Freifläche westlich der Bahn:Bürger wehren sich gegen Investor

Anwohner am Karlsfelder Bahnhof sind verärgert, weil auf der Brache nichts vorangeht. Vor allem fehlt ihnen ein Nahversorger. Die Firma Erl & Streicher habe ihre Erwartungen enttäuscht und sei nur auf Profit aus

Von Christiane Bracht, Karlsfeld

Westlich der Bahn brodelt es. Die riesige Kraterlandschaft mit staubigen Erdhügeln am Karlsfelder Bahnhof erzürnt die Anwohner sehr. Seit Jahren geht nichts vorwärts. "Das ist frustrierend", sagt Till Schadde, Geschäftsführer der Softwarefirma Equinux. 2014 hat er sich in das sogenannte Zeitpunkthaus eingekauft, in der Erwartung, dass nebenan ein Technologiepark entstehen würde. Er hatte die Vision, dass andere Softwarefirmen in der Nähe die seine bereichern könnten. Doch das Projekt scheint in weite Ferne gerückt. Sein Glaube, dass auf dem Erlbau-Grund schnell etwas geschieht, ist verloren. "Das Rathaus ist weit weg", klagt er. Deshalb kam er auf die Idee: "Da muss mal ein Aufruhr stattfinden, sonst schlafen alle ein."

Vor etwa einer Woche hat Schadde nun den Unzufriedenen ein Forum gegeben, in dem sie posten können, was ihnen auf der Seele brennt: die Facebookgruppe Karlsfeld-West, erreichbar unter www.karlsfeldwest.de. Die Debatte ist sehr lebendig, mal verärgert, mal mit Galgenhumor. Die Stimmung klar gegen den Investor Erl&Streicher gerichtet. 60 Follower hat Schadde bereits. 2000 Flyer sollen verteilt werden, um auf die Gruppe aufmerksam zu machen. "Danke, Erlbau. Für nichts!" steht groß über einem Baustellenbild.

Freifläche westlich der Bahn: Brache in Bestlage. Die Karlsfelder erwarten Gewerbeflächen und einen Supermarkt. Stattdessen will der Investor noch mehr Wohnungen bauen.

Brache in Bestlage. Die Karlsfelder erwarten Gewerbeflächen und einen Supermarkt. Stattdessen will der Investor noch mehr Wohnungen bauen.

(Foto: Toni Heigl)

"Die Firma Erlbau präsentiert sich immer als Paradeunternehmen in Bayern", sagt Schadde verärgert. Großer Preis des Mittelstands 2017, Bayerns Best 50 Preisträger von 2016 und das Gütesiegel der Bayerischen Stiftung für Qualität im Betreuten Wohnen e.V. prangt groß auf der Homepage des Unternehmens. "Ich will spiegeln, was wirklich abgeht", sagt Schadde. "Es kann nicht sein, dass Erl eine ganze Gemeinde mit seiner Investitionspolitik lahmlegt und alle Anrainer in Geiselhaft nimmt." Ende Januar hatte Investor Erl&Streicher ein neues Konzept vorgelegt und der Gemeinde nahegelegt, mehr Wohnungen auf dem Gelände zuzulassen, sowie ein Pflegeheim und ein großes Parkhaus, damit sich ein Supermarkt lohne. Damals sagten die Firmenvertreter relativ deutlich, entweder so oder man baue gar nicht. Denn es interessiere sich weder ein Nahversorger, noch Gewerbe für das Areal.

