Gerd Müller in Haimhausen:"Die neue CSU"

Der Bundesminister plädiert, auch zur Bekämpfung der Fluchtursachen, für eine gerechte Politik gegenüber den armen Ländern. Bei seinem Wahlkampfauftritt muss er sich aber vorhalten lassen, dass gerade seine Partei im Landtag Fairhandels-Initiativen blockiert

Von Rudi Kanamüller, Haimhausen

Gibt es einen besseren Ort als das 1984 gegründete Fair-Handelshaus im Haimhauser Ortsteil Amperpettenbach, um über wirtschaftliche internationale Zusammenarbeit und über faire Preise und Entwicklungschancen der armen Länder zu reden? Zum Beispiel für Gerd Müller (CSU), Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der erst einmal überrascht ist von der Größe des Handelshauses, das etwa 140 Weltläden und 300 Aktionsgruppen in ganz Bayern sowie Großverbraucher und Bioläden mit Produkten des Fairen Handels beliefert. Angetan ist Müller zudem von den vielen Besuchern, darunter eine Schulklasse aus dem Unterschleißheimer Carl Orff Gymnasium, die zur Veranstaltung des Haimhauser CSU gekommen sind.

Müller, der seine Sympathie für die Fair-Trade-Bewegung nicht verbirgt, legt nicht nur seine Ideen und Vorstellungen von fairem Handel dar. Der Politiker nimmt sowohl den Landtagsabgeordneten Bernhard Seidenath und die Bundestagsabgeordnete Katrin Staffler wie überhaupt seine ganze Partei in die Pflicht: "Das ist eine Bewegung, die auch in die CSU hineingetragen werden muss." In diesem Zusammenhang bezeichnet er Seidenath und Staffler als "die neue CSU". Aus einem einfachen Grund ist eine grundsätzliche Veränderung der Politik geboten. "Wir leben auf Kosten der Anderen." Deshalb sei die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern Afrikas und der faire Umgang miteinander extrem wichtig.

Die Beispiele, anhand derer Müller seine Vorstellungen darlegte, finden sich zu hunderten in den Regalen des Handelshauses. Eines davon bekam er als Gastgeschenk. Eine 500 Gramm Packung fair gehandelten Kaffees zum Preis von etwas mehr als acht Euro. 50 Cent davon, so rechnete der Minister vor, erhielten die Produzenten, also Frauen und Kinder, die die Bohnen geerntet haben. Aber allein 2,20 Euro entfielen auf die Kaffeesteuer, die der deutsche Finanzminister einbehalte.

Gerd Müller in Haimhausen: Im Amperpettenbacher Fair-Handelshaus (von rechts) Bundesminister Gerd Müller (CSU), Geschäftsführer Markus Raschke und der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath (CSU).

Im Amperpettenbacher Fair-Handelshaus (von rechts) Bundesminister Gerd Müller (CSU), Geschäftsführer Markus Raschke und der Landtagsabgeordnete Bernhard Seidenath (CSU).

(Foto: Toni Heigl)

Die Schlussfolgerung Müllers: "Wir haben auch in Deutschland unfaire Lieferketten." Deshalb: "Die Steuer auf fair gehandelten Kaffee muss weg, um Kaufanreize zu setzen", fordert Müller. Fair gehandelte Produkte dürften nicht noch durch die Steuer verteuert werden. Wenn wir uns der Verantwortung nicht stellten und die Globalisierung gerecht gestalten würden, warnte Müller, "dann werden die Leute zu uns kommen". Die westlichen Industrieländer stellen nur zehn Prozent der Weltbevölkerung, besitzen aber 90 Prozent des Vermögens. Die Industrienationen verbrauchen rund 80 Prozent der Ressourcen. "Das ist nicht fair", sagt Müller. Allerdings liege die Verantwortung für den Planeten nicht allein bei den Parteien. Alle müssten sich angesprochen fühlen. Auch der Staat, der zum Beispiel der größte Einkäufer in Deutschland sei.

Müller appellierte an alle staatlichen Stellen, auf Nachhaltigkeit umzustellen. "Warum sollten Polizei oder Feuerwehr keine fair produzierte Dienstkleidung tragen?" Und: Müssen wir die Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts festschreiben, nur weil wir eine billige Jeans brauchen, die für fünf Dollar eingekauft, aber für rund 100 Euro im Kaufhaus hängt? Müller: "Deren Armut ist unser Reichtum." Dass diese Einsicht in der CSU offenbar noch nicht so verbreitet ist, machte Alexander Fonari vom "Eine Welt - Netzwerk Bayern" in der Diskussion deutlich. Die CSU im Bayerischen Landtag habe entsprechende Fairhandels-Initiativen blockiert, kritisiert Fonari.

In der Diskussion schimpfen Besucher der CSU-Wahlkampfveranstaltung, dass die Politik Themen wie Fair-Trade doch "nur zu Alibizwecken" nutze. Außerdem wird die Frage gestellt, ob die CSU bei ihren Wahlplakaten und Broschüren fair gehandeltes und recyceltes Papier verwende? Und vor allem: Wie könne man Firmen dazu bringen, fair zu produzieren? Die Antwort Müllers: Die Konsumenten müssten Druck ausüben auf diejenigen Unternehmen, die zum Beispiel beim Textilbündnis nicht mitmachten.

Gerd Müller in Haimhausen: SZ-Grafik

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Von der Ausbeutung der Länder der sogenannten Dritten Welt führt die Diskussion zwangsläufig zur Flüchtlingsdebatte. "Das Wort von den Fluchtursachen nehme ich gar nicht mehr in den Mund", sagt Müller. Fest stehe, dass "wir mehr tun müssen" - etwa gegen Kriege wie in Syrien oder im Jemen. Und: "Migration und Flucht lassen sich nicht durch höhere Zäune lösen." Der Bundesminister gehört ja dem liberalen Flügel der CSU an - oder, wie er sagt, der "neuen CSU", die die Verantwortlichen für den Absturz in den Umfragewerten in der Partei im Auge haben.

Langfristige Maßnahmen seien in Afrika nötig, sagt Müller. Die "Eine-Welt-Bewegung" müssten sich alle Parteien zu eigen machen. "Wir müssen herauskommen aus der Nische", appelliert er an die Besucher. Im Blick auf Afrika gibt sich Müller optimistisch. Zwei Dinge, davon ist er überzeugt, "werden die Welt verändern". Das seien Ausbildung und Frauen. Müller sagt: "Frauen werden Afrika retten." Zuvor hatte Kreisbäuerin Emmi Westermeier über ein gemeinsames Projekt der Landfrauen mit Bäuerinnen aus Ghana berichtet.

Ungeachtet der Menschenrechtsdebatte in der Türkei bescheinigt Müller dem Land "eine große Leistung" bei der Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen. Die Türkei hat drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Deshalb sei auch das Abkommen der Türkei mit der EU richtig, sagt der Bundesminister auf die Frage von Lukas Hejda, 17, vom Carl Orff-Gymnasium. Müller hat noch ein weiteres Beispiel parat: Uganda habe beispielsweise eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Müller: "Das gebe ich vor allem denen in Bayern mit, die hier von Flüchtlingskrise reden."

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