Tassilo:Wenn die Kultur wieder zu blühen beginnt

In 2500 Arbeitsstunden haben Erdweger Bürger ihr historisches Wirtshaus saniert und einen großen Tafernsaal geschaffen. Jetzt füllen sie die Räume mit Kultur und ziehen Künstler wie Publikum an.

Von Benjamin Emonts, Erdweg

185 Menschen klatschen und trampeln euphorisch auf den Holzboden. Sie sind allerdings nicht nur von der beeindruckenden Performance der Drum-Stars begeistert. Sie freuen sich auch über sich selbst. Denn in Erdweg gibt es vermutlich niemanden, der nicht stolz darauf ist, dass in der 5500-Einwohner-Gemeinde im Landkreis Dachau nach jahrzehntelanger Stille das kulturelle Leben aufblüht und die Menschen aus der Region bis aus dem Nachbarlandkreis Aichach anreisen.

Für die Kultur gab es hier lange keinen ansprechenden Ort. Das historische Wirtshaus im Ortszentrum, das 1468 erstmals urkundlich erwähnt wurde, stand seit 2006 leer und war auch davor nicht sonderlich attraktiv. Schließlich waren es Erdweger Bürger, die im Jahr 2009 die Idee entwickelten, das marode Wirtshaus in Eigenregie zu restaurieren. Eine Interessengemeinschaft IG Wirtshaus am Erdweg wollte die Gemeinde aus ihrer Lethargie reißen. Das renovierte Wirtshaus sollte zu einem würdigen Treffpunkt inmitten Erdwegs werden. Zu einem Treffpunkt aller Ortsteile für Menschen jeden Alters. Das verbindende Element dabei: die Kultur.

Ein Juwel im Ortszentrum

Heute, sechs Jahre später, erstrahlt die Tafernwirtschaft, die zwischen Scheunen und einer tristen staatlichen Durchgangsstraße liegt, als Juwel im Ortszentrum. Der Wunsch der Erdweger Bürger, die 2500 Stunden ehrenamtlicher Arbeit in die Restaurierung steckten, hat sich erfüllt. Gemeinsam mit Fachleuten und unterstützt von der Kommunalpolitik haben sie beispielsweise die historischen Malereien auf der Außenfassade des Wirtshauses restauriert und unter alten Farbschichten hervorgeholt. Zutage getreten sind historische Fresken, die den Heiligen Florian, den Heiligen Sebastian und ein Marienbild der Madonna von Taxa zeigen, einem ehemaligen Wallfahrtsort.

Die großzügigen Wirtsräume wurden so konzipiert, dass der Gast noch erahnen kann, wie es dort zu Beginn des 17. Jahrhunderts aussah. Der Zeitsprung von Tradition zu Moderne war den Architekten ein Hauptanliegen. Ihr Meisterwerk ist der große Tafernsaal im Obergeschoss, dessen mächtiges Gebälk sie freilegen ließen. Schließlich, als die Restaurierung abgeschlossen war, stellte sich die Frage, wie das alte Gemäuer kulturell mit Leben gefüllt werden kann. Vor zwei Jahren zeigte sich die Jury des Tassilo-Preises von der Leistung beeindruckt. Aber sie wollte erst noch abwarten, wie sich das Wirtshausprojekt kulturell bewährt.

Ein Ort kultureller Vielfalt

Bürgermeister Georg Osterauer reagierte umgehend. Auf seine Initiative hin gründete sich im Juni vergangenen Jahres der Kulturverein Erdweg e.V. Er zählt 53 Mitglieder. Sie kommen nicht nur aus der Gemeinde selbst, sondern leben auch in Dachau oder Vierkirchen. Dem Wirtshaus Leben einzuhauchen - das ist dem Verein binnen weniger Monate eindrucksvoll gelungen. Die großen Kulturveranstaltungen mit der Couplet AG, dem Klapptheater mit Puppenspiel für Erwachsene oder den Drum Stars waren ausverkauft. "Wir bekommen mittlerweile deutschlandweit von Künstlern Angebote, die bei uns auftreten wollen", sagt Vereinsvorsitzende Gesa Blaas. Werben muss sie also nicht.

Aber der Kulturverein will mehr sein als eine Bühne für die gängigen Stars des Kabarett oder der Musik. Die Mitglieder wollen das Wirtshaus zu einem Ort kultureller Vielfalt entwickeln, vom Kabarett über Lesungen, klassischer Musik und auch einem Angebot für junge Leute. Schon jetzt kümmern sich junge Mitglieder um die Homepage oder die Werbegestaltung des Kulturvereins. Im Oktober werden mehrere Musikdozenten einen dreitägigen Workshop mit jungen Menschen im Wirtshaus abhalten, den ein Konzert abschließt. Gesa Blaas sagt: "Wir wollen nicht nur Konsum bringen, sondern Kultur produzieren."

Tassilo: Symbol des Aufbruchs. Das restaurierte Wirsthaus am Erdweg.

Symbol des Aufbruchs. Das restaurierte Wirsthaus am Erdweg.

(Foto: Toni Heigl)

Im Wirtshaus am Erdweg haben sie dafür nun einen prädestinierten Standort gefunden. "Ohne das Wirtshaus würde es unseren Verein nicht geben", sagt Blaas und schwärmt von der "unheimlich tollen Atmosphäre" im Tafernsaal. Der erste Schritt hin zu kultureller Lebendigkeit ist gemacht. Weitere sollen folgen. "Wir wollen die vielen Vereine aus den Ortsteilen zusammenführen und das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gemeinde stärken."

Schaut man sich das Publikum beim Auftritt der Drums-Stars an, dessen Leiter Benni Pfeiffer übrigens aus dem Nachbarort Schwabhausen stammt, entwickelt sich das Wirtshaus gerade zu einem kulturellen Zentrum für den ganzen Landkreis Dachau und darüber hinaus. Früher gab es die Weilachmühle der Wellfamilie in Thalhausen, 15 Kilometer entfernt. Erdweg ist auf dem Weg, die Lücke zu schließen.

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