Süddeutsche Zeitung

Freiheit für die Kunst:Als Ludwig Dill ein Revolutionär war

Dem Landschaftsmaler und Mitglied der Neu-Dachau-Gruppe ist die Gründung der Münchner Secession zu verdanken. Eine Ausstellung in der Gemäldegalerie zum 125-jährigen Bestehen

Von Christiane Bracht, Dachau

Die Münchener Secession feiert ihre Revolution. Vor 125 Jahren gab Ludwig Dill, prominenter Vertreter der Dachauer Künstlerkolonie und Mitglied der Neu-Dachau-Gruppe um Arthur Langhammer und Adolf Hölzel den Anstoß zum Umbruch. 19 Künstler unterzeichneten seinen Aufruf, aus der Künstlergenossenschaft auszutreten. Die Unzufriedenheit war groß. Man fühlte sich in seiner Schaffensfreiheit eingeengt und von der Künstlergenossenschaft mit ihren vielen 1000 Mitgliedern, die zumeist gar keine Künstler waren, nicht gut vertreten.

Große Sorgen machten sich vor allem die Maler um die internationale Reputation, sie hatten Angst, dass sich die Amerikaner, die gute Kunden waren, abwenden könnten. Denn die Vereinigung, dessen Wortführer Franz von Lehnbach war, wurde immer konservativer. Bei den gemeinschaftlichen Ausstellungen ließ man plötzlich Fremde, zumeist französische Künstler, nicht mehr zu. Man fürchtete, sie könnten ein besseres Geschäft machen. Es kam zu Protesten, sogar handgreiflichen Auseinandersetzungen. Bis schließlich Ludwig Dill im April 1892 die Initiative ergriff. Auf seinen Aufruf hin traten auf einen Schlag 96 Künstler aus.

Gemeinsam gründeten die Revolutionäre, unter ihnen Franz von Stuck, Fritz von Uhde, Hugo von Habermann und Adolf Hölzel, den "Verein Bildender Künstler Münchens. Münchener Secession". Allein der Name lockte viele Künstler an, schon im Juni 1892 zählte der Verein 107 Mitglieder. Statt sich abzuschotten, versuchte man sich nun zu öffnen. Andere Einflüsse waren den Mitgliedern wichtig, und so wurden Franzosen, Holländer, Schotten und auch einige Italiener an den Ausstellungen beteiligt. Man legte Wert auf Qualität bei der Präsentation der Werke, und das Künstlersein hatte plötzlich einen ganz anderen Stellenwert. Die Münchener Secession war die erste Freiheitsbewegung in der Kunstszene. Viele Berliner und auch Wiener beobachteten sie mit Begeisterung, und so dauerte es nicht lange bis auch dort eine Secession stattfand.

Heute ist die Revolution Abspaltung längst Geschichte. Doch die Secession, wie sie sich kurz nennt, gibt es noch immer. Mehr als 70 Mitglieder hat sie zurzeit - alles aktive Künstler, so wie es damals auch war. "Wir sind eine lebendige Vereinigung", betont der Präsident Thomas Bindl. Doch anlässlich des Jubiläums besinnt sich die Künstlergemeinschaft auf ihre Wurzeln. Unter dem Titel "Zu Gast in Dachau. 125 Jahre Münchener Secession" hat sie eine Ausstellung in der Gemäldegalerie initiiert, die noch bis zum 3. September zu sehen ist. 40 Werke aus den ersten 20 Jahren werden dort gezeigt. Unter den Künstlern sind sehr bekannte Namen wie Albert von Keller, Franz von Stuck, Dill, Hölzel und sogar Gabriele Münter.

Doch warum präsentiert sich die Münchener Secession in Dachau? "Sehr viele Künstler, die bei der Abspaltung aktiv mitgewirkt haben, sind aus der Künstlerkolonie", erklärt Elisabeth Boser, Leiterin der Gemäldegalerie. 1892 war die Zeit des Aufbruchs. Die Maler wollten raus aus ihren Ateliers, sie packten ihre Staffeleien, Pinsel und Farbpaletten und zogen hinaus in die Natur. Das Dachauer Moos war besonders beliebt, eine idyllische Landschaft vor den Toren Münchens, leicht zu erreichen. Dort verbrachten viele ihre Tage, atmeten Luft und Licht, malten die Landschaft oder bannten die Landbevölkerung auf die Leinwand, die schwere Arbeit leisten musste. Das spiegelt sich in der Ausstellung. Betritt man den Raum im Obergeschoss der Gemäldegalerie sind linker Hand die Dachauer Motive ausgestellt. Mooslandschaften von Dill, Hölzel, Toni Stadler und Reinhold Max Eichler. Auch ein beeindruckendes Bild von Arthur Langhammer mit dem Titel "Dachauer Bauernmädchen". Es zeigt zwei junge Mädchen, die Rast machen von ihrer schweren Arbeit, völlig erschöpft sind und traurig dreinblicken. Sie sitzen mitten auf dem Feld vor leeren Schüsseln.

