Geflüchtete in Dachau:Zeit vergeht, Menschen bleiben

Vor fünf Jahren wollte jeder den ankommenden Geflüchteten helfen, heute gibt es deutlich weniger Helfer. Arbeit gibt es aber noch genug

Von Julia Putzger, Dachau

Helferkreis Karlsfeld

Gemeinsames Kochen hebt die Stimmung bei Helfern wie Geflüchteten.

(Foto: oh)

Die Durchschnittstemperatur im November 2015 in Karlsfeld betrug 7,8 Grad Celsius. An sieben Tagen zeigte das Thermometer sogar Grade unter Null an. Bei diesem Wetter kommen Anfang November die ersten Flüchtlinge in Karlsfeld an, mit Badeschlappen an den Füßen, die zur letzten Rettung mit Klebeband zusammengehalten werden. Dramatische Szenen, die dem Aufruhr am Münchner Hauptbahnhof nur wenige Wochen zuvor zumindest ähneln und den Zusammenhalt in der Bevölkerung heraufbeschwören. Innerhalb kürzester Zeit gründen sich überall im Landkreis Helferkreise, die Hilfsbereitschaft ist groß. Jetzt, fünf Jahre nach dem sogenannten Flüchtlingsherbst, hat sich Vieles verändert.

Wenn sich Helmut Blahusch an den Herbst 2015 zurückerinnert, dann weiß er noch, dass alles sehr schnell ging. Innerhalb kürzester Zeit fanden sich willige Helfer in Karlsfeld zusammen - so schnell, dass sie warten mussten, bis die ersten Asylbewerber überhaupt in der Gemeinde ankamen. Auch Blahusch ist nunmehr fünf Jahren aktiv, der örtliche CSU-Schatzmeister bezeichnet sich als "Kontaktmann zur Gemeinde", ab und zu organisierte er vor der Coronakrise zudem zum Beispiel Computerkurse für die Flüchtlinge. Denn fehlende warme Kleidung oder kaputtes Schuhwerk, das sind keine Sorgen mehr, mit denen sich die Helferkreise im Landkreis herumschlagen müssen. "Wir sind weg von der Ersthilfe hin zur Integration", sagt Blahusch. Doch dieser Prozess ist weder für die Flüchtlinge noch deren Helfer ein einfacher.

Traglufthalle

Die Traglufthalle in Karlsfeld, auf Dauer keine menschenwürdige Unterkunft.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Wenn Peter Johannsen-Klug heute über sein Ehrenamt beim Helferkreis Asyl Dachau spricht, fallen einerseits Sätze wie: "Die Arbeit gibt einem viel zurück, es geht nicht um etwas Abstraktes, sondern um Menschen." Andererseits ist wenig später jedoch die Rede von einem "durchwurschteln" und einem "Minenfeld", auf dem man sich als Flüchtlingshelfer immer wieder bewege. Denn die Integrationsarbeit, die sie leisten, bedeutet eben nicht mehr nur Erstversorgung mit Kleidung, sondern macht sie zu Vermittlern in behördlichen Angelegenheiten, zu Orientierungshilfen im Dschungel der deutschen Bürokratie. Dabei sind die Ehrenamtlichen selbst selten Experten auf diesem Gebiet, haben sich lediglich in den letzten Jahren langsam in die Themen eingearbeitet.

Damals, im Flüchtlingsherbst 2015, war all das allerdings nicht absehbar: Zu dieser Zeit sei es "hip" gewesen, "Wasserflaschen und Plüschtiere zu verteilen", erzählt Johannsen-Klug. Er selbst, damals frisch im Vorruhestand und als gläubiger Christ überzeugt, anderen in ihrer Notlage zu helfen zu müssen, machte sich gar Sorgen, noch einen Platz in einem Helferkreis zu finden. Seit diesem Ansturm geblieben ist jedoch nur ein Bruchteil der Helfer. Von vormals etwa 300 Ehrenamtlichen sind in der Stadt Dachau nur noch etwa 60 aktiv schätzt Johannsen-Klug, sie kümmern sich aktuell um rund 170 Asylbewerber in den Unterkünften. In Karlsfeld sind derzeit über 270 Flüchtlinge untergebracht, doch nur noch 30 bis 40 Ehrenamtliche engagieren sich laut Blahusch im dortigen Helferkreis. Die beiden erfahrenen Helfer haben deshalb einen dringenden Appell an die Bürger: Engagiert euch, helft mit - ihr werdet mit offenen Armen empfangen und Freude daran haben!

