Süddeutsche Zeitung

Feuerwehr Karlsfeld:Alarmstufe Rot

Die Gemeinde Karlsfeld wächst von Jahr zu Jahr, die Feuerwehr aber nicht. Gemeinsam mit einer Werbeagentur versuchen die Retter in der Not nun, Mitglieder zu gewinnen. Wegen der Ausgangsbeschränkungen läuft die Kampagne aber nicht wie geplant

Von Christiane Bracht, Karlsfeld

Es sollte ein Knaller werden. "Da kommt was Heißes...", steht auf mehr als 100 Plakaten in Karlsfeld. Neugierige führt ein QR-Code in der linken unteren Ecke auf die neue Homepage der Feuerwehr Karlsfeld, www.staerkermitdir.de. Schrille Farben blinken dem Betrachter dort entgegen: Rot, Neongrün und Türkis. Alarmierend sind die Parolen: "Karlsfeld brennt" oder "Karlsfeld steht das Wasser bis zum Hals". Beruhigend dagegen die Auflösung: "Wenn alle in Karlsfeld wegrennen, kommen wir." Etwa 1000 Nutzer haben sich bereits auf die Seite geklickt, sagt Kommandant Michael Peschke. Doch ein Anmeldeformular hat noch keiner ausgefüllt. Und gerade darauf kommt es den Feuerwehrlern an: Sie brauchen dringend mehr freiwillige Helfer.

Über Monate hinweg hat ein Team um Michael Konrad und den Kommandanten auch mit Hilfe einer professionellen Marketingagentur aus Dachau eine große Kampagne erarbeitet, die direkt nach der Kommunalwahl starten sollte. Die Plakate, die jetzt im Ort hängen, waren der erste Schritt. Sie sollten die Aufmerksamkeit auf die Feuerwehr lenken. Anfang April wollte man mit neuen Plakaten und eben der Homepage an den Start gehen, um Interesse zu wecken, natürlich auch, um auf das Problem aufmerksam zu machen und zum Nachdenken anzuregen. Doch das Coronavirus und die damit einhergehende Ausgangsbeschränkung haben die Pläne torpediert. "Der Spannungsbogen hält jetzt schon relativ lang an", sagt Konrad trocken. Über Enttäuschung will er nicht reden, lieber darüber dass sein Team jederzeit bereit sei, sobald die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden. "Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Wir können nicht ausscheren. Das wäre ein schlechter Werbeeffekt", erklärt Konrad. Deshalb halten die Feuerwehrler still und harren der Dinge.

Die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, ist in diesen Zeiten schwierig. Die Menschen sind vor allem mit einem beschäftigt: Corona und den Folgen. Eine schlechte Ausgangssituation, oder? Sicher gebe es viele, die sich Sorgen machen um ihren Job, die in die Kurzarbeit gerutscht sind und nun nicht mehr so viel Geld zur Verfügung haben oder gar krank sind, gibt Konrad zu. "Aber gerade jetzt gibt es auch viele, die Zeit haben und darüber nachdenken, wie sie helfen können." Manch einer habe vielleicht schon länger mit dieser Idee geliebäugelt. Konrad und Peschke sind jedenfalls optimistisch. Die Hilfsbereitschaft ist überall groß. Warum sollte die Solidarität beim Einkaufen enden? Warum sollte nicht auch die Feuerwehr davon profitieren? Immerhin ist die Situation in Karlsfeld besorgniserregend.

Seit 1987 gibt es konstant etwa 70 Aktive. Die Zahl der Einwohner ist jedoch gerade in den vergangenen Jahren rapide gestiegen - inzwischen sind es etwa 23 000-, die Einsätze haben sich verdreifacht. Etwa 240 waren es im vergangenen Jahr. In Stunden umgerechnet: fast 31 000. Die Belastung der Ehrenamtlichen steigt konstant. Und in den kommenden Jahren werden einige aus dem Team ausscheiden - einige aus Altersgründen, andere weil sie wegziehen müssen, da sie sich das Leben im teuren Karlsfeld nicht mehr leisten können. Die freiwilligen Helfer sind jetzt schon an ihrer Belastungsgrenze. Gewinnen sie keine neuen Kameraden dazu, ist die Einsatzfähigkeit irgendwann in Gefahr - zumal der Ort in absehbarer Zeit weiter wachsen wird. Auf dem Ludl-Gelände sind neue Wohnungen geplant und auch Gewerbe. Ist das fast vier Hektar große Areal an der Münchner Straße erst bebaut, wird die Zahl der Einsätze nach Berechnungen der Feuerwehr um weitere 20 Prozent steigen. Deshalb hat der Gemeinderat bereits im November trotz klammer Kasse eine finanzielle Unterstützung von 25 000 Euro zugesichert, damit die Feuerwehr das Marketingbüro engagieren und Mitgliederwerbung machen kann. Etwa 10 000 Euro will die Truppe mit Hilfe von Sponsoren auftreiben.

"Wenn keiner kommt, können wir wenigstens reinen Gewissens sagen: Wir haben alles getan", sagt Kommandant Peschke. "Dann muss der Staat was machen." Aber noch geben die Feuerwehrler nicht auf. "Wir werden die Aktion fortsetzen", erklärt Konrad.

Momentan sind die meisten sowieso zuhause, doch wenn die Leute Anfang Mai wieder auf die Straße gehen können, haben auch Plakate wieder Sinn, so der Leiter des Projekts Mitgliedergewinnung. Dann wird sofort wieder geklebt. Die Plakatständer stehen schließlich noch bereit. Und weil die Suche nach engagierten Helfern im Alter von 18 bis 55 Jahren nicht mit ein paar Plakaten erledigt sein wird, haben Konrad und sein Team sich noch andere Aktionen ausgedacht, die sie im Laufe des Jahres machen wollen. Aber verraten wird vorerst noch nichts. Nur so viel: Interessierte sollen die Gelegenheit bekommen, die Truppe kennenzulernen.

Die Corona-Pandemie hat für die Karlsfelder Feuerwehr übrigens auch eine gute Seite: "Die Zahl der Einsätze ist seit Beginn der Ausgangsbeschränkungen um mindestens 50 Prozent zurückgegangen", sagt Kommandant Peschke. "Wir können ein bisschen durchatmen." Allerdings gilt das wohl nicht für alle. Die Berufsfeuerwehrler, die sonst tagsüber bei einem Alarm in Karlsfeld zur Stelle sind, dürfen derzeit nicht bei der Freiwilligen Feuerwehr mitfahren. Das Verbot hat die Stadt München erlassen, so Peschke. "Zum Glück sind viele in Home-Office, sodass wir das ausgleichen können." Die Übungen, die sonst jeden Monat stattfinden, sind ebenfalls bis Ende April ausgesetzt. So hat es der Kreisverband angeordnet.

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SZ vom 17.04.2020
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