Süddeutsche Zeitung

Fünf Mal vertrieben:Zwei Monate in einem Erdloch

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Johann Stein musste gleich fünfmal in seinem Leben fliehen, 1945 wäre er beinahe einer Typhusepidemie zum Opfer gefallen. Nach Deutschland kam er erst 1983 - mit einem Auto, das er mit Sandsäcken gegen Schüsse rumänischer Grenzsoldaten gesichert hatte

Protokoll: Manuel Kronenberg

Ich bin mehr als einmal auf der Flucht gewesen, fünf Mal wurde ich vertrieben. Immer wieder bin ich in meine Heimat zurückgekehrt nach Hatzfeld, eine deutsche Stadt im rumänischen Teil der Region Banat, wo meine Familie einen kleinen landwirtschaftlichen Hof besaß.

Ich war zwölf Jahre alt, als wir das erste Mal fliehen mussten. Im August 1944, kurz nach dem Königlichen Staatsstreich. Rumänien wechselte damals im Krieg die Seiten und schloss sich den Alliierten an. Die Rote Armee war auf dem Vormarsch, die Wehrmacht an der Ostfront zog sich zurück. Viele Deutsche sind aus Rumänien geflohen, auch meine Familie und ich. Wir zogen mit einem Pferdefuhrwerk los nach Jugoslawien. Hatzfeld liegt ja direkt an der Grenze. In der kleinen Stadt Sankt Georgen blieben wir vorerst. Wir wollten abwarten, wie die Lage sich entwickelt. Damals hatte man immer noch die Hoffnung, dass Deutschland den Krieg gewinnt.

Nach acht Tagen hörten wir, dass sich Flüchtlinge von der Ostfront in unseren Häusern in Hatzfeld niedergelassen hatten. Da sagte meine Mutter: Dann können wir auch wieder zurück. Doch die Rote Armee kam immer näher. Die deutschen Soldaten sprengten die Bahnlinien, um den Vormarsch zu verzögern. Für mich als Zwölfjährigen war das ein Abenteuer, überall hat's geknallt! Ich bin zu den Sprengungen gelaufen, um zuzuschauen. Lange konnten wir natürlich nicht in Hatzfeld bleiben. Also flohen wir erneut.

Da keine Züge mehr fuhren, machten wir uns mit einem Lastwagen auf den Weg, den uns ein Offizier organisiert hatte. Unser Weg ging über Ungarn, wo wir in Viehwaggons kamen. Auf dem Weg wurde die Lokomotive beschossen, uns ist zum Glück nichts passiert. Nach etwa einer Woche kamen wir in Österreich an, in Grafenegg bei Krems. Dort lebte ein Onkel von mir, der meiner Mutter Arbeit beschaffte.

Wir blieben etwa ein halbes Jahr, bis die Russen einmarschierten. Das war im April 1945. Wir mussten wieder fliehen, nach Eggenfelden in Bayern, wo wir in einem Tanzsaal unterkamen und auf Heu schliefen mit vielen anderen Familien zusammen. Dann dauerte es nicht mehr lange bis die Amerikaner kamen. Wir kehrten nach Hatzfeld zurück, aber zu Hause mussten wir feststellen, dass uns alles weggenommen wurde, unser Besitz wurde enteignet. Nicht nur Land und Vieh haben sie uns genommen, auch das Haus. Es war besetzt von rumänischen Kolonisten. Wenigstens durften wir in einem Zimmer bleiben.

Bald kam es zu Spannungen zwischen Jugoslawien und Rumänien. Da wir im Grenzgebiet lebten, wurden wir als unverlässliche Personen gegenüber dem Staat angesehen. Das Militär nahm uns fest und brachte uns an die Schwarzmeerküste. 40 000 Menschen wurden damals deportiert. Wir kamen in die Baragan-Steppe. Sie stellten uns einfach auf einem Weizenfeld ab. Es war Sommer und es war heiß, es gab keinen Schatten, kein Trinkwasser. Ein Brunnen in der Nähe war nach einem Tag leer geschöpft, selbst die gelbe Brühe am Grund haben wir noch getrunken. Wir hausten zwei Monate in einem Loch, das wir uns gegraben hatten. Irgendwann fingen wir an, Hütten zu bauen. Als es Herbst wurde, brach eine Typhusepidemie aus, die Erreger kamen aus dem Brunnen. Ich wurde todkrank. Vier Wochen lang Tee ohne Zucker, bis ich wieder gesund war. Ich war total abgemagert.

Im Januar 1956 konnten wir wieder nach Hatzfeld. Die Lage hatte sich beruhigt. Ich heiratete, bekam zwei Kinder, baute ein Haus. In den folgenden Jahren hatten wir es eigentlich ganz gut, trotzdem wollten wir immer nach Deutschland. Doch einfach ausreisen konnten wir nicht. Für eine Genehmigung musste man damals pro Person 10 000 Mark bezahlen. Aber alle Deutschen verließen Rumänien. Also beschlossen auch wir zu gehen.

Im Jahre 1983 wollten wir es versuchen.

Ich bereitete alles gut vor, besorgte ein Auto, forschte in der Umgebung die Grenze aus. Zwei Tage vor unserer Flucht verlobte sich meine Tochter, alles sollte normal wirken. Ich verstaute Sandsäcke im Auto, um es schusssicher zu machen. Schließlich wagten wir uns über die Grenze. Und es klappte. Über Umwege kamen wir nach München, wo ich in Schwabing eine Stelle als Hausmeister bekam. 1997 zogen wir nach Karlsfeld. In Deutschland Fuß zu fassen, fiel mir leicht, weil ich eine Arbeit hatte. Das war mein großes Glück. Jetzt kommen wieder Flüchtlinge nach Karlsfeld. Da bin ich etwas skeptisch. Sie haben eine andere Kultur. Ich kenne viele, die deswegen Angst haben. Natürlich müssen wir die Menschen gut behandeln, aber es ist eine schwierige Lage. Einigen müssen wir wohl sagen, dass sie nicht bleiben können.

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Quelle:
SZ vom 03.12.2015
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