Süddeutsche Zeitung

Freiluftkonzert:Im Dreivierteltakt durch die Sommernacht

Die Nürnberger Symphoniker verzaubern ihre Zuhörer im sonst versperrten Innenhof des Schlosses Tandern

Von Dorothea Friedrich

Schmachtende Operettenseligkeit, ein Bilderbuch-Sommerabend, ein Ambiente zum Träumen schön und bestens aufgelegte Musiker: Das war das Sommerkonzert am Samstag im lauschigen Innenhof des Tanderner Schlosses. Unter dem Motto "Dein ist mein ganzes Herz" spielten die Nürnberger Symphoniker Werke von Franz Lehár, von dem das namensgebende Stück stammt, von der Strauss-Dynastie, Franz von Suppé und Carl Michael Ziehrer im ansonsten nicht zugänglichen Schlossareal. Zusammen mit Tenor Wonjong Lee eroberten sie die Herzen des Publikums im Sturm. Organisiert hatte diesen Höhepunkt im Landkreis-Open-Air-Kalender wie bereits in den Jahren zuvor der rührige Verein Zukunft Tandern. 2013 hatte er die mittlerweile über die Landkreisgrenzen bekannte Konzertreihe gestartet. Inzwischen kommen, wie sich an den vielen Autos mit Münchner Kennzeichen unschwer erkennen lässt, selbst die kulturverwöhnten Landeshauptstadtbewohner ins ansonsten so beschauliche Tandern.

Die Chorklassen sechs und sieben des Gymnasiums Markt Indersdorf und ihre Lehrerin Tanja Wawra stimmen mit einem vielsprachigen Folksong-Mix, darunter das bekannte "Greensleaves" und ein gefühlvolles "Cantate Dominum", sowie rhythmischer Choreografie auf den Abend ein. Das machen die Mädchen und Buben so locker, so musikalisch und mit so viel sichtbarer Freude an ihrem Auftritt vor großem Publikum, dass man gerne noch mehr von ihnen gehört hätte.

Doch die Nürnberger Symphoniker und ihr Dirigent Christian Simonis warten bereits, bis die Kirchenglocken ihr Geläut beendet haben. Simonis zeigt sich nicht nur als temperamentvoller Dirigent, sondern auch als charmanter und kenntnisreicher Moderator. So gibt es erst einmal eine kleine, lustige Strauss-Genealogie und dann die Ouvertüre zu "Der Zigeunerbaron" von Johann Strauss (Sohn), dem Walzerkönig. Die etwa 50 Symphoniker spielen ohne krachertes "Borstenvieh und Schweinespeck", die in dieser Operette eine wichtige Rolle spielen, sie spüren vielmehr scheinbar jedem Ton nach - um an passender Stelle so richtig aufzutrumpfen. Womit sie gleich zu Anfang zeigen, wie ernst sie das oft fälschlicherweise als "leichte Unterhaltung" geschmähte Operetten-Genre nehmen.

Dieses empathische, elegante Spiel findet seinen ersten Höhepunkt im Kaiserwalzer, den die Symphoniker so betörend schön, so musikantisch spielen, dass man am liebsten vor der Schlosskulisse im Dreivierteltakt tanzen würde. Bei einer Polka Mazur mit dem hübschen Namen "Die Libelle" von Johann Strauss' Bruder Josef sieht man förmlich das Insekt über einen imaginären Teich schwirren. Bruder Eduard Strauss hat eine schnelle Polka einem Technikwunder der damaligen Zeit gewidmet "Hectograf" heißt dieser längst aus der Mode gekommene Vervielfältigungsapparat. Die Nürnberger spielen, angefeuert von Dirigent Simonis, dieses Gustostückerl mit rasender Geschwindigkeit und so präzise wie ein Schweizer Uhrwerk.

Geht es noch besser? Ja. Mit einem echten Kontrapunkt, der Ouvertüre zu "Dichter und Bauer" von Franz von Suppé. Daniel Haverkamps Cellosolo lässt die Zuhörer Zeit und Raum vergessen. Doch nach der Pause heißt es noch einmal "Jetzt geht's los". Dieser Marsch von Franz Léhar ist so etwas wie ein Signal an die Musiker, mit ihrer Musik Walzer und Polkas förmlich zu malen. Bei Carl Michael Ziehrers "Nachtschwärmer" stolpern ein paar angeheiterte Mannsbilder zu sehr später Stunde durch Wien, "Loslassen" möchte man beim Hören von Ziehrers gleichnamiger sehr schnellen Polka rufen, weil man völlig aus der Puste ist. Und am allerliebsten würde man tief mit Orpheus in die Unterwelt eintauchen, wenn Simonis bei der Ouvertüre dieser Operette von Jacques Offenbach tänzerische Fähigkeiten an seinem Dirigentenpult zeigt.

Doch was wäre ein Operettenabend ohne Tenor? Nur weil es dieses Lied eben verlangt, lobt sich Wonjong Lee in "Ja das alles auf Ehr" aus dem "Zigeunerbaron" mit Zwinkern in der Stimme über den grünen Klee. In der Sommerkonzert-Realität tritt er eher bescheiden auf, lässt mit "Dein ist mein ganzes Herz" aus Franz Lehárs "Land des Lächelns" und dem Wolgalied aus dem "Zarewitsch" sein leise mitsummendes Publikum dahinschmelzen. Und wer vergisst nicht für einen Moment alle Sorgen, wenn Wonjong Lee jubiliert "Schön ist die Welt", ein weiterer Lehár-Dauerbrenner.

Ja, die Welt ist wirklich schön an diesem Samstagabend in Tandern, weil die Nürnberger Symphoniker sie mit ihrer Musik verzaubert und ihr Publikum völlig begeistert haben. Orchester und Solist lassen sich nicht lange bitten: Drei Zugaben, inklusive Radetzky-Marsch stimmen ein auf den weiteren Fortgang mit der unverzichtbaren dritten Formation eines Tanderner Schlosskonzerts, den Tanderner Saitentratzern und einer nicht enden wollenden Sommernacht.

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Quelle:
SZ vom 02.07.2019
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