Dass es einmal einen Friedhof rund um die Kirche Sankt Jakob in der Dachauer Altstadt gegeben hat, ist seit 1315 nachweisbar. Was jedoch genau dort alles in der Erde verbuddelt wurde, ist nicht so eindeutig. Gästeführerin Anni Härtl geleitet deshalb regelmäßig Neugierige auf einem Rundgang mit dem Titel "Gemüse auf dem Friedhof?".
Was zunächst makaber klingt, hat einen historischen Kern. "Heute würde man sich darüber nicht mehr groß wundern, wenn auf einem Friedhof auch Nutzpflanzen wachsen, aber vor 250 Jahren war dies im Markt Dachau ein Skandal", sagt Härtl, die mit ihrem zum Markenzeichen gewordenen roten Hut bekleidet, den sie gern bei Führungen trägt, rund um die Kirche führt.
Kaum hat sie sich vor der Außenmauer der Kirche positioniert, fängt sie auch schon an von "Scherzels Gemüsegarten" zu erzählen, jenem Mann, der dafür sorgte, dass man in Dachau die Radieschen zuweilen von oben und von unten auf dem Friedhof anschauen konnte, wie sie spöttelnd bemerkt. Wobei es nicht so ganz genau nachweisbar ist, welches Gemüse damals in der Erde zwischen Kinderknochen angebaut wurde. Wahrscheinlich Kohl. Doch der Reihe nach.
Der Pfarrer suchte nach Geldquellen für die Kirchenmusik
Seit 1761 war Joachim Anton Scherzel der Mesner von Dachau, ein gewissenhafter Mann, erzählt Härtl. In den Ratsprotokollen der Stadt ist vermerkt, wie Scherzel immer wieder neue "Gehaltsforderungen" aufstellte, mal forderte er vier Gulden für die Kirchenwäsche, also das Reinigen der Talare und Textilien, später sogar 15 Gulden. Er wollte mehr Geld für die Kirchenmusik und beantragte erfolglos eine Minderung des Mietzinses.
Der sparsame Scherzel war zugleich gesellschaftlich ein gern gesehener Mann - allein 39 Mal wurde er als Trauzeuge zu Hochzeiten gebeten und übernahm zahlreiche Ehrenpatenschaften. Irgendwann jedoch wurde er nachlässig, hat Anni Härtl rückblickend festgestellt: Die Abrechnungen stimmten nicht mehr, der Pfarrer beklagte sich. "Seine übertriebene Sparsamkeit trieb Scherzel 1776 dazu, auf einem brachliegenden Friedhofsteil einen Gemüsegarten anzulegen." Dieser war Teil des ehemaligen Kleinkinderfriedhofes - durch das viele Umgraben kamen Kinderknochen hervor. Eine Beschwerde gegen Scherzel führte schließlich dazu, dass der Rat der Stadt Gemüseanbau auf dem Friedhof am 12. November 1776 verbot.
Die Beschwerden nahmen jedoch kein Ende. "Zwölf Jahre später sahen sich Kirchenverwaltung und Rat gezwungen, eine detaillierte Dienstvorschrift für Dachauer Mesner zu erarbeiten, die 30 Punkte umfasste", erzählt Härtl. Scherzel starb ein halbes Jahr nach dieser Anordnung im Alter von 50 Jahren.
Tomaten auf dem Friedhof - ein urbaner Trend
Was Scherzel nicht ahnen konnte: Einige Jahrhunderte später sollte das Gärtnern an letzten Orten ein regelrechter Trend werden. In Neuburg an der Donau pflanzte 2016 eine Enkelin Tomaten auf dem Grab ihrer Großeltern - um an die gemeinsame Zeit im Garten zu erinnern. Das missfiel der örtlichen Friedfhofsreferentin der CSU, die Stadt genehmigte die Pflanzung jedoch. Und auch in Wien und Berlin gibt es inzwischen Gemüseanbau auf Friedhofsflächen. Ungepflegte Gräber wurden dort kurzerhand umfunktioniert in Mini-Parzellen für den urbanen Anbau in ansonsten dicht besiedelten Metropolen.
Auf den Alten Friedhof rund um die damals gotische Kirche weisen in Dachaus Altstadt heute nur noch Grabtafeln hin, die in die Außenwände der neuen Kirche Sankt Jakob integriert wurden. Auch das Gebäude der heutigen Kulturschranne habe es damals noch nicht gegeben, erzählt Härtl, während sie durch die enge Gasse hinter der Kirche führt. Ihre Füße in Absatzschuhen klackern über das Kopfsteinpflaster - dabei hat man heute weder das Gefühl über einen Friedhof noch durch einen Gemüsegarten zu laufen, sondern schlicht durch eine gepflasterte Gasse.
Die nächste Führung über den alten Friedhof in Dachau bietet Anni Härtl am Samstag, 4. November an. Treffpunkt ist um 16 Uhr vor dem Rathaus an der Konrad-Adenauer-Straße 2-6. Der Rundgang kostet acht Euro, eine Anmeldung ist unter 08131/35 22 39 oder mail@anni-haertl.de möglich.