Geburtstag:80 Jahre Karlsfeld: Die Geschichte eines bemerkenswerten Wachstums

Neue Mitte

Heute ist Karlsfeld mit seiner Neuen Mitte die zweitgrößte Kommune im Landkreis.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Gemeinde Karlsfeld wird 80 Jahre alt. Kein Ort im Landkreis Dachau ist jünger. Die kurze Geschichte ist geprägt von einer bemerkenswerten Dynamik.

Von Walter Gierlich, Karlsfeld

Wird ein Mensch 80 Jahre alt, darf man ihn, ohne allzu unhöflich zu sein, als betagt bezeichnen. Bei einer Kommune wie Karlsfeld, die an diesem Montag, 1. April, ihren 80. Geburtstag als selbständige politische Einheit feiert, kann man durchaus von jugendlicher Frische sprechen. Unter allen Gemeinden im Landkreis Dachau ist Karlsfeld mit Abstand die jüngste.

Am 1. April 1939 wurde das Dorf mit damals exakt 1009 Einwohnern in die Unabhängigkeit entlassen. Als Bürgermeister wurde der Karlsfelder Landwirt Alois Ludl eingesetzt, der vorher an der Spitze der Gemeinde Augustenfeld gestanden hatte, die großenteils nach Dachau eingemeindet wurde. Aus den verbliebenen Ortsteilen Karlsfeld, Rothschwaige, Obergrashof und Waldschwaige wurde die neue Gemeinde, der es an fast allem fehlte, was eine solche eigentlich ausmacht: Es gab kein Rathaus, keine Schule, keine Kirche (außer der kleinen Ludl-Kapelle), kein Postamt, keinen Friedhof - und überdies besaß die neue Kommune nicht einen Quadratmeter Grund.

Bis 1900 lebten in Karlsfeld etwa 170 Einwohner in 30 Häusern

Natürlich bestand der Ort mitten im Dachauer Moos zu diesem Zeitpunkt schon länger. Der bayerische Kurfürst Max IV. Joseph, der spätere König Max I. Joseph, forcierte in seiner Amtszeit die Trockenlegung des Moorgebiets zwischen München und Dachau und ließ dort drei Siedlungen - Ludwigsfeld, Karlsfeld und Augustenfeld - anlegen. Benannt wurden die drei Mooskolonien nach den drei Kindern des Kurfürsten, dem Kronprinzen Ludwig, dem zweitältesten Sohn Karl Theodor und der ältesten Tochter Augusta. "Auf Antrag, wie die Ansiedlung am Würmkanal benannt werden solle, haben seine kurfürstliche Durchlaucht Max IV. Joseph den Namen Karlsfeld auszusprechen geruht, mithin dieser Name durch aufzustellende Tafeln auf der Landstraße bekannt werden solle", zitiert die Karlsfelder Ortschronistin Ilsa Oberbauer in der Broschüre zum 50. Geburtstag der Gemeinde aus den Gründungsakten. Acht Häuser entstanden vom 20. März bis 21. Oktober 1802 entlang der Straße. "Die Siedler sollten das Dachauer Moos kultivieren, den Bauern der umliegenden Ortschaften Arbeitskräfte zuführen und der Residenzstadt billige landwirtschaftliche Erzeugnisse liefern", schrieb der frühere Kreisheimatpfleger Alois Angerpointner 1977 in der Chronik zum 175-jährigen Bestehen Karlsfelds.

Es folgten harte Jahre für die ersten Kolonisten, die aus dem Dachauer Hinterland, dem Bayerischen Wald, der Oberpfalz, Württemberg und der Rheinpfalz kamen. Sie klagten über "Hirschfraß" und Überschwemmungen, Hagelschlag und Missernten, und sie litten nach 1806 unter der Einquartierung französischer Soldaten, die Saatgetreide, Heu und Kartoffeln requirierten. Erst in der dritten Generation ging es aufwärts, denn durch die Moorentwässerung entstand endlich fruchtbarer Ackerboden. Zudem wurde Torfverkauf als Brennmaterial zu einer weiteren Einnahmequelle. Nach und nach wuchs der Ort, so dass bis 1900 etwa 170 Einwohner in 30 Häusern hier lebten. Karlsfeld war zu jener Zeit politisch Teil der Gemeinde Augustenfeld, seine Kinder mussten zur Schule nach Ludwigsfeld gehen - das blieb bis 1962 so - und kirchlich gehörte der Ort zur Pfarrei Feldmoching.

