Zweimal wurde es beim FDP-Wahlkampfauftritt am Donnerstagabend unerwartet laut. Gleich zu Beginn, als ein Mann im Publikum seine kleine Kettensäge aufheulen ließ; offenkundig eine Hommage an den argentinischen Ministerpräsidenten und bekennenden Anarchokapitalisten Javier Milei, der 2023 im Wahlkampf regelmäßig mit einer Kettensäge aufgetreten war. Und eine Dreiviertelstunde später, als FDP-Bundestagskandidatin Susanne Seehofer ein Geburtstagsständchen anstimmte. Ein einziger Tisch im Dachauer Lokal Luja war nicht von den Wahlkämpfern reserviert worden: Dort feierte ein junger Mann mit Freunden seinen Geburtstag. Für die spontanen Glückwünsche dankte er höflich lächelnd.
Ansonsten ging es erwartbar um Politik, vor allem: um Wirtschaftspolitik. Gemeinsam mit dem parlamentarischen Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion Johannes Vogel präsentierte Susanne Seehofer, die zum ersten Mal in den Bundestag einziehen möchte, ihre Vorstellungen für einen Weg aus der Rezession. Sie habe einmal einen Tag Praktikum im Pflegeheim gemacht, erzählte Seehofer. Dabei habe sie erlebt, wie eine Pflegerin drei Stunden lang bloß mit Papierkram beschäftigt gewesen sei. Und nicht nur die Pflege ächze unter zu vielen Vorschriften der Politik: „Das Brüsseler Bürokratiemonster droht, den Mittelstand zu zerstören.“

Bundestagswahl:„Ich gehe meinen eigenen Weg. In einer anderen Partei“
Susanne Seehofer ist die Tochter des früheren CSU-Vorsitzenden. Sie tritt aber für die FDP an. Sollten die Liberalen die Fünfprozenthürde nehmen, dürfte ihr das Bundestagsmandat sicher sein.
Die Lösung für eine wachsende Wirtschaft seien daher weder die Abschaffung der Schuldenbremse („Das ist kein liberaler Fetisch, sondern vernünftig.“), noch Steuererhöhungen („Wir haben kein Einnahmeproblem.“) – sondern weniger Bürokratie: „Wir fordern ein dreijähriges Bürokratie-Moratorium“, so Seehofer. Abschließend kritisierte sie in ihrer kurzen Rede noch rasch die Rentenpolitik von Union und SPD, die ungerecht für junge Leute sei. Es folgte höflicher Applaus aus dem Publikum. Und dann: der Auftritt des Johannes Vogel.
Wie Seehofer zu Schwangerschaftsabbrüchen steht, erfährt das Publikum zum Beispiel nicht
Vogel sitzt, mit einer Unterbrechung zwischen 2013 und 2017, seit 2009 im Deutschen Bundestag, davor war er Vorsitzender der Jugendorganisation der FDP. Der 42-Jährige gehört zu den bekannteren Gesichtern seiner Partei, gibt regelmäßig Interviews in überregionalen Medien und wird in Talkshows eingeladen. Für Susanne Seehofer hingegen war es eine der wenigen Möglichkeiten, sich in dem kurzen Wahlkampf potenziellen Wählern zu präsentieren. Ein wenig überraschend war es daher schon, dass Vogel diese Veranstaltung im Laufe des Abends zunehmend an sich riss.

Er redete etwa dreimal so lang wie Seehofer, holte stellenweise weit aus, verlor sich (und manchen Zuhörer) in Details und Anekdoten. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt Deutschlands liege noch hinter dem von West Virginia, so Vogel. Hans-Dietrich Genscher, den er noch kennengelernt habe, hätte oft zu ihm gesagt: „Wir müssen neues Denken in die Politik bringen.“ Olaf Scholz betreibe „Wählerverarsche“. Und die Idee Robert Habecks, Sozialabgaben auf Kapitalerträge zu erheben, sei unfair gegenüber allen Sparern. Zudem erklärte Vogel, dass Schweden künftig Deutschlands Vorbild für die sogenannte Aktienrente werden müsse. Überhaupt Aktien: „Ich rede so gerne über Aktien.“ Und tat es auch.
Das Thema Migration streifte Vogel ebenfalls. Für seine Forderung nach mehr Law and Order („Die Strafe hat auf den Fuß zu folgen“) bekam er lauteren Applaus als für seine Betonung der Notwendigkeit von Fachkräfteeinwanderung aus dem Ausland.
Gerne hätte man zu diesen Themen Susanne Seehofer gehört, doch die kam auch in der anschließenden Fragerunde kaum zu Wort. Sogar auf die Frage einer jungen Frau, wie die FDP zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen steht, antwortete Johannes Vogel. Im Kern sagte er, dass es bei einer Abstimmung im Parlament wohl zu keinem einheitlichen Verhalten innerhalb der Fraktion käme. Doch wie jene Frau abstimmen würde, die sie mit ihrer Stimme in den Bundestag entsenden sollen, erfuhren die etwa 80 Menschen, die an diesem Abend ins Luja gekommen waren, nicht.