Asylpolitik:Die Angst, wieder abgeschoben zu werden

Asylpolitik: 62 Menschen leben derzeit in der Flüchtlingsunterkunft. Diese junge Familie ist erst vor wenigen Wochen in Hebertshausen angekommen.

62 Menschen leben derzeit in der Flüchtlingsunterkunft. Diese junge Familie ist erst vor wenigen Wochen in Hebertshausen angekommen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Kommunen klagen, sie könnten keine Geflüchteten mehr aufnehmen, einige fordern einen Aufnahmestopp. Kann das die Lösung sein? Zu Besuch in einer Unterkunft im Landkreis Dachau, wo Menschen darum kämpfen, überhaupt Fuß zu fassen.

Von Carlotta Böttcher

Die Glastür öffnet sich geschmeidig. Dahinter erstreckt sich ein langer Gang, rechts und links gehen Türen ab, davor liegen Adidas-Schlappen und Kinder-Sneaker. Früher war das Gebäude im Ortsteil Deutenhofen ein Krankenhaus, später dann ein Altenheim. Seit 2013 wohnen hier geflüchtete Menschen, derzeit sind es 62. Vom Altenheim ist nicht mehr viel übrig: Die Wände haben ihr strahlendes Weiß verloren, die Luft riecht abgestanden, durchzogen von einem leichten Duft nach frisch gekochtem Essen. Über den Flur sind in den Jahren viele Füße gerannt, geschlurft, gelaufen; der Dreck hat sich eingefressen.

Peter Barth ist der Koordinator des Helferkreises Hebertshausen, er kommt jede Woche rund drei Mal in die Unterkunft. Beim Hereinkommen grüßt er eine syrische Frau, die gerade von ihrer Arbeit im Altenheim kommt. Ein anderer Bewohner öffnet verschlafen seine Tür. "Du musst mal in deine Mails schauen, ich hab dir eine Wohnungsanzeige geschickt", sagt Barth. Der Bewohner sucht schon lange nach einer eigenen Bleibe, vielleicht klappt es ja diesmal.

Eine Treppe führt in den zweiten Stock, am Ende des Aufgangs liegt das Wohnzimmer: ein karg eingerichteter Raum mit einer Ledercouch, einem Sessel und einem roten Sofa. An der Wand hängen zwei große Schilder mit der Aufschrift "No Smoking". Auf dem kleinen Couchtisch liegt ein Ascherest, sonst ist alles leer. Barth freut sich: "Oh, es ist sauber heute."

Einer der Bewohner putze gerade für 80 Cent pro Stunde die Unterkunft. Man nennt diese 0,80-Euro-Jobs "gemeinnützige zusätzliche Arbeitsgelegenheiten", Asylsuchende können sich damit etwas dazuverdienen. Barth spricht ununterbrochen, er kommt von den Arbeitsgelegenheiten über die Unterkunft zum Asylverfahren: "Die Thematik ist endlos", so Barth.

"Die Bedingungen sind gut, es gibt nichts, was mich stört"

Von der Fensterfront des Wohnzimmers blickt man auf die benachbarten Balkone, die meisten Rollos sind geschlossen. "Dort drüben ist vor zwei Wochen eine Frau runtergestürzt", erzählt Barth. "Ich weiß nicht, ob das ein Unfall war, ob häusliche Gewalt oder ein Suizidversuch. Wir wissen nicht, was wir da machen sollen." Die Frau hat sich beide Beine gebrochen und ist jetzt im Krankenhaus. Barth schüttelt nachdenklich den Kopf. Dann öffnet sich die Tür des Wohnzimmers und Yannick kommt herein.

Der 31-jährige Kongolese trägt eine kurze Sporthose und Schlappen. Er ist kurz vor Weihnachten hier angekommen, gemeinsam mit seiner 24-jährigen Ehefrau Herine. Wie ist es, hier zu leben? "Die Bedingungen sind gut, es gibt nichts, was mich stört", sagt Yannick. Das junge Paar kämpft mit ganz anderen Problemen: "Meine Frau ist im siebten Monat schwanger. Wir waren in Polen im Gefängnis und haben Angst, wieder dahin abgeschoben zu werden." Nach neun Monaten im Gefängnis wurden sie nur unter der Bedingung freigelassen, in Polen Asyl zu beantragen - sonst wären es weitere neun Monate geworden. Dem jungen Paar droht nun die Abschiebung zurück nach Polen: Durch das Dublin-Verfahren ist das Land, in dem zuerst Asyl beantragt wurde, für sie zuständig.