All dieser Widrigkeiten zum Totz strebten die Einwohner nach Selbständigkeit. 1869 gab es den ersten Antrag der Karlsfelder Bürger auf Unabhängigkeit von Augustenfeld und Errichtung einer eigenständigen politischen Gemeinde. Doch der Vorstoß scheiterte ebenso wie zwei weitere in den Jahren 1877 und 1878.

Die fünfziger Jahre

Früher war Karlsfeld ein Kuhdorf. Reproduktion: Niels P. Jørgensen

Erst gut sechs Jahrzehnte später in der Nazi-Zeit wurde das Ziel erreicht, diesmal nicht auf Drängen der Karlsfelder, sondern weil das 1934 zur Stadt erhobene Dachau sich unbedingt Teile von Augustenfeld einverleiben wollte. Der nationalsozialistische Reichsstatthalter von Bayern, Franz von Epp, vollzog den Schritt zum 1. April 1939. Eher unauffällig war die Schaffung der politisch eigenständigen Gemeinde Karlsfeld am 27. März in einer Bekanntmachung des bayerischen Innenministeriums angekündigt worden. Karlsfeld war zu der Zeit immer noch ein Bauerndorf mit 67 Höfen. Im Vergleich dazu hatte die Gemeinde im Jahre 2016 laut Statistischem Landesamt nur noch neun landwirtschaftliche Betriebe.

So entstand der Karlsfelder See

Im Jahr 1939 begann der Bau der BMW-Flugmotorenwerke im benachbarten Ludwigsfeld, das mittlerweile nach München eingemeindet war. Die nahegelegene Fabrik erklärt wohl auch, warum während des Krieges der ländliche Ort im Moos oft zum Ziel alliierter Luftangriffe wurde. Bei einem besonders schweren Angriff fielen im Juli 1944 360 Sprengbomben auf Karlsfeld, die zwei Bauernhöfe vollständig zerstörten und mehrere beschädigten. 1940 fing man damit an, auf den Äckern östlich der Rothschwaige Kies für einen geplanten Rangierbahnhof in Moosach auszubaggern, der jedoch tatsächlich erst mehr als 40 Jahre später gebaut wurde. So entstand der Karlsfelder See, der von 1971 bis 1976 zu dem im ganzen Umland beliebten, 58 Hektar großen Erholungsgelände ausgebaut wurde.

Nachdem die US-Army am 29. April 1945 das KZ Dachau befreit hatte, rückten die amerikanischen Truppen einen Tag später über Karlsfeld zum BMW-Werk vor und befreiten dabei auch die Zwangsarbeiter aus den Wohnlagern Karlsfeld und Ludwigsfeld sowie die Häftlinge aus den KZ-Außenlagern Allach und Karlsfeld. Die Amerikaner setzten Alois Ludl ab und den Landwirt Georg Eichinger am 1. Mai als neuen Bürgermeister der mittlerweile 1450 Einwohner zählenden Gemeinde ein. Für ihn und seine Verwaltung stellte die Unterbringung der befreiten Häftlinge, die als sogenannte Displaced Persons zum Teil noch jahrelang auf ihre Repatriierung warten mussten, die große Herausforderung dar. Umso mehr als auch für viele Flüchtlinge und Vertriebenen Platz geschaffen werden musste, die die Zahl der Bewohner bis 1950 auf 2024 ansteigen ließen. Dabei wurde Wohnraum so knapp, dass Flüchtlingsfamilien in Häuser von Einheimischen eingewiesen wurden, was oft nur mit Hilfe der Polizei durchsetzen ließ. Die amerikanische Militärregierung stellte 1947 fest, dass die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen in den Nachkriegsjahren feindselig war.