Doch die Ausstellung beschränkt sich nicht nur auf naturalistische Motive. Sie ist vielseitiger, auch wenn Dachau ein Schwerpunkt der Jubiläumsausstellung ist. Die Secession, die seit 1906 Bilder ihrer Mitglieder einkauft und inzwischen auch eine stattliche Sammlung hat - etwa 260 Werke sind im Lenbachhaus und seinen Depots untergebracht, noch mal so viele hat die Grafische Sammlung und in Kloster Banz sind auch noch welche, berichtet Bindl -, hat ihren Fundus zur Verfügung gestellt. Die Auswahl, die Boser und Bindl getroffen haben, zeigt ein breites Spektrum an Motiven und Malstilen. Neben verschiedenen Interieur-Szenen sind auch mehrere Porträts und sogar eine Hexenverbrennung zu sehen. Klar, wollte man namhafte Künstler aus dieser Zeit zeigen.

Eines der Highlights sind die "Weidenden Pferde" von Franz von Stuck. Ein Werk aus seiner Frühzeit, ganz untypisch für einen Mann, der sich später dem Jugendstil verschrieben hat. Auch von Julius Seyler hängt mit "Die Malerin" ein untypisches Bild in der Galerie. "Das sind die interessantesten", schwärmt Boser. Denn diese zeigten, dass die Künstler sich ausprobiert haben. Bekannt ist Seyler vor allem für seine Indianer-Bilder. Das Motiv der Malerin ist jedoch für diese Zeit charakteristisch: Eine Malerin sitzt im Grünen unter Bäumen - es ist ein vermutlich ein schöner Sommertag - in der einen Hand die Farbpalette, vor sich die Staffelei. Auf einem kleinen Podest sitzt ihr Modell, eine junge Frau. Alles ist grob angedeutet und doch sehr stimmungsvoll.

Auch Ernst Burmeister ist mit einem Selbstporträt im Kornfeld zu sehen, in der Hand seine Malutensilien. Sehr düster indes kommt das Selbstporträt von Hugo von Habermann daher. Auch er, wie damals in Mode, hält eine Farbpalette in der Hand, anders als seine Kollegen ist er jedoch nicht in der Natur, sondern in einem dunklen Raum. Dieses Bild hat eine besondere Bedeutung: Es ist das einzige, dass bereits in der ersten Ausstellung der Secession 1893 an der Münchner Pilotystraße hing. Dort hatten die Künstler nach längerem hin und her ein eigenes Ausstellungshaus mit Kuppelsaal und mehreren kleineren Räumen bekommen. Heute existiert der Bau nicht mehr. Schon 1917 zog die Secession in den Glaspalast um.

Das herausragendste Bild der Ausstellung ist von Gabriele Münter, ein "Damenbildnis" von 1910. Erstaunlich eigentlich, denn Münter gehörte nie der Secession an. Überhaupt gab es seinerzeit kaum bis gar keine Frauen, die als Malerinnen anerkannt waren. Die Secession war eine Männervereinigung - anfangs zumindest. "Wir haben in unserer Sammlung auch einige wenige Bilder von Nicht-Mitgliedern", erklärt Bindl.

Bis auf einzelne Ausnahmen sind die Werke, die jetzt in der Gemäldegalerie zu sehen sind, fast 40 Jahre lang im Depot versteckt gewesen. 1972 gab es eine größere Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, wo viele von ihnen hingen, erinnert sich der Präsident. Die ersten 20 Jahre sollen jedoch nicht das einzige sein, auf dass sich die Secession im 125. Jahr ihres Bestehens erinnert, auch wenn man stolz darauf ist, seinerzeit richtungsweisend gewesen zu sein. Die Freiheitsbewegungen in Wien und Berlin folgten später. Die Neue Secession, die sich 1913 abspaltete, weil die Secession nach Meinung vor allem der Expressionisten zu konservativ war, existiert seit 1938 nicht mehr. Die Secession wurde 1938 zwar auch aufgelöst, fand sich aber 1946 wieder zusammen. Sieben Ausstellungen sind heuer geplant. Die nächste eröffnet in zwei Wochen in der Neuen Galerie mit einem Blick in die Gegenwart.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3483889
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.04.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.