach Jugendstrafrecht verurteilt, das Gericht geht von "Reifeverzögerungen" aus. Auch der 22-Jährige selbst sagt: "Ich sehe mich persönlich nicht als Erwachsenen."

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