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Karlsfeld ist die SPD-Hochburg im Landkreis. So hieß es einst. Nicht nur stellten die Sozialdemokraten 48 Jahre lang den Bürgermeister, sondern sie sind auch die älteste Partei am Ort und seit der ersten Kommunalwahl 1948 als einzige ununterbrochen im Gemeinderat vertreten. Nach der Zeit des parteilosen Bürgermeisters Georg Eichinger, der 1945 von der US-Militärverwaltung eingesetzt und 1948 erstmals gewählt worden war, begann 1960 die Ära des SPD-Rathauschefs Bruno Danzer. Mit Traumergebnissen wurde er viermal wiedergewählt, ehe er 1990 nach 30 Amtsjahren aus Altersgründen nicht mehr antreten durfte. Mit einem denkbar knappen Wahlsieg sorgte Fritz Nustede dafür, dass die Sozialdemokraten weiterhin den Bürgermeister stellen konnten, wenn auch nur noch mit der zweitstärksten Fraktion. Nach zweimaliger Wiederwahl, bei der Nustede 1996 die absolute Mehrheit für seine Fraktion zurückholte, die allerdings 2002 wieder verloren ging, musste er 2008 aus Altersgründen auf eine erneute Kandidatur verzichten. Damit war dann die SPD-Dominanz im Karlsfelder Rathaus endgültig vorüber. Bürgermeister wurde Stefan Kolbe (CSU), der das Amt 2014 erneut eroberte und 2020 noch einmal antritt. Der Karlsfelder SPD geht es ähnlich wie ihrer Bundespartei: Sie ist im aktuellen Gemeinderat auf sechs Sitze geschrumpft, während die CSU zwölf, das Bündnis für Karlsfeld fünf und die Freien Wähler einen Vertreter ins Gremium schicken. W.G.

Im April 1948 fanden erstmals nach dem Krieg Kommunalwahlen statt. Der bisher kommissarisch eingesetzte Eichinger wurde zum Bürgermeister gewählt, der auch aus den Wahlen 1952 und 1956 als Sieger hervorging. 1960 trat er dann nicht mehr an. In den zehnköpfigen Gemeinderat schafften es 1948 zwei Gruppierungen: "Aufbau und Fortschritt" nannten sich die sieben Vertreter der Einheimischen, überwiegend Bauern, denen drei SPD-Mitglieder aus den Reihen der Flüchtlinge gegenüberstanden. 1950 entstand das Alte Rathaus, in dem heute das Heimatmuseum untergebracht ist.

In der Folgezeit wuchs Karlsfeld durch den Zuzug an Flüchtlingen rasant weiter. So mancher Bauer verkaufte eine Wiese oder einen Acker an die Zugezogenen, zu Preisen von 50 Pfennigen bis einer Mark pro Quadratmeter. Was heute wie ein Spottpreis aussieht, war für viele der meist mittellosen Menschen aus Schlesien, Ostpreußen, dem Sudetenland, Ungarn, Jugoslawien und Rumänien dennoch unbezahlbar. Bauwillige, die sich die Grundstücke dennoch leisten konnten, fingen in Eigeninitiative zu bauen an, ohne auf einen behördlichen Bebauungsplan zu warten oder eine Baugenehmigung zu haben. Gern wurde mit dem Bau an Gründonnerstag begonnen, da über die Osterfeiertage keine Kontrollen zu erwarten waren. Bis zum Dienstag nach dem Fest war der Rohbau so weit fertig, dass man schon provisorisch darin wohnen konnte. Angesichts der herrschenden Wohnungsnot war es den Beamten nicht möglich, einen Abriss des illegalen Gebäudes anzuordnen. So entstanden in Karlsfeld circa 150 Schwarzbauten, die erst in den Sechzigerjahren legalisiert wurden.

Planlose Anfangsjahre in Karlsfeld

Die Planlosigkeit dieser Anfangsjahre, in der gebaut wurde, wo gerade ein Bauer ein Grundstück verkauft hatte, ist der Grund für die bis heute sichtbare Zersplitterung des Ortes. Erst 1953 wurde ein Flächennutzungsplan aufgestellt, der die Besiedlung in geordnete Bahnen lenken sollte. Doch immer noch blieb die Infrastruktur der Gemeinde auf einem äußerst spärlichen Niveau. 1952 bis 1954 wurde immerhin die Kirche Sankt Anna samt Pfarrhof errichtet. 1955 entstand an der Gartenstraße ein Wasserwerk, das längst abgerissen ist, und ein Jahr später endlich konnten die Karlsfelder ihre Toten im Friedhof am eigenen Ort bestatten. Viel mehr an öffentlichen Baumaßnahmen geschah nicht in den Fünfzigern, obwohl sich die Bevölkerungszahl mehr als verdreifacht hatte und 1960 schon bei 6690 lag.

