Generationenwechsel:Eine Institution geht

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Nach 40 Jahren hört Elisabeth Glück auf und schließt ihr Feinkostgeschäft in der Dachauer Altstadt. In drei Monaten will ihre Enkelin den Laden neu eröffnen - und das Lebenswerk ihrer Oma fortführen.

Andreas Glas

Von außen sieht man es nicht gleich, aber hinter der Ladentür ist die Zeit stehengeblieben. Ein Geschäft wie ein Museum. Viel Holz, kaum Metall, verblichene Familienfotos an der Wand neben dem Verkaufstresen, der in der Mitte des Ladens platziert ist. Doch der eigentliche Mittelpunkt ist Elisabeth Glück, die hinter dem Tresen steht und einen Turm aus Eierschachteln baut. Auch an der Ladenbesitzerin hat die Zeit kaum Spuren hinterlassen, die 76 Jahre sieht man ihr nicht an. Vier Jahrzehnte hat sie in ihrem Laden Schaufenster dekoriert, Geschenkkörbe drapiert und eben Türme gebaut. Aus Eierschachteln. Seit Montag ist Schluss. Die Holzregale sind leer, die Ladentür ist verschlossen. Elisabeth Glück geht in den Ruhestand - und Dachau verliert eine Institution.

Vom Laden aus führt ein schmaler Gang vorbei an den nun leeren Regalen hinüber in die Wohnung. Dort sitzt Elisabeth Glück auf ihrer Eckbank am Küchentisch und erzählt von den vielen Kunden, die sich in den letzten Tagen bei ihr verabschiedet haben. Mit Briefen, mit Umarmungen, mit Tränen. Nur sie selbst hat nicht geweint: "Ich glaube, mir geht es am allerbesten von allen. Mir geht es überraschend gut", sagt eine Frau, die ein Leben ohne Laden nie kennengelernt hat.

Schon ihre Kindheit verbrachte Elisabeth Glück zwischen Obstkisten und Milchkannen - im Geschäft ihrer Eltern in der Augsburger Straße. Anfang der 1970er-Jahre tut sie es den Eltern dann gleich und übernimmt den Laden ihrer Schwiegereltern im Winkel von Wieningerstraße und Färbergasse. Einen Laden, den man heute nostalgisch als Tante-Emma-Laden bezeichnen würde: "Da hat es Waschmittel gegeben, Schuhcreme, Zigaretten, Obst und viele Konserven. Das war eigentlich recht schön. Aber dann kam halt das große Abwandern auf die grüne Wiese. Dann kamen die Großen", erinnert sie sich.

Die Großen, das sind die Supermärkte und später die Discounter, die sich zuerst in der Altstadt und dann am Stadtrand ansiedelten. "Die erste Zeit hat man das gar nicht gespürt, aber irgendwann mussten wir uns was anderes überlegen, weil wir mit den Schleuderpreisen nicht mehr mithalten konnten", sagt Glück. Im Laufe der 1980er-Jahre krempelt sie ihren Laden um. Das Waschmittel verschwindet aus den Regalen, auch die Schuhcreme und die Konserven. Sie setzt auf Exklusives statt auf Massenware. Auf Spezialitäten wie italienische Salami und Schweizer Käse. Und auf Regionales wie Eier vom Bauern und Glühwein von den Landfrauen. Mit Erfolg: "Wir haben sehr schnell gemerkt, dass diese Nische Anklang findet - weil es was ganz Neues war", sagt Glück.

Elisabeth Glück hat geschafft, was nur wenigen gelungen ist. Sie ist mit der Zeit gegangen ohne sich dem Zeitgeist anzubiedern. Das Mobiliar hat sich über Jahrzehnte hinweg kaum verändert, sie bestellte nicht im Internet, sondern per Telefon oder suchte die Ware direkt vor Ort aus, bei ihren Lieferanten oder auf Messen. Von ihren Zulieferern hat sie sich mit handgeschriebenen Briefen verabschiedet und die Rechnungen tippte ihr Mann, der im Laden nebenan Antiquitäten verkauft, bis zuletzt auf der Schreibmaschine. Computer und Internet hätten sie zwar interessiert, "aber mir hat es Spaß gemacht, in den Katalogen zu blättern. Und außerdem hatte ich ja gar nicht die Zeit, mir das anzueignen", sagt Glück.

Ihr Erfolgsrezept sieht die 76-Jährige weniger in der Exklusivität ihrer Ware als vielmehr im familiären Charme ihres Ladens, der ein Gegenentwurf ist zur Anonymität der meisten Supermärkte: "Man ist in so einem Laden auch eine Sozialstation. Vor allem für die Leute, die allein daheim sind und dann halt reden wollen, wenn sie mal rausgehen. Das geht ja sonst nirgends mehr. Und diese Zeit habe ich mir genommen. Das ist es doch, was es ausmacht."

Der Einzelhandel ist ein Full-Time-Job, für Elisabeth Glück war er sogar noch ein bisschen mehr. Bis neun Uhr abends hat sie aufgeräumt, geputzt und abgerechnet. Tag für Tag. Auch samstags. Und in der Mittagspause hat sie gekocht - für ihre Kinder, für die Schwiegerleute und all die Enkelkinder. "Der Laden und die Küche waren immer der Treffpunkt für die ganze Familie", sagt Enkelin Franziska Glück, die das Feinkostgeschäft in den kommenden drei Monaten umbauen und danach weiterführen wird - weil sie nicht möchte, dass der Familientreffpunkt verloren geht.

"Ich bin über dem Laden aufgewachsen und war schon als kleines Kind immer unten bei der Oma. Vor dem Kindergarten war ich da, dazwischen habe ich mir dann im Geschäft eine Butterbreze geholt und danach war ich wieder bei der Oma und habe Mittag gegessen. Ich würde nie wollen, dass der Laden nicht mehr existiert", sagt die 21-Jährige, die nicht vorhat, den Charakter des Geschäfts zu verändern. Zwar will sie das Sortiment etwas verändern und auch ein kleines Café soll integriert werden, doch ist sie "total dagegen, dass jetzt alles modern wird. Es kriegt sogar eher wieder einen alten Stil. Das Alte ist ja sowieso gerade modern."

Dass es Franziska Glück gelingen wird, den kleinen, etwas aus der Zeit gefallenen Altstadtladen am Leben zu halten, davon ist die Oma überzeugt: "Die Franziska ist keine Schlafhaub'n, die schafft das schon." Auch um ihre eigene Zukunft ist Elisabeth Glück nicht bange, hat sie doch jetzt Zeit für all jene Dinge, die 40 Jahre lang zu kurz gekommen sind: Urlaub auf der Alm, im Garten liegen, Zeitung lesen. Vermissen werde sie jedenfalls nichts, sagt die 76-Jährige, die ihre Enkelin unterstützen will, wenn das Feinkostgeschäft in drei Monaten neu öffnet.

Bis dahin hofft sie, dass der Lebensmittelvorrat reicht, den sie sich aus den übrig gebliebenen Waren des Geschäfts angelegt hat. Denn zum Einkaufen in einen Supermarkt zu gehen, sagt Elisabeth Glück, sei dann doch eine seltsame Vorstellung.

© SZ vom 22.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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