Flüchtlingspolitik:Paradoxe Popularität

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Mit Fernrohr für den Weitblick: Landrat Stefan Löwl wird sich auch im kommenden Jahr mit der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge befassen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Wie Landrat Stefan Löwl die Unterbringung von 2000 Flüchtlingen im Landkreis Dachau organisiert, darüber im Fernsehen diskutiert und auch eine US-amerikanische Tageszeitung über sein großes persönliches Engagement schreibt

Von Helmut Zeller, Dachau

Mehre Auftritte im ZDF-Morgenmagazin, in der Talkrunde mit Maybrit Illner und nun auch noch die Washington Post - Landrat Stefan Löwl (CSU) avanciert zum Medienstar. Der Artikel zitiert zwei deutsche Politiker: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Stefan Löwl, den der Korrespondent gleich der CDU zuschlägt. Im Fernsehen wird kein anderer bayerischer Landrat so oft zur Flüchtlingspolitik gehört. Es läuft gut für den 41-Jährigen, der im März 2014 die Wahl nur mit einem hauchdünnen Vorsprung gewonnen hatte. Vielleicht übertrumpft er gar noch seinen Vorgänger Hansjörg Christmann (CSU), der das Amt mehr als 30 Jahre ausübte, an Popularität. Dass es für Löwl so kam, verdankt sich paradoxerweise dem vielleicht größten Problem der Kommunalpolitik in den nächsten Jahren - der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge. Knapp zweitausend sind es am Jahresende.

Löwl und die 17 Bürgermeister der Landkreiskommunen hätten auf diese Herausforderung gerne verzichtet - da sie aber nun mal da ist, erfüllt der Verwaltungsjurist sie effizient und mit großem persönlichen Engagement. ZDF-Moderatorin Maybrit Illner fragte Löwl im Oktober, was er denn machen würde, wenn er König von Deutschland wäre? "Eine Woche Urlaub", antwortete der Landrat und landete einen Lacher in der Talkrunde. Natürlich ist er nicht allein: Die Mitarbeiter seiner Behörde, der Gemeindeverwaltungen, Bürgermeister, Wohlfahrtsverbände wie die Caritas, Kirchen, THW und andere helfen bei der Aufnahme der Flüchtlinge. Die Menschen finden eine Unterkunft, die Stadt Dachau und alle Gemeinden im Landkreis haben welche aufgenommen. Hunderte müssen allerdings ewig lange auf ihr Asylverfahren in den Traglufthallen in Karlsfeld und demnächst auch in Bergkirchen sowie in der Stadt Dachau warten.

Die Lebensbedingungen in diesen Hallen sind unzumutbar: Jeweils 200 bis 300 Flüchtlinge leben und schlafen auf engstem Raum. Sie haben keinerlei Privatsphäre, sind erstickender Luft, zu großer Hitze und künstlichem Licht ausgesetzt und können die Halle nur durch Schleusen verlassen. Anders, sagt Löwl, könne aber kein Platz mehr für die wachsende Zahl der Asylsuchenden geschaffen werden. In den Massenunterkünften kommt es immer wieder zu Streitereien, die gelegentlich auch in Raufereien münden. Durch solche Vorkommnisse fühlt sich der glücklicherweise kleine Teil der Landkreisbevölkerung bestätigt, der Flüchtlinge ablehnt und sich durch sie bedroht fühlt - diese irrationale Haltung findet vor allem Ausdruck in Hassparolen in sozialen Netzwerken. Worte gehen Taten voran. Bundesweit registrierte die Polizei in diesem Jahr 817 Straftaten gegen Flüchtlingsheime, die Zahl hat sich vervierfacht. Das ist ein Fall für die Strafverfolgungsbehörden.

Die Befürchtungen von Bürgern sind unbegründet: Nirgendwo dort im Landkreis, wo Flüchtlinge in größerer Zahl schon seit Monaten leben, ist ein Anstieg von Kriminalität zu verzeichnen. Das betont Thomas Rauscher, Leiter der Polizeiinspektion Dachau, aus gutem Grund bei jeder Gelegenheit in der Öffentlichkeit. Die Politik warnt davor, dass die positive Stimmung in der Bevölkerung kippen könnte - und tut alles dagegen, möchte man meinen. Dabei scheinen einige Äußerungen von Politikern eher latente Vorurteile und Ablehnung zu fördern. Etwa Löwls Ruf im ZDF-Morgenmagazin nach bundesweiten Sanktionen für Flüchtlinge, die in den Gemeinschaftsunterkünften Putzdienste und andere Aufgaben nicht übernehmen wollten. Dafür erhielt der CSU-Politiker auch Applaus aus der SPD. Entsetzt waren die Helferkreise, die sich in inzwischen in allen Gemeinden etabliert haben. Peter Barth aus Hebertshausen weiß, dass es in einigen Unterkünften Probleme mit mangelhafter Hygiene gibt. Aber dies sei "auch in jeder Studenten-WG" der Fall. Von Sanktionen hält er nichts. "Diese Diskussion ist absolut schädlich und stigmatisiert Asylbewerber immer weiter." Asylsuchende lebten auf engstem Raum mit fremden Menschen unterschiedlichster Nationalitäten zusammen. Da sei es nicht einfach, ein harmonisches Miteinander zu organisieren. Löwl blieb jedoch bei seiner Forderung, auch wenn er auf Druck einräumte, dass es doch nur eine geringe Zahl der Flüchtlinge betreffe.

Es gibt keinen Notstand. Kein einziger bedürftiger Landkreisbürger muss etwa um Sozialleistungen bangen. Oder der Mangel an bezahlbarem Wohnraum liegt nicht an den Flüchtlingen, wie in manchen politischen Debatten aufscheint, sondern an den Versäumnissen der Kommunalpolitik. Das hat Altlandrat Hansjörg Christmann zu seinem Abschied im Jahr 2014 selbst erklärt. Ein Landkreis mit mehr als 140 000 Einwohnern bricht nicht zusammen, weil er 2000 Asylsuchende aufnimmt. Aber man kann den sogenannten Notstand herbeireden, auch Furcht vor dem Terror schüren, wie das einzelne CSU-Politiker im Freistaat Bayern tun. Die meisten Landkreisbürger wissen nur wenig über die Flüchtlinge - mit Ausnahme der Menschen in den Helferkreisen, die tagtäglich mit ihnen umgehen. Die Politik lobt sie, denn ohne diese Helden der "Willkommenskultur" wäre sie aufgeschmissen.

Integration beginnt nicht irgendwann, sondern mit dem ersten Kontakt. Aber die Politik hört nicht auf die Helferkreise. Löwl belehrt sie: "Wir sind für die Flüchtlinge da, können aber nicht jedem helfen. Das ist auch bei den Helferkreisen angekommen", sagt er bei Fernsehauftritten. Als Landrat tut er alles dafür, dass die Asylsuchenden menschenwürdige Unterkünfte bekommen. Als CSU-Politiker fährt er den Kurs seiner Partei: Er spricht von Zahlen, "die wir nicht schaffen werden". Alle hätten einen Grund zu kommen, wie Löwl sagt, aber nicht unbedingt einen Asylgrund. Nur diejenigen, die es am meisten angeht, die Flüchtlinge, hört man nicht.

© SZ vom 29.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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