"Erlpressung" nennt Schadde das nun etwas sarkastisch im Facebookchat. Peter-Rudolph Hackenberg schreibt dort drastischer von einer "riesigen Schweinerei, die hier vorgeht". "Die Leute ... und die Gemeinde hat man mit Lügen an der Nase herumgeführt." Inzwischen hat sich nämlich herumgesprochen, dass es durchaus Interessenten gab. Mehr als ein Discounter wollte sich offenbar in Karlsfeld West niederlassen, auch ohne neue Wohnungen. Doch die Verhandlungen wurden von Erlbau abgebrochen. "Die Konditionen lagen zu weit auseinander", erklärt der Prokurist von Erlbau, Wolfgang Haider der SZ. Man müsse schließlich ein fünfstöckiges Gebäude mit Tiefgarage errichten und nicht nur einen Markt auf der grünen Wiese. Da seien die Erstellungskosten deutlich höher. "Der Ruf nach mehr Wohnungen, damit ein Supermarkt kommt, ist klar vorgeschoben. Es geht hier nur um Profit", kritisiert Schadde indes. Denn wenn mehr Kunden da seien, könne der Investor teurer vermieten, nicht nur an einen Discounter, sondern an einen "teuren Supermarkt", schreibt Userin Lydia Kron-Treu auf Facebook. Von der Allgäuer Kette Feneberg mit Bioprodukten war in der Gemeinderatssitzung die Rede. "Auf die hohen Preise im Supermarkt kann man sich dann schon mal freuen", so Schadde.

Monika Baumgartner, Schauspielerin

Schauspielerin Monika Baumgartner wünscht sich eine bessere Umgebung für das Betreute Wohnen, in dem ihre Mutter lebt.

(Foto: OH)

Dennoch gibt es offenbar im Betreuten Wohnen eine Gruppe um Bewohner Eckart Moj und die Schauspielerin Monika Baumgartner, die für ein Nachgeben der Gemeinde plädiert. "Ich hoffe inständig, dass es eine Möglichkeit gibt, dass die Gemeinde flexibel ist, um Lösungen für die Menschen zu finden", sagte Baumgartner bereits im Januar. In der letzten Phase ihres Lebens müssten die Senioren, darunter ihre Mutter, die Möglichkeit bekommen noch am Leben teilzunehmen. Moj spricht von einer "nahezu feindseligen Grundhaltung des Gemeinderats" gegenüber dem Investor. Er hält die Position der Kommunalpolitiker für "eine kleinkarierte und rückwärtsgewandte Sichtweise. Hier sollen handwerkliche Fehler bei diesem Projekt und ebensolche bei anderen Großinvestitionen in Karlsfeld glattgebügelt werden", wirft er den Verantwortlichen vor. Aber: "Ganz ohne Einfluss sind wir nicht", droht er in einem Brief, den er Till Schadde geschickt hat. Als Grund für seinen Ärger gibt er an: "Wie alle Bewohner fühle ich mich um den Teil der Attraktion unseres Zuhauses betrogen, der für die meisten der zentrale Grund für Kauf oder Miete einer Wohnung war: Uns allen fehlt der Nahversorger." Lydia Kron-Treu, die ebenfalls in dem Neubau wohnt, weiß, dass viele ihrer Nachbarn kein Auto haben, gehbehindert sind oder im Rollstuhl sitzen. Für sie ist das Problem umso drängender. Und angesichts der Tatsache, dass die Mieter immerhin 15 Euro pro Quadratmeter kalt zahlen müssen, ist der Unmut immens gewachsen.

Schadde regt sich vor allem über die "kunstvoll" erbaute "schroffe Erd- und Schotterlandschaft" auf, die vom Winde verweht "behutsam Fenster, Fassaden und Autos mit wunderbarer Erlpatina" bedeckt. Bilder vom Badesee "Karlsfeld-West" werden auf Facebook gepostet, dazu Schilder, die an ein Badeverbot erinnern. Andere zeigen die "fußläufige Nahversorgung" á la Erl: eine trostlose Schotterpiste. Die Nutzer der Gruppe rufen dazu auf, sich ihnen anzuschließen, um die Aufmerksamkeit zu erhöhen. Denn "im wilden Westen Karlsfelds" fühlt man sich vom Rathaus mit seinen Sorgen alleingelassen. Zur Gemeinderatssitzung am 11. April wollen die Anwohner in großer Zahl erscheinen.

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