Süddeutsche Zeitung

Dieter Kleiber-Wurm:Organisator und Lebenskünstler

In der Gemeinde ist er als DKW ein Begriff, das Kürzel wurde zu seinem Markennamen. Dieter Kleiber-Wurm, Vorsitzender und Mitbegründer des Karlsfelder Kunstkreises, ist seit Jahrzehnten eine feste Größe im Kulturbereich

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Hinter dem großen Bullaugenfenster prasselt der Regen auf die Straße, es ist ein trüber Tag; dank der Dachfenster ist es im Atelier trotzdem hell. Dieter Kleiber-Wurm sitzt an einem Tapeziertisch in der Galerie Kunstwerkstatt und zieht an seinem Pfeifchen. "Der Vorstandsvorsitzende von BMW hat nicht so ein schönes Büro wie ich", sagt er und pafft ein Wölkchen in die Luft. "Ich habe mehr Kunst um mich herum." An den Wänden lehnen großformatige Gemälde. Dieter Kleiber-Wurm bereitet die 110. Ausstellung des Karlsfelder Kunstkreises vor. Dieter Kleiber-Wurm, kurz DKW, ist der Vorsitzende. Man könnte sogar sagen, der Vorstandsvorsitzende. Im August wird er 80, und bei den Neuwahlen im kommenden Jahr wird er wieder als Vereinsvorsitzender antreten. Für sein Lebenswerk wird er nun mit der Nominierung für den Tassilo-Kulturpreis gewürdigt.

Schon vor der Hängung überlegt er sich genau, welches Bild am besten wo hin passt. Diesmal werden ein paar der Bilder zurückgehen. Es sind zu viele für die kleine Galerie, das würde nicht gut aussehen. Dieter Kleiber-Wurm ist gründlich. Einer, der lange vorausdenkt und vorausplant. Das Ausstellungsjahr 2016 ist schon komplett durchorganisiert, das Jahr 2017 auch schon fast. "Organisieren macht mir Spaß." Nur Zeitdruck mag er nicht. Manchmal sieht man Bilder von ihm in einer Gemeinschaftsausstellung des Kunstkreises, meistens sind sie eher klein und unauffällig. So wie DKW. Fürs Malen fand er nie genug Zeit, und als er sie gehabt hätte, waren andere Dinge wichtiger. "Irgendwie habe ich verpasst, mich in die Malerei reinzuhängen." Er stellt das fest, ohne Bedauern.

Die Geschichte von DKW ist die eines Lebens auf mehreren Gleisen, mit Weichen, die auf ganz andere Strecken führten. Er hätte zum Beispiel Olympiateilnehmer werden können, vielleicht hätte er sogar eine Medaille gewonnen. Der gebürtige Allgäuer ging in jungen Jahren täglich Skispringen, im Alpinski stürzte er sich die berühmt-berüchtigte Streif hinunter. Er spielte Tennis, er spielte Handball, und bis zum vergangenen Jahr war er auch noch aktiv im Badminton. Das 501. Turnierspiel wollte er noch machen, aber jetzt ist Schluss. "Ich bin nicht mehr so schnell", sagt der 79-Jährige. Er belässt es dabei, jeden Tag einmal um den Karlsfelder See zu laufen. Außer, es regnet wie an diesem Tag.

Der Ehrgeiz des jungen DKW richtete sich nie auf Medaillen. Eigentlich wollte er Kinokaufmann werden. Sein Vater hatte ein Lichtspielhaus gepachtet, der 17-jährige Dieter half mit, er malte Filmplakate und sprang auch manchmal für den betrunken Vorführer ein. Der Mutter war das gar nicht recht. Gezeigt wurden auch Aufklärungsfilme für Erwachsene ab 21. Mit nur 44 Jahren starb sein Vater an den Folgen einer Kriegsverletzung, das Lichtspielhaus wurde verkauft. Der Traum war aus, das Leben führte ihn auf neue Gleise.

