Literatur:Die alte Seuche ist zurück

Beim Festival "Dachau liest" geht es um große Literatur, die Lust am Schreiben, aber auch um aktuelle gesellschaftliche Themen: Eva Gruberová und Helmut Zeller beleuchten den bürgerlichen Antisemitismus

Von Karolin Arnold, Dachau

Dachau liest

Eva Gruberová liest gemeinsam mit ihrem Mann Helmut Zeller bei "Dachau liest".

(Foto: Privat)

Schon der Titel verspricht eine schonungslose Bestandsaufnahme. "Diagnose Judenhass: Die Wiederkehr einer deutschen Krankheit", so heißt das neueste Buch von Eva Gruberová und ihrem Mann Helmut Zeller. Bereits im Buchtitel wird deutlich, dass die beiden Journalisten ein gesellschaftliches Problem thematisieren, das von trauriger Aktualität ist. Nicht erst seit dem Anschlag auf die Synagoge in Halle müssen Jüdinnen und Juden in Deutschland um ihr Leben fürchten. Die amtlichen Statistiken belegen einen Anstieg antisemitischer Straftaten - Schändungen von jüdischen Denkmälern, bewaffnete Anschläge auf Synagogen, judenfeindliche Parolen bei antiisraelischen Demonstrationen oder Anti-Corona-Protestzügen. Auch wenn man es gerne glauben würde: Der Antisemitismus ist nach 1945 in Deutschland nie verschwunden. Er hat sich nur nicht so offen gezeigt.

Inzwischen sehen sich Juden in Deutschland wieder verstärkt mit antisemitischen Parolen und Anfeindungen konfrontiert, selbst Mordanschläge gibt es, deren einziges Motiv Antisemitismus ist. Ein normales jüdisches Leben in Deutschland zu führen, sei kaum möglich, bilanziert das Autorenduo. Das habe auch damit zu tun, dass dieser Judenhass keineswegs nur ein Phänomen der rechten politischen Ränder ist.

"Antisemitismus kam und kommt aus der 'bürgerlichen Mitte'", ist eine zentrale Aussage dieses Buchs, die auch die ganze Breite der Zivilgesellschaft in die Pflicht nimmt: Niemand darf die Augen davor verschließen, wenn jüdische Menschen beleidigt, bedroht oder angegriffen werden. Jeder ist aufgefordert, dem Hass entgegenzutreten. Dazu gehört auch, sich adäquat zu informieren und den in vielen Köpfen verankerten antisemitischen Stereotypen mit Fakten entgegenzutreten.

Die beiden Autoren beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit zeitgeschichtlichen Themen und aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Eva Gruberová ist freie Journalistin, aber auch als Referentin an der KZ-Gedenkstätte Dachau tätig. Zudem veranstaltet sie Workshops für Jugendliche, um auch die nachfolgenden Generationen über die NS- Geschichte und die Gefahren des Rechtsextremismus und Antisemitismus aufzuklären. Helmut Zeller, langjähriger Leiter der SZ-Redaktion in Dachau, dürfte den meisten Lesern bekannt sein. In der Süddeutschen Zeitung publizierte er zahlreiche Artikel über den Nationalsozialismus, jüdisches Leben und Erinnerungspolitik.

Dachau liest

Helmut Zeller.

(Foto: Privat)

Für ihr Buch haben die beiden sich auf eine Reise quer durch Deutschland begeben, aber auch die österreichische Hauptstadt Wien war Ziel ihrer umfangreichen Recherchetour. An den verschiedensten Orten haben sie mit jüdischen Mitbürgern über ihre Erlebnisse und Erfahrungen gesprochen. Dass die Betroffenen selbst zu Wort kommen und Gehör finden, ist ein wichtiger Aspekt, der bereits in zahlreichen Rezensionen hervorgehoben wurde. Das Buch liefert Daten, Fakten und Analysen. Die Gespräche und Interviews, die mit denen geführt wurden, die unmittelbar mit antisemitischen Anfeindungen konfrontiert sind, erscheinen dennoch essenziell, um die gegenwärtige Lage in der Gesellschaft zu analysieren.

Moderiert wird dieser Abend von keinem Geringeren als Norbert Göttler.

Göttler ist selbst in Dachau geboren und als freier Autor für die Süddeutsche Zeitung tätig, er ist Fernsehregisseur und unter anderem Mitglied des Münchner Presseclubs. Außerdem ist Göttler seit 2012 hauptamtlicher Bezirksheimatpfleger des Bezirks Oberbayern. Davor war er Kreisheimatpfleger in Dachau; in dieser Zeit setzte er sich auch immer wieder kritisch mit der Geschichte des Nationalsozialismus seiner Heimat und dem Umgang damit auseinander.

Dass Eva Gruberová und Helmut Zeller mit ihrem neuen Buch bei "Dachau liest" vertreten sind, ist nicht nur deshalb gut und richtig, weil das Autorenpaar selbst in Dachau lebt, sondern weil die Stadt Dachau den Anspruch erhebt, heute ein "Lern- und Erinnerungsort" zu sein. Die Lesung leistet dazu ihren eigenen wertvollen Beitrag.

Dachau liest

Karten für das Literaturfestival "Dachau liest" sind zum Preis von 14 Euro (zuzüglich Vorverkaufsgebühr) als print@home-Tickets über München Ticket sowie in der Tourist-Information der Stadt Dachau, Konrad-Adenauer-Straße 1, erhältlich. Für den Besuch der Veranstaltungen gelten die 3-G-Regeln. Die Abendlesungen im Thoma-Haus beginnen um 20 Uhr, Einlass ist von 19.30 Uhr an. Das Programm: Montag, 4. Oktober, Doris Dörrie: Leben, schreiben, atmen; Dienstag, 5. Oktober, Steffen Kopetzky: Monschau; Mittwoch, 6. Oktober, Eva Gruberová und Helmut Zeller: Diagnose: Judenhass. Die Wiederkehr einer deutschen Krankheit; Donnerstag, 7. Oktober, Judith Hermann: Daheim; Samstag, 9. Oktober, Helga Schubert: Vom Aufstehen. Ein Leben in Geschichten; Donnerstag, 7. Oktober, um 15 Uhr liest Alice Pantermüller: Mein Lotta-Leben - Je Otter, desto flotter (Band 17). Der Eintritt zu der Kinderlesung ist frei. Einlass 14.30 Uhr. SZ

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