Dachau:Flüchtlinge und Anwohner: miteinander statt gegeneinander

Jahresrückblick 2016

Die Errichtung der Flüchtlingsunterkunft in Himmelreich war von Flugblattaktionen und einer Online-Petition begleitet.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Wie aus den Protesten gegen eine Asylunterkunft in Dachau-Süd doch noch ein friedliches Zusammenleben geworden ist.

Von Viktoria Großmann, Dachau

547 Dachauer hatten Anfang des Jahres eine Online-Petition gegen eine Flüchtlingsunterkunft am Himmelreich unterzeichnet. Eine so offene Ablehnung Fremder hatte es zuletzt Anfang der Neunzigerjahre im Landkreis gegeben. Lediglich etwas Unruhe hatte es 2015 in Mitterndorf gegeben, wo am Ende doch kein Flüchtlingsheim entstand. An allen anderen Orten im Landkreis hatten sich nie Anwohner laut gegen eine Unterkunft geäußert. Im Gegenteil: Überall gründeten sich Helferkreise oder erlebten die bestehenden einen nie gekannten Zulauf. In Himmelreich aber, in Dachau Süd, wurden Ende Januar Flugblätter verteilt. Die Kinder seien auf dem Schulweg nicht mehr sicher, Sportanlagen könnten von Frauen und Kindern nicht mehr gefahrlos genutzt werden, hieß es darin. Zur Begründung der Online-Petition, die an Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) gerichtet war, hieß es: "Wir wollen ohne Angst in unserer Umgebung leben." Als ob das die Menschen, die aus Kriegs- und Terrorgebieten, aus Armut, vor politischer Verfolgung oder schlicht vor einer chancenlosen Zukunft geflohen sind, nicht auch wollten.

Selten war der Stockmann-Saal im Ludwig-Thoma-Haus so voll wie am 28. Januar, als Hartmann und Landrat Stefan Löwl (CSU) zu einer Bürgerinformation eingeladen hatten. Viel später in diesem Jahr sollte Bundeskanzlerin Angela Merkel den Begriff "postfaktisch" prägen. Was sie damit meint, wird schon an diesem Abend im Thoma-Haus klar: Fakten interessieren viele nicht mehr. Löwl und Hartmann sind gut vorbereitet, sie sind geduldig, bleiben sachlich. Außer ihnen geben Polizei, Caritas und Helferkreis Auskunft. Damals leben 1944 Flüchtlinge im Landkreis, mittlerweile sind es noch etwa 1400. "Von diesen 1944 machen 20 Probleme", sagt Löwl. Doch einige Menschen im Saal lassen sich durch nichts beruhigen. Sie glauben weder Landrat noch OB. Erklären Gerüchte zur Wahrheit. Selbst die Angaben von Polizist Björn Scheid werden angezweifelt. Den Helfern wird vorgeworfen, alles nur schönzureden. Eine Frau sagt, sie hat Angst um ihre Tochter, die täglich mit dem Fahrrad an der Unterkunft vorbei fahren muss.

Gäste aus der Nachbarschaft

Probleme mit dem Fahrradweg gab es dann tatsächlich. Deshalb ist dieser jetzt mit einem Zaun abgegrenzt. "Er ist nicht schön", sagt Waltraud Wolfsmüller vom Arbeitskreis Asyl in Dachau. Aber er verhindert, dass Kinder auf den Radweg und die Straße laufen. Kinder aus der Container-Unterkunft wohlgemerkt. "Die waren das in der Kufsteiner Straße gewohnt, dass sie einfach ins Freie laufen können", sagt Wolfsmüller. Nachbarn, die Beinahe-Unfälle beobachtet oder erlebt hatten, aber auch Caritas-Mitarbeiter und der Helferkreis selbst, schlugen deshalb vor, das Grundstück der Container-Unterkunft mit einem Zaun zur Straße hin zu begrenzen. Etwa 70 Bewohner leben derzeit in der zweistöckigen Anlage. Unten Familien und Frauen, oben junge Männer. Waltraud Wolfsmüller hatte auf jenem Informationsabend im Januar appelliert: "Kommen Sie zu uns, wir können Ihnen Ihre Ängste nehmen." Einige Nachbarn sind diesem Rat wohl gefolgt, bereits zur Einweihungsfeier Ende März, die noch ohne die Bewohner stattfand, kamen Gäste aus der Nachbarschaft.

Der Runde Tisch gegen Rassismus demonstriert für ein friedliches Miteinander. Die Gegner zeigen sich nicht. Auch zum Sommerfest kommen Nachbarn. Der Start war Ende April nicht ideal, die Bewohner sollten einziehen, obwohl die Baustelle noch nicht aufgeräumt war und es noch kein Warmwasser gab. Sie putzten dann ihre neue Unterkunft und gingen danach erst einmal wieder zurück in die Kufsteiner Straße. Das einzige, was nun noch fehlt, ist W-Lan. Das liege aber an der Telekom, sagt Wolfsmüller.

Ein Internetzugang sei sehr wichtig für die Flüchtlinge, sagt Wolfsmüller. "Sie müssen Bewerbungen schreiben. Sie kommunizieren mit ihren Familien und Freunden, die entweder noch daheim oder an anderen Orten in Deutschland, auch im Landkreis leben - und nicht zuletzt mit uns." Auch die Helfer bleiben am liebsten über WhatsApp in Verbindung. An der Lilienstraße haben die Helfer ebenfalls einen Internetzugang eingerichtet, die Benutzer zahlen dafür. Für die Bewohner der Himmelreich-Container gibt es eine Nachbarschaftshilfe: Die Friedenskirche hat ein Internet-Café eingerichtet. Wolfsmüller ist zufrieden damit, wie sich am Himmelreichweg alles eingespielt hat. "Von der Feindseligkeit, die der Unterkunft entgegen schlug, ist nichts mehr spürbar." Keine der Befürchtungen sei eingetreten.

Schwere Straftaten? Fehlanzeige

Das gilt für beide Seiten: Laut Norbert Klose, dem Sicherheitsbeauftragten für alle Flüchtlingsthemen, läuft am Himmelreichweg alles "hervorragend": keine Übergriffe - von keiner Seite. Kurz nach der Eröffnung der Unterkunft habe er drei oder vier E-Mails erhalten, die gegen die Flüchtlinge hetzten oder Verdächtigungen enthielten. Die seien alle anonym gewesen, sagt der pensionierte Kriminalpolizist, der für das Landratsamt arbeitet. Das habe sich jedoch schnell erledigt. Insgesamt seien die Straftaten, die von Flüchtlingen begangen wurden, deutlich zurückgegangen. "Mit der Auflösung der Traglufthallen ist es besser geworden." Oft musste die Polizei wegen Schlägereien kommen, teils wurden Sicherheitskräfte angegriffen, meistens, sagt Klose, handelte es sich aber um Streits unter den Bewohnern. Im Gewerbegebiet Gada, wo noch bis Januar eine Traglufthalle steht, seien Diebstähle gemeldet worden, auch diese seien zurückgegangen. Klose ist insgesamt zufrieden. Schwere Straftaten seien bisher gar nicht bekannt.

Der 62-Jährige begann Anfang des Jahres für das Landratsamt zu arbeiten - nach mehr als 43 Jahren im Polizeidienst. Gerade hat Klose noch um ein Jahr verlängert. Danach will er anderen das Feld überlassen. Dass sein Job überflüssig wird, glaubt Klose aber nicht. Er weiß, dass sich niemals alle Menschen ans Gesetz halten werden. Egal, woher sie kommen.

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