Geflügelmast in Dachau:Masse statt Klasse

Die Bilder aus Wiesenhof-Ställen wühlen auf: Arbeiter treten Tiere, verletzen oder töten sie. Auch im Landkreis Dachau gibt es Geflügelmastbetriebe, der Wiesenhof-Skandal wirft einen Schatten auf sie.

Helmut Zeller

Zwei Wochen vor dem Beginn der Wiesn hat eine ARD-Sendung über brutale Tierquälerei in Wiesenhof-Betrieben dem Verbraucher den Appetit auf leckere Grillhendl gründlich verdorben. Der Fall, es geht um den Geflügelproduzenten Wiesenhof aus Visbeck, spielt zwar im fernen Niedersachsen, wirft aber seine Schatten auch auf Dachau: Die Broilermast eines Landwirts in Unterzeitlbach mit ungefähr 35.000 Hühnern ist einer von 800 Betrieben in Deutschland, die den Konzern nach eigener Darstellung beliefern.

Hähnchenaufzucht für Wiesenhof-Geflügelproduktion

Drangvolle Enge: 30 000 Jungtiere in einem der Hähnchenställe für den Geflügelproduzenten Wiesenhof bei Visbek (Kreis Vechta). Nach rund 34 Tagen sind die Tiere dann mit voll entwickelten Gefieder schlachtreif. Die Aufnahme entstand in einem Betrieb außerhalb des Landkreises Dachau.

(Foto: dpa)

Die ARD zeigte am Mittwoch zur besten Sendezeit um 21.45 Uhr schockierende Video-Bilder, die von der Tierrechtsorganisation Peta in Vertragsfirmen heimlich aufgenommen wurden. Die Broilermast aus dem Landkreis kam in dem Bericht nicht vor. Peta-Sprecher Edmund Haferbeck sagt dazu: "Alle Lieferanten unterliegen dem System Wiesenhof." Aber Anita Sprick-Sanjosé Messing, Leiterin des staatlichen Veterinäramts im Landkreis, erklärt: "Bei unseren Betrieben verläuft alles ordentlich."

Die Behörde prüfe einmal im Jahr die Mastbetriebe im Landkreis: zwei Putenfarmen mit jeweils 18 000 und 2500 bis 3000 Tieren sowie den Hähnchenmäster in Unterzeitlbach. Zusätzlich werden die Schlachttiere, wie Sprich-Sanjosé Messing sagte, alle paar Wochen von Amtstierärzten kontrolliert. Jeder Fall von Tierquälerei oder Erkrankung müsse dem Veterinäramt gemeldet werden. Haferbeck sagt: "Behörden stellen häufig Persilscheine aus." Er macht jedoch auch deutlich, dass bei der in Bayern und Baden-Württemberg noch vorherrschenden kleinbäuerlichen Landwirtschaft Missstände, wie die Fernsehsendung sie zeigte, keinesfalls an der Tagesordnung sind.

Wie allerdings im Landkreis die Ausstallung, also das Verladen der Tiere für den Transport zum Schlachthof abläuft, das kann Behördenleiterin Sprick Sanjosé Messing nicht sagen; auch Anton Kreitmair, Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes (BBV) und CSU-Kreisrat, weiß das nicht, wie er auf Anfrage sagt. Der Hühnermäster aus Unterzeitlbach war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Die TV-Bilder aus Wiesenhof-Ställen wühlen auf: Arbeiter treten Tiere, verletzen oder töten sie. Schwere, gemästete Puten werden am Hals gepackt und durch die Halle geworfen. Arbeiter schleudern die Tiere auf den Lkw, wobei Knochen brechen. Peta filmte heimlich auf einem Geflügelhof in Emstek-Halen bei Cloppenburg. "Das ist die völlige Normalität seit Jahrzehnten und kein Einzelfall", sagt Haferbeck.

Schon Ende 2009 filmte Peta auf einer Hühnerfarm des größten deutschen Geflügelfleischproduzenten mit 5000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mehr als zwei Milliarden Euro. Mit ihm muss sich inzwischen die Justiz auseinandersetzen. Peta hat erneut Strafanzeige gestellt. Der Konzern hat unterdessen die für die Ausstallung zuständigen Subunternehmen aufgefordert, sofort die verantwortlichen Mitarbeiter zu entlassen.

