Fotoglaskunst:Traumlandschaften im Matsch

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Christoph Müller fotografiert Pfützen, welke Blätter, zertretene Gräser - und die Bilder lösen sich von ihrem Gegenstand, transzendieren und erlauben einen Blick in eine Paralleldimension. Eine Ausstellung im Dachauer Wasserturm

Von Gregor Schiegl, Dachau

Wenn er mit seiner Kamera ins Unterholz des Forstenrieder Parks südlich von München taucht, den Blick beharrlich auf den Boden geheftet, erregt das bei den Spaziergängern immer wieder Verwunderung. "Ich werde oft gefragt, ob ich was suche." Und in der Tat, Christoph Müller sucht etwas - etwas, das die anderen Leute nicht sehen geschweige denn fotografieren würden. Die Pfütze im Matsch. Welke Blätter. Zertretene Gräser. Winzige Strukturen, unscheinbar und unspektakulär. Bis man Müllers Bilder sieht. Man glaubt ja gar nicht, was sich in so ein bisschen Matsch und Geäst alles verbirgt: galaktische Nebel in phosphoreszierenden Farben, neuronale Netzstrukturen, Traumlandschaften in teils abstrakten, teils organischen Formen, hohläugige Geisterwesen mit grünen Eierschädeln, ein buntes kubistisches Panel im Stile Paul Klees.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Ghost in the Machine".

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

"Was siehst du?"

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei seiner Arbeit entstehen oftmals Bilder, die aus einer fremden Welt zu sein scheinen. Hier das Werk "En passant"

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Bei Spaziergängen durch die Natur rund um München findet Christoph Müller immer wieder interessante Motive und Strukturen, die er fotografiert und am Computer digital bearbeitet.

Diese unglaubliche Form, Farb- und Ausdrucksvielfalt ist natürlich nicht nur Ergebnis einer einzigen geschickten Ablichtung. Müller bearbeitet seine Fotografen digital und äußerst kunstvoll. "Das ist ja das Schöne" sagt Müller. "Dass man rumprobieren kann." Das klingt ungerichtet und das ist es auch. Der Künstler geht intuitiv vor, es gibt weder einen ästhetischen Masterplan noch eine Standardprozedur. "Ich wurschtel irgendwie rum." Das klingt leichter, als es ist. Es kann schon mal einen ganzen Nachmittag in Anspruch nehmen, bis das Bildmotiv fertig bearbeitet ist. "Es ist ein Prozess."

Bei Spaziergängen durch die Natur rund um München findet Christoph Müller immer wieder interessante Motive und Strukturen, die er fotografiert und am Computer digital bearbeitet. Dabei entstehen oftmals Bilder, die aus einer fremden Welt zu sein scheinen. Links oben "Ghost in the Machine", rechts oben "Was siehst du?" links "En passant. Das Fenster im Bild rechts ist allerdings nur eine Spiegelung des Ausstellungsraums. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Manchmal sind die Strukturen auf den Bildern noch gut erkennbar. Die Bäume, die sich in der Würm spiegeln. Silhouetten von Gräsern und Blättern. Dann die Zwischenbereiche, in denen man nur noch raten kann und schließlich jene Motive, bei denen Müller selbst nicht mehr genau weiß, was er da ursprünglich fotografiert hat. Die Bilder lösen sich von ihrem Gegenstand, transformieren sich, träumen sich fort, transzendieren, manchmal hat man das Gefühl, einen Blick in eine Paralleldimension zu erhaschen. Irgendwie hängen Müllers Bilder mit unserer Wirklichkeit zusammen, aber man oft weiß nicht genau wie. Bisweilen kommen einem Stimmungen, Striche, Farbkompositionen seltsam vertraut vor. Da glaubt man einen Ausschnitt von Monets "Seerosen" zu entdecken oder eine Figur, die in ihrer flächigen Farbigkeit nach Miró aussieht.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Dieses Vexierspiel reizt auch Müller, und er spielt damit auch in seinen Titeln: Der Titel "Anker" weckt beim Anblick rostbraun aufscheinender Strukturen im tiefen Blau maritime Assoziationen, der Titel "Black Moon" definiert eine schwarze Kreisfläche im Bild als Himmelskörper. Und das wie ein Miró aussehende Bild hat er selbst "Mirolo" genannt.

So eindeutig sind die Titel aber nicht immer. Bei einem Glasbild, das aussieht wie eine Collage transparenter Farbquadrate, fragt das Bild den Betrachter: "Was siehst du?" Schon öfter wurde Müller bekniet, doch zu verraten, was für ein Naturmotiv das war, aus dem er so eine farbenfrohe und zugleich formstrenge Ordnung extrahiert hat. Doch er schützt den Zauber dieser Werke - und schweigt.

"Was siehst du?" (Foto: Niels P. Jørgensen)

Zum besonderen optischen Eindruck seiner digital bearbeiteten Fotografien trägt entscheidend bei, dass sie auf Glasplatten gedruckt sind. Die Hochglanzoberfläche lässt die Farben brillant erscheinen, das Glas verleiht manchen Bildern eine erstaunliche räumliche Tiefe. Einziger Nachteil: Die sechs Millimeter dicken Platten sind nicht nur zerbrechlich, sondern auch ziemlich schwer.

In seinem Brotberuf ist der in München lebende Künstler eigentlich ein Mann des Ohrs. Christoph Müller arbeitet als freier Radiojournalist beim Bayerischen Rundfunk. Früher hat er auch schon gerne fotografiert, aber mit Kunst hatte das nicht so viel zu tun. "Ich habe mich nie in eine Dunkelkammer gestellt." Erst durch die Digitaltechnik ist er auf die künstlerische Schiene gekommen. Dabei hat er eine kreative Nische gefunden, in der er offenbar so etwas wie ein Pionier ist. Ein Galerist meinte, so etwas, was Müller mache, habe er in all seinen Berufsjahren noch nie gesehen. Auch vom Publikum hat Müller bei seinen bislang drei Ausstellungen schon viel Lob zu hören bekommen. Nur mit dem Verkauf der limitierten Glaskunstgemälde hapert es noch.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Welt ist voller Rätsel.

Photo-Glass-Art - Spiegelung und Strömungen. Ausstellung von Christoph Müller im Dachauer Wasserturm. Vernissage am Samstag, 20. April, um 14 Uhr. Öffnungszeiten von Karfreitag bis Ostermontag jeweils 14 bis 18 Uhr. Am Samstag und Sonntag, 27./28. April, jeweils von 14 bis 18 Uhr.

© SZ vom 18.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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