Asylpolitik: Der 53-jährige Mohammed Al Amiri war im Jemen Arabisch-Lehrer, im Wohnzimmer lernt er nun mit Youtube-Videos Deutsch. Auch seine 75-jährige Mutter lebt in der Unterkunft.

Der 53-jährige Mohammed Al Amiri war im Jemen Arabisch-Lehrer, im Wohnzimmer lernt er nun mit Youtube-Videos Deutsch. Auch seine 75-jährige Mutter lebt in der Unterkunft.

(Foto: Niels P. Jørgensen)
Asylpolitik: In der Gemeinschaftsküche kocht ein Geflüchteter aus dem Senegal. Er ist seit zehn Jahren in Deutschland, sein Status: "geduldet".

In der Gemeinschaftsküche kocht ein Geflüchteter aus dem Senegal. Er ist seit zehn Jahren in Deutschland, sein Status: "geduldet".

(Foto: Niels P. Jørgensen)
Asylpolitik: Ein Zettel an der Badtür soll die Bewohnerinnen und Bewohner darauf hinweisen, beim Duschen Wasser zu sparen.

Ein Zettel an der Badtür soll die Bewohnerinnen und Bewohner darauf hinweisen, beim Duschen Wasser zu sparen.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Herine kommt dazu und setzt sich neben ihren Mann. "Warst du heute in der Schule?", fragt Barth. Er hat einen Aufnahmetest für sie organisiert, seit ein paar Wochen geht sie in die Berufsintegrationsklasse in Dachau. Das Konzept gibt es nur in Bayern: Geflüchtete Jugendliche sollen über zwei Jahre in speziellen Klassen unterrichtet werden, um im Idealfall danach fit für eine Ausbildung zu sein. Yannick ist mit 31 Jahren zu alt für so eine Klasse, Herine wird nach der Geburt ihres Kindes auch erst mal nicht mehr den Unterricht besuchen können. Aber heute war sie in der Schule, und inzwischen funktioniere auch die App mit dem Stundenplan auf ihrem Handy. Zuvor schrieb ihr Barth jeden Abend, welchen Unterricht sie am nächsten Tag hat.

Irgendwie die Zeit überstehen, um nicht verrückt zu werden

Yannick sagt: "Wir waren heute auf dem Amt, unser Ausweis ist abgelaufen. Die haben uns gesagt, wir sollen weggehen aus Deutschland." Mit der Hand macht er eine Bewegung wie jemand, der eine lästige Fliege verscheucht. Barth fragt, welchen Ausweis sie jetzt haben. "Duldung", antwortet Yannick. Inzwischen ist es dunkel geworden, die Deckenlampe funktioniert nicht richtig. Yannick leuchtet mit seiner Handytaschenlampe, damit Barth die Dokumente lesen kann. "Oh, das ist nicht gut", sagt Barth. Duldung, das höre sich gut an, aber es bedeutet, dass ihr Asylantrag abgelehnt wurde.

Geduldeten Menschen wird eine Ausreisefrist gegeben, nach Ende dieser Frist wird laut Asylgesetz eine "aufenthaltsbeendende Maßnahme eingeleitet". Vielleicht hat das junge Paar Glück und die Abschiebung nach Polen wird ausgesetzt. Ein Arzt hat Herine eine Risikoschwangerschaft attestiert, sie warten noch auf eine Antwort des Bundesverwaltungsgerichts.

"Meine Frau hat auch mentale Probleme. Sie schreit in der Nacht und schläft nicht richtig", sagt Yannick. Er schaut zu Herine, sie sagt: "Mit all dem - mir platzt der Kopf. Ich habe Angst, dass wir wieder nach Polen müssen, ins Gefängnis, mit dem Baby." Was sagt man darauf?

Auch dem Asylhelfer fällt es schwer, Rat zu geben, aber er versucht es: "Ihr müsst das hier zusammen durchstehen. Ihr müsst versuchen, stark zu sein. Wenn es geht, dann lernt Deutsch, geht in die Schule." Sie sollen irgendetwas machen, was sie ein bisschen ablenkt, etwas, das ihnen hilft, die Zeit hier zu überstehen. "Damit ihr nicht verrückt werdet", sagt Barth. Yannick schaut ihn an und antwortet: "Okay." Er sagt es so leise, dass man es kaum hören kann.