Traglufthalle

Im November 2015 weiht Landrat Stefan Löwl die Traglufthalle in Karlsfeld ein.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Knapp 1070 Asylbewerber leben derzeit im Landkreis, die Unterkünfte sind zu rund 70 Prozent ausgelastet. Die meisten von ihnen leben, gerechnet in absoluten Zahlen, in Karlsfeld und Dachau. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl der Gemeinde leben in Weichs und Haimhausen die meisten Asylbewerber, auch im Altomünsterer Ortsteil Schmarnzell ist der proportionale Anteil der Flüchtlinge sehr hoch. Besonders lange um das Wohlergehen der Flüchtlinge sorgt man sich indes in Markt Indersdorf, wo bereits zwei Jahre vor dem großen Ansturm im im Herbst 2015 Flüchtlinge vorübergehend in der Tennishalle untergebracht wurden. Was die Anzahl der im Landkreis lebenden Flüchtlinge anbelangt, wurde Anfang des Jahres 2016 ein Höhepunkt erreicht, damals lebten ungefähr 19000 Asylbewerber hier. Besonders viele waren damals in der Traglufthalle in Karlsfeld untergebracht, wo es immer wieder zu Ausschreitungen kam. Trotzdem hatte der Landkreis für viele eine Vorbildfunktion, Landrat Stefan Löwl (CSU) war deshalb sogar im Fernsehen in einer Talkshow zu sehen.

Nun, mitten in der Coronakrise sehen sich die Asylhelfer wieder mit neuen Problemen konfrontiert. Das Coronavirus macht auch vor den Flüchtlingsunterkünften nicht halt, unter anderem gibt es derzeit in Dachau mehrere Infektionen. Die Krise erschwert die Arbeit der Ehrenamtlichen, im Frühling und nun erneut durften sie teilweise über viele Wochen hinweg die Unterkünfte nicht betreten. Stillstand gab es dennoch nicht, stattdessen wurde telefoniert oder Treffen bei Spaziergängen vereinbart, wie Pascale Töpperwien vom Dachauer Helferkreis erzählt. Doch trotzdem: Viele Asylbewerber fühlten sich in dieser Zeit allein gelassen; immer wieder würden Verschwörungstheorien die Runde machen, erzählen die Helfer.

P.Obb-Labor

Es gibt auch viele schöne Momente wie Singabende mit Helfern und Geflüchteten.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei all dem - weniger Helfer, komplexere Aufgaben und langwierige Prozedere - kann sich da die Motivation halten? "Es hat sich schon eine Portion Frust aufgebaut", antwortet Johannsen-Klug. Denn vor allem eine Sache bringt ihn ins Grübeln: "Als die Bundeskanzlerin damals gesagt hat, dass wir das schaffen, da hat sie nicht gesagt, in welcher Zeit wir das schaffen." In den letzten fünf Jahren habe sich die Gesellschaft wegentwickelt von der damals positiven Einstellung, jetzt herrscht es ein völlig anderes Klima in Sachen Flüchtlingspolitik, findet der Dachauer. "Eigentlich ist das eine Sache, in die man unendlich viel Zeit investieren kann. Aber letztlich ist es nun leider eher eine Rutsche nach unten." Das zeige sich beispielsweise am Aufstieg der AfD, aber auch an Diskussionen, wie der rund um die Aufnahme von neuen Flüchtlingen aus dem Lager aus Moria: Die geringe Anzahl dieser Flüchtlinge "können wir wunderbar verkraften", findet Helmut Blahusch und versteht die ganze Aufregung nicht. "Wenn ich diese Diskussionen höre, da kommt mir der Dampf aus den Ohren", ärgert sich auch Johannsen-Klug.

Und dennoch: Die Arbeit der Ehrenamtlichen in den Helferkreise im Landkreis ist nicht nur von solchen Negativerlebnissen geprägt. Sie fühlen sich prinzipiell gut vom Landrat und den Lokalpolitikern unterstützt, wenngleich es aktuell zwei große Herausforderungen gibt: Die Arbeit und das Wohnen. Denn obwohl es immer wieder lokale Unternehmen gibt, die den Asylbewerbern einen Arbeitsplatz geben wollen, gibt es viele Hindernisse. Georg Weigl, Ehrenamtlicher im Asylhelferkreis in Markt Indersdorf, sagt, es sei das schlimmste, wenn gut integrierten Menschen die Arbeit weggenommen werde. Andererseits seien es immer die schönsten Momente, wenn die Helfer erfolgreich eine Arbeitsstelle oder eine Wohnung für bereits anerkannte Flüchtlinge vermitteln könnten. In Hinblick auf neu nachrückende Bewohner sagt er deshalb schmunzelnd: "Die Arbeit machen wir uns dann quasi selber und das machen wir gern."

Helferkreis Bergkirchen

In Bergkirchen warten Geflüchtete auf Kleidung.

(Foto: Privat/oh)
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