Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingspolitik:"Am Ende wird uns das wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich bereichern"

Landrat Stefan Löwl (CSU) über die Situation der Geflüchteten im Landkreis und seine Enttäuschung, dass Europa zu keiner gemeinsamen Lösung in der Flüchtlingspolitik findet

Interview Von Jacqueline Lang, Dachau

Im Herbst 2015 kamen zahlreiche Geflüchtete nach Deutschland, rund 2000 davon wurden in Landkreisgemeinden untergebracht. Damals glänzte Landrat Stefan Löwl (CSU), der 2014 sein Amt übernommen hatte, in der Rolle des Krisenmanagers. Vor diesem Hintergrund machte er sich auch außerhalb des Landkreises einen Namen. Er saß bei Maybritt Illner in der Talkshow, sogar die Washington Post zitierte ihn. Jetzt, fünf Jahre später zieht Stefan Löwl Bilanz.

SZ: Bis zum Brand im Lager Moria war die Flüchtlingsthematik in den letzten Monaten weitestgehend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Für Ihre Arbeit dürfte das nicht gelten, oder?

Stefan Löwl: Uns beschäftigt die Thematik tatsächlich weiterhin täglich. Wir haben nach wie vor ein ganzes Sachgebiet und mehr als 40 Mitarbeiter in diesem Bereich. Die Menschen sind ja nicht weg. Ging es früher um die allgemeinen Fragen wie "Wo kriege ich diese Woche die nächsten 50 Betten her?" und "Wie kann ich 50 Menschen mit Lebensmitteln versorgen?" geht es jetzt um 50 Einzelfälle und auch Einzelschicksale. Dies ist viel anstrengender und vielfältiger, aber vor allem auch verantwortungsvoller in der Bearbeitung.

Erst im August sollte ein gut integrierter Mann aus Markt Indersdorf abgeschoben werden. Damals haben sich die Helferkreise auch an Sie direkt gewandt. Sie haben gesagt, Ihnen seien die Hände gebunden.

Wenn in Deutschland in einem rechtmäßigen Verfahren eine Entscheidung getroffen wird und diese vom Gericht und im Zweifelsfall auch noch von einer zweiten Instanz bestätigt wird, dann bin ich nach meinem Amtseid, aber auch nach meinem Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat daran gebunden, selbst wenn ich gegebenenfalls eine andere Meinung habe.

Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass eine Gesellschaft ohne Ehrenamt nicht funktioniert. Gleichzeitig fühlen sich etwa Helferkreise auch im Landkreis oft von der Politik alleine gelassen.

Unsere Gesellschaft lebt vom Ehrenamt und das versuchen wir auch in allen Bereichen zu unterstützen. Bei Asyl liegt aber eine besondere Interessenslage vor. Ich nenne das zum einen das "soziale Ehrenamt". Dabei geht es darum, den Menschen vor Ort zu helfen. Und dies unterstützen wir personell und finanziell. Daneben gibt es aber auch das "politische Ehrenamt" von Menschen, die Regeln ändern wollen. Dies ist legitim, aber aus einem ehrenamtlichen Engagement lässt sich kein Anspruch ableiten, dass rechtliche Vorgaben nicht eingehalten werden. Hier gibt es Konsens und dass die Palette der guten Dinge, die man machen könnte, nahezu grenzenlos ist, während es die Ressourcen leider Gottes nicht sind, ist eine Binse.

Noch einmal zurück zu dem Brand in Moria: Auch Grünen- und SPD-Politiker aus dem Landkreis haben gefordert, Geflüchtete aus dem Camp aufzunehmen. Sie haben sich dagegen ausgesprochen.

Das stimmt so nicht ganz. Ich habe gesagt, dass wir natürlich jeden Flüchtling oder Asylsuchenden unterbringen und versorgen werden, der uns zugewiesen wird. Die auf Moria bezogene Forderung an Kommunen finde ich aber sehr populistisch. Natürlich ist ein solcher Brand tragisch und den Menschen muss man helfen, aber dass dies nur durch eine Aufnahme in Deutschland erfolgen kann, sehe ich so nicht. Wir sollten Griechenland oder Italien lieber ehrlich helfen, die Unterbringung dort vor Ort zu verbessern.

Hätte der Landkreis denn noch Aufnahmekapazitäten?

Die Kommunen im Landkreis haben weder Kapazitäten noch Ressourcen. Die Unterkünfte, welche wir im Landkreis haben, sind durchweg staatliche Unterkünfte. Wenn nun der Landkreis selbst Menschen aufnehmen möchte, müsste er wohl erst einmal wieder eine Landkreisturnhalle zumachen. Ich bleibe aber dabei: Wenn Deutschland wieder mehr Menschen aufnimmt, bringen wir im Landkreis Dachau jeden unter, der uns zugewiesen wird. Aber eine individuelle Bereitschaft wird der Not der Menschen meiner Meinung nach nicht gerecht. Ich bin - und das sage ich als überzeugter Europäer so auch klar und deutlich - in dieser Frage von Europa enttäuscht.

Was meinen Sie damit?

Dass es Europa nicht hinbekommt, die Themen Migration und Flüchtlinge einheitlich und mit Humanität zu lösen. Und dass es leider Gottes immer Tragödien braucht, damit etwas in Bewegung kommt. Ich sehe die politische Aufgabe Europas darin, eine einheitliche Lösung zu finden. Dass Deutschland im Einzelfall einmalig oder willkürlich hilft, wird dem gesamten Problem nicht gerecht und schadet der Gesamtidee von Europa.

Wo sehen Sie die Aufgaben im Bereich Asyl für den Landkreis in den kommenden Jahren?

Das fängt beim Thema Wohnen an - wir haben ja grundsätzlich einen großen Wohnraummangel, welcher sich dadurch noch verschärft. Auch bei der Ausbildung und beim Arbeitsmarkt müssen wir uns langfristig engagieren. Es bleibt deshalb ein Mehr an Aufwand, den wir als Gesellschaft leisten müssen. Die Geschichte lehrt uns außerdem, dass solch ein Prozess nicht in einer Generation erfolgreich sein kann, am Ende uns aber sowohl wirtschaftlich wie auch kulturell und gesellschaftlich bereichert.

Mit der Ankunft der Geflüchteten sind auch rechte Bewegungen in diesem Land erstarkt. Haben Sie die Sorge, dass die Gesellschaft im Landkreis weiter auseinanderdriftet und solche Bewegungen noch stärker werden?

Ich glaube, wir haben - wie auch schon in der Vergangenheit - einen Bereich innerhalb der Gesellschaft, der nationalistisch, extremistisch und rassistisch ist. Was sich mit der Flüchtlingskrise verändert hat, ist, dass sich dieser Bereich politisch etabliert hat. Da wird durch professionelle Propaganda Stimmung gemacht. Mit Aktionen wie "Demokratie leben" versuchen wir im Landkreis aufzuklären und dagegen zu wirken.

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Quelle:
SZ vom 02.12.2020
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