Lokales Wirken ändert nichts an der großen Politik

Die Bleibeperspektive für Menschen aus dem Kongo ist schlecht, zu Ländern mit sogenannter "guter Bleibeperspektive" zählt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lediglich Eritrea, Somalia, Syrien und Afghanistan. Im vergangenen Jahr wurden rund 228 000 Asylanträge in Deutschland gestellt. Geflüchtete aus der Ukraine zählen nicht dazu, da sie kein Asyl beantragen müssen. Das Ergebnis der Anträge: 56 Prozent der Asylsuchenden dürfen - zumindest vorerst - bleiben, die andere knappe Hälfte wird geduldet, ist aber eigentlich ausreisepflichtig, so wie Herine und Yannick. "Man wird alles versuchen, sie abzuschieben, aber man wird es nicht können, weil sie keinen Pass haben", erklärt Barth.

Herine und Yannick haben ihre Papiere auf der Flucht verloren. Schaffen sie es nicht, sich in den kommenden Monaten irgendwie auszuweisen, werden sie Sanktionen bekommen. "Wenn sie vorbestraft sind, können sie gar nichts mehr machen", so Barth. Das Verfahren werde sich dann unter Umständen über Jahre hinstrecken, auch hier sagt Barth wieder: "Die Thematik ist endlos."

Die einzige Möglichkeit, aus einer Duldung herauszukommen und bleiben zu dürfen, ist laut Bundesamt Bamf eine "nachhaltige Integration". Seit Ende letzten Jahres gilt das neue "Chancen- und Aufenthaltsrecht": Demnach können Geflüchtete, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland "ununterbrochen geduldet" sind, ein Aufenthaltsrecht beantragen. Weitere Bedingungen dafür sind: keine Vorstrafen und eigene Erwerbstätigkeit. Für Herine und Yannick dürfte auch das schwer werden: "Ohne Minimalkenntnisse Deutsch können wir für Yannick keine Arbeit finden, die beiden sind noch lange nicht so weit", so Barth.

Wäre er jünger, würde Barth heute in die Politik gehen

Als er vor zehn Jahren als Asylhelfer begann, hat er ausschließlich Deutsch unterrichtet. Später, als Koordinator des Helferkreises, hatte er keine Zeit mehr dafür. "Schade, das war die schönste Zeit", sagt Barth heute. Und ihn bedrückt noch etwas: Er ist heute wieder an einer Tür vorbeigegangen, an die er noch nie geklopft hat, bei Menschen, mit denen er noch nie gesprochen hat. Er freue sich zwar immer noch über jeden Einzelnen, dem er helfen kann, er sagt aber auch: "Mein Wirken ist rein lokal. Das ist nicht die große Politik, die man damit ändert."

Wäre der 75-Jährige jetzt 40 Jahre alt, würde er in die Politik gehen, sich in den Themen Asyl und Migration spezialisieren. Nach zehn Jahren Ehrenamt werde aber auch er langsam müde, obwohl er sich selbst als Mensch beschreibt, der kreativ ist, der immer versucht, irgendeine Chance, die es gibt, umzusetzen. "Wir können uns in der Welt nicht vor der Flüchtlingsthematik verschließen", sagt Barth. Menschen werden weiterhin nach Deutschland kommen, auch, wenn die Landkreise wieder Turnhallen belegen. "Und wenn das Boot jetzt schon voll sein soll, dann gnade uns Gott, was dann geschieht."

Forderungen der Helferkreise Asyl im Landkreis Dachau

Die Helferkreise bestätigen, dass es "in der Tat große Probleme auf kommunaler Ebene" gebe. Die wieder steigende Anzahl Geflüchteter sei aber nicht ursächlich für fehlende Wohnungen oder Kita-Plätze - diese Probleme "bestehen seit vielen Jahren". Nun verschärfen sie sich, da es immer weniger ehrenamtliche Asylhelfer gibt; keine weiteren Geflüchteten aufzunehmen, sei aber keine Lösung. Die Helferkreise haben über Jahre hinweg Aufgaben übernommen, "die von den staatlichen und kommunalen Ebenen hätten ausgeübt werden müssen". Dabei könne eine "ehrenamtliche Arbeit immer nur eine Ergänzung zum Hauptamt sein."

Konkret fordern die Helferkreise neue Integrationskonzepte und ein entsprechendes Management in den Kommunen: das Beratungs- und Betreuungsangebot müsse aufgestockt und "schwerpunktmäßig in die Asylunterkünfte verlegt" werden und die Verfahren müssen entbürokratisiert werden. Zudem fordern sie eine intensivere Arbeitsvermittlung der Jobcenter und mehr sozialen Wohnungsbau. Derzeit leben etwa 1400 Geflüchtete in den staatlichen Unterkünften im Landkreis, knapp die Hälfte davon sind sogenannte "Fehlbeleger", also Menschen, die einen Asylbescheid haben, aber keine eigene Wohnung finden.

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