Aber BBV-Sprecher Kreitmair wendet sich gegen die ARD: "Das Ganze ist gekauft und gestellt. Schade, dass ich es nicht gesehen habe." Er kenne, so Kreitmair, viele Hähnchenmäster, und ihnen liege das Wohlergehen der Tiere am Herzen. Vielleicht gebe es unter hundert mal einen Fall, aber so sei das kein objektiver Bericht gewesen, der die Verbraucher nur verunsichere. Doch es geht nicht allein um die Dienstleister, die ihren Mitarbeitern Billiglöhne von fünfeinhalb Euro die Stunde zahlen sollen. Im Blickfeld steht "Das System Wiesenhof. Wie ein Geflügelkonzern Tiere, Menschen und Umwelt ausbeutet." So lautet der Titel des ARD-Beitrags, dessen Ausstrahlung Wiesenhof mit einer Unterlassungserklärung vergeblich zu verhindern versucht hat.

Der Verbraucher hat es in der Hand

Unter den Auswüchsen der Massentierhaltung leiden gerade auch Landwirte. Zum Beispiel die "Direktvermarkter Dachau", ein Zusammenschluss von 13 landwirtschaftlichen Betrieben. Annemarie Lampl, Betreiberin des Lamplhofs, führt einen fast aussichtslosen Kampf gegen die Billigprodukte der Fleischindustrie, die mit minimalstem Aufwand etwa ein Hähnchen zum Sonderpreis von 2,90 Euro auf den Markt bringt. "Da kann doch was nicht stimmen", sagt Lampl. Die Verbraucher sollten beim Einkauf einfach mal den gesunden Menschenverstand einschalten. "Wir bieten regionale, qualitativ hochwertige Produkte im Einklang mit Natur und Tier an."

"Der Weg vom Erzeuger über den Verarbeiter bis hin zum Verbraucher ist ehrlich und nachvollziehbar", wirbt auch das Dachauer Netzwerk "Unser Land". Annemarie Lampl bringt es auf den Punkt: "Der Verbraucher hat es in der Hand." Aber die Verbraucher im Landkreis rennen scharenweise zu Aldi, Lidl und Co., in deren Tiefkühltruhen Puten und Hähnchen des Wiesenhof-Konzerns mit ansprechendem Etikett lagern. 240 Millionen geschlachtete Puten und Hühner bringt Wiesenhof jährlich auf den Markt.

Lampl geht es nicht um Verbraucherschelte: Die Menschen wüssten nicht mehr, wie ihre Lebensmittel hergestellt werden, sagt sie. Die Bilder aus der Massentierhaltung würden ihnen auch den Magen umdrehen. Ein Durchgang, erklärt Edmund Haferbeck, dauere 30 bis 38 Tage. Dann werden die Ställe maschinell gereinigt, desinfiziert und komplett neu eingestreut. Aber eben nur einmal, wie der wissenschaftliche Berater von Peta sagt.

Bereits nach zwei Wochen würden die gemästeten Tiere bis zu ihrem Abtransport zum Schlachthof auf ihrem Kot sitzen, und Hühnerkot ist am meisten ätzend. Die Folge seien Erkrankungen und hohe, aber einkalkulierte Mortalitätsraten. "Das ist eine Qual für die Tiere", sagt Haferbeck. Aber diese Frage ist nicht oberste Leitlinie der Behörden: "Wir können nur kontrollieren, ob die gesetzlichen Mindestanforderungen eingehalten werden", sagt Sprick-Sanjosé Messing. "Ob das schön ist oder nicht, ist eine andere Frage."

In den Mastbetrieben im Landkreis werden diese Mindestanforderungen jedenfalls eingehalten, versichert die Amtstierärztin. "Bis heute", ergänzt sie. Im Fall des Hühnermästers in Unterzeitlbach zum Beispiel sind völlig legal 30 000 bis 35 000 Hühner auf einer Fläche von 1600 Quadratmetern Größe untergebracht. Genau diese gesetzlichen Vorgaben kritisiert die Tierrechtsorganisation Peta. "Können Sie sich vorstellen, was das bedeutet, dass die EU 35 bis 39 Kilogramm Fleisch - von Tieren wird nicht mehr gesprochen - auf einem Quadratmeter Fläche zulässt?" Eine Freilandhaltung, das räumt auch Sprick-Sanjosé Messing ein, wäre natürlich besser für die Tiere.

"Das ist keine Frage", sagt sie. Auch die Hühner in Unterzeitlbach sehen keine Natur, bevor sie über die konzerneigene Schlachterei im bayerischen Bogen in den Supermärkten landen. Der Konsument weiß das alles nicht, er sieht nur schön verpackte Hendl-Schenkel und ganze Hendl - "Unsere Wiesn-Hits!" (Wiesenhof). Direktvermarkter wie Annemarie Lampl würden sagen: Der Verbraucher hat es in der Hand.

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