Richtig in Schwung nahm die Entwicklung der Gemeinde nach der Kommunalwahl 1960 auf, als mit Bruno Danzer erstmals ein hauptamtlicher Bürgermeister gewählt wurde. "Nicht ein einziger Meter Straße war asphaltiert, als ich angefangen habe", sollte er sich später erinnern. Neue Wohngebiete wurden nur noch ausgewiesen, wenn die Erschließung gesichert war und Zuschüsse für öffentliche Folgeeinrichtungen wie Schule und Kindergärten gesichert waren. So wurde 1962 an der Krenmoosstraße eine Schule samt Turnhalle errichtet, so dass die Karlsfelder Kinder nicht länger in Ludwigsfeld den Unterricht besuchen mussten. Ein Jahr später ging gleich daneben der erste Kindergarten Sankt Anna in Betrieb. Mit der Fertigstellung der Verbandsgrundschule 1964 konnten auch die Kinder in Karlsfeld-West von der Barackenschule in der Gerberau nach Karlsfeld wechseln. Und so wuchs die Zahl an wichtigen kommunalen Einrichtungen, die allerdings wegen des Fehlens kommunaler Grundstücke jeweils dort errichtet wurden, wo es gelang ein Areal zu erwerben. Ein Zentrum bildete sich dadurch letztlich bis heute nie heraus. Es entstanden die evangelische Korneliuskirche, mit Sankt Josef ein weiteres katholisches Gotteshaus, ein Feuerwehrhaus, eine Kläranlage, ein großes Wasserwerk, eine Sportanlage und ein Rathaus, das den Bedürfnissen der Großgemeinde gewachsen war. All diese Maßnahmen waren überaus notwendig, schließlich verdoppelte sich die Einwohnerzahl bis 1970 beinahe noch einmal auf 12 125.

Ludlhof

Von der früheren Zeit ist wenig übrig geblieben, bis auf die Ludl-Kapelle an der Münchner Straße. Reproduktion: Niels P. Jørgensen

Karlsfeld, längst zweitgrößte Kommune im Landkreis, mauserte sich schließlich zum Vorreiter in Sachen Infrastruktur: 1971 errichtete man das erste Hallenbad, 1973 folgte die erste Volkshochschul-Gründung im Landkreis, 1978 das erste kommunale Jugendzentrum und 1980 das erste Bürgerhaus. Der mittlerweile zum Erholungsgebiet ausgebaute Karlsfelder See und der 1970 durch Kiesentnahme für den Bau der B471 entstandene Waldschwaigsee entwickelten sich an schönen Sommertagen zu Anziehungspunkten für Tausende Badelustige. Seit den Siebzigerjahren wuchs im Osten der Gemeinde ein großes Gewerbegebiet, während westlich der Bahn das Bayernwerk wichtigster Gewerbesteuerzahler Karlsfelds war, der nach dem Aufgehen im Eon-Konzern und dann erst recht durch dessen Wegzug ein tiefes Loch in die Gemeindefinanzen riss, das bis dato nicht gestopft ist.

1987 zählte man 13 650 Bewohner, 2008 dann 18 184 und heute etwas mehr als 22 000. Das Tempo des Wachstums hat sich seit 1970 in Karlsfeld zwar verlangsamt, aber mit dem Bau von Kinderbetreuungseinrichtungen kann die Gemeinde dennoch kaum Schritt halten. Die beiden Grundschulen sind in die Jahre gekommen, zwei neue werden errichtet. Daneben verfügt Karlsfeld über eine Mittelschule, eine private Fachoberschule, und bald wird das vierte Gymnasium im Landkreis nahe am Bahnhof gebaut. Die Kommune, die ihrer Homepage zufolge 118 Vereine vom großen TSV Eintracht bis zum Cowboy Club Colorado Boys beherbergt, rüstet sich also für die nächsten 80 Jahre. Die werden nicht leicht werden, denn die Bevölkerung wird wohl weiter wachsen und damit auch die Wohnungs- und Verkehrsprobleme, von der Infrastruktur gar nicht zu reden. Von der Feindseligkeit der Nachkriegszeit gegenüber Zugezogenen und Flüchtlingen ist jedenfalls nichts mehr übrig. Im Gegenteil: Karlsfeld kann heute stolz sein auf die Vielfalt seiner Bevölkerung und die vorbildliche Aufnahmebereitschaft der Einheimischen für Geflüchtete.

Wer sich näher über die Entwicklung Karlsfelds in den Fünfzigerjahren informieren will, hat dazu noch zweimal im Heimatmuseum an der Gartenstraße Gelegenheit: Sonntag, 7. und 21. April, jeweils von 14 bis 17 Uhr.

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