Dieter Kleiber-Wurm hat ein gutes Händchen für Gestaltung, er wurde Werbefachmann und ging zu Krauss-Maffei nach Allach. "Ich kam dort zur Kunst wie die Jungfrau zum Kinde", sagt er. Dem Werbeassistenten wurde 1960 die Ausrichtung der monatlichen Kunstausstellungen im Betrieb übertragen. Der Etat dafür konnte sich sehen lassen: 100 000 Mark Jahresbudget. 14 Jahre lang organisierte Kleiber-Wurm Ausstellungen, knüpfte Kontakte und lernte zahlreiche Künstler kennen, darunter auch Carl Thiemann, den Mitbegründer der Kunstvereinigung Dachau. In Gauting besuchte er Loriot und machte unliebsame Bekanntschaft mit dessen Neufundländer. "Der hat mir fast die ganze Jacke kaputtgeschleckt." Dann kamen die Siebzigerjahre und Sparen war angesagt. Kleiber-Wurm spürte, dass er auf seinem Posten keine große Zukunft mehr hatte und wechselte zu einem Verlag.

Nebenbei schrieb er für die SZ in Dachau Sportberichte unter dem Autorenkürzel dkw. Heute ist es sein Markenname. Als DKW kennen sie ihn beim TSV Eintracht Karlsfeld, als DKW kennen sie ihn in der SPD, für die er 20 Jahre lang im Gemeinderat saß, davon zwölf Jahre als Kulturreferent. Und natürlich im Kunstkreis.

1977 hob DKW den Kunstkreis mit einigen anderen Karlsfelder Künstlern aus der Taufe, darunter dem Maler Wolfgang Seehaus und dem Bildhauer Klaus Herbrich. Es war ein Zirkel, den persönliche Sympathie verband und eine gewisse Affinität zur modernen Kunst. Eine Agenda oder ein Programm hatte der Kunstkreis nie. Er war Plattform und Sprachrohr der örtlichen Kunstszene, nicht mehr und nicht weniger, und das ist er bis heute.

Mit den Jahren ist alles größer, vielfältiger und professioneller geworden. Inzwischen umfasst der Kunstkreis 27 Mitglieder und hat eine eigene Galerie. Gebaut wurde der Riegel eigentlich als Lärmschutz für die dahinterliegende Wohnbebauung am Drosselanger. Der damalige SPD-Bürgermeister Fritz Nustede hatte den Plan ausgeheckt - und bis zur Abstimmung im Gemeinderat auch geheim gehalten. Nur DKW war eingeweiht. Davor fanden die Ausstellungen im Rathaus statt oder im Bürgerhaus, aber immer musste jemand da sein und auf die Bilder aufpassen. Bei einer griechischen Hochzeit saß Kleiber-Wurm auch schon mal an einem Samstag bis halb drei Uhr morgens im Foyer. Bei einer Vereinsversammlung 1986 scherzte Kleiber-Wurm, man könnte doch auch mal eine Ausstellung am Karlsfelder See machen. "Das habe ich nur aus Blödsinn gesagt." Aber dann stand es in der Zeitung: Kunstkreis plant Ausstellung im Erholungsgebiet. Der "Blödsinn" wurde unter dem Titel "Seh am See" in die Tat umgesetzt. Stellwände mit Bildern standen auf der Wiese und dienten der Kunst, aber auch dem Sport, weil manche Badegäste sie als Ersatz fürs Federballnetz nutzten.

Neben DKWs 80. Geburtstag gibt es in diesem Jahr 30 Jahre "Seh am See" zu feiern. Der Festakt zu 20 Jahren Galerie Kunstwerkstatt fand bereits im Februar statt. Im kommenden Jahr gibt es den runden Geburtstag: 40 Jahre Kunstkreis Karlsfeld. Ohne DKW gäbe es ihn nicht, und die meisten können sich einen Kunstkreis ohne DKW, den großen kleinen Vorsitzenden, auch gar nicht mehr vorstellen. Kleiber-Wurm macht um seine Rolle selbst nicht viel Aufhebens. "Es ist ein schönes Hobby", sagt er und zieht an seinem Pfeifchen. Darf er das eigentlich, rauchen in einem öffentlichen Gebäude? "Wenn ich hier allein bin und die Tür zu, ist das kein öffentliches Gebäude", sagt er gelassen. Dieter-Kleiber Wurm ist auch ein Lebenskünstler.

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Quelle:
SZ vom 30.05.2016
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