FDP im Landkreis DachauDie Liberalen im Aufwind

Lesezeit: 3 Min.

Die FDP ist nach der Bundestagswahl wiedererstarkt und findet Anklang bei Jüngeren - auch im Landkreis. Dabei blickt sie in Dachau auf eine abenteuerliche und holprige Geschichte. Wie geht es nun für die Partei weiter?

Von Joshua Beer, Dachau

Thomas Obeser erscheint nicht im Hemd oder Anzug zum Gespräch sondern im Hoodie. Das ist insofern überraschend, weil er im Kreisvorstand der Jungen Liberalen (Julis) in Dachau/Fürstenfeldbruck ist. Dem äußeren Stereotyp wird er also nicht gerecht, nur seine Haare sind ordentlich gestylt. "Wir sind da überhaupt nicht im Klischee", sagt er über seine Julis. Obeser ist 23 Jahre alt, aus Altomünster und hat Kaufmann gelernt. Er arbeitet bei einem Finanz-Tech-Unternehmen, "Fin-Tech" spricht er das aus. Seit 2019 ist er FDP-Mitglied und Kreisschatzmeister der hiesigen Julis. Damit gehört er zu einer Gruppe, bei der die Liberalen in dieser Bundestagswahl besonders punkten konnten: junge Menschen. Unter den 18- bis 24-Jährigen wählten rund 21 Prozent die FDP, lediglich die Grünen schnitten noch besser ab. Obeser erklärt sich das damit, dass Jüngere nach 16 Jahren Merkel keine Lust mehr auf große Koalition oder Ähnliches hätten: "Die FDP spricht sie beim Thema Modernisierung und Digitalisierung an, die Grünen beim Klimaschutz." Dass die beiden Parteien nun auf Bundesebene eine Koalition ausloten, findet er gut. "Ich sehe das als Chance", sagt er, auch wenn ein Teil der Stammwählerschaft da anderer Meinung sein dürfte.

Bei der Frage "Jamaika oder Ampel?" holt Obeser tief Luft. Mit der CDU habe man mehr Schnittmengen als mit der SPD, aber die Union sei aktuell "nicht unbedingt regierungsfähig". "Ich bin zwiegespalten", sagt er. "In einer Ampel-Koalition werden wir wohl weniger Inhalte durchbringen können." Abgeneigt ist er aber nicht. Christian Stangl, der FDP-Kreisvorsitzende von Dachau, wird deutlicher: "Jamaika ist eigentlich ein No-Go. Die Ampel ist für mich am naheliegendsten." Unionskanzlerkandidat Armin Laschet wolle keiner haben, und andere wie Söder oder Röttgen hätten nicht zur Wahl gestanden. Außerdem: Mit der Wahlverliererin zusammenzugehen, das wäre laut Stangl auch innerparteilich schwer zu verkaufen. Dass FDP und Grüne vorab zu zweit sondieren, hält er für einen "klugen Schachzug". Man habe ja ähnliche Ziele, etwa im Klimaschutz, "nur die Wege sind unterschiedlich", so der Kreisvorsitzende. "Beide Parteien sind jung, dynamisch, unverbraucht und haben die Jugend hinter sich", sagt er. Gemeinsam mit der SPD könne man "Deutschland einen Tritt in den Hintern geben", um in Bereichen wie Klimaschutz und Digitalisierung wieder aufzuholen.

Die FDP als Trittgeber, als Modernisierer; man hört es Stangl und dem jungen Obeser an: Der Aufwind für die Liberalen in dieser Wahl - 11,5 Prozent im Bund - ist auch im Landkreis zu spüren, wo der Zweitstimmenanteil bei 11,9 Prozent lag. Das ist durchaus bemerkenswert, zumal die FDP in Dachau auf eine abenteuerliche Geschichte zurückblickt. Einst eine kleine Honoratiorenpartei um zwei angesehene Herren namens Karl - den Vorsitzenden Hönle und den Arzt Wilhelm - erfuhr sie im Herbst 2007 einen drastischen Bruch. Damals traten wie aus dem Nichts zahlreiche Neumitglieder um Alfred Stelzer bei, entmachteten die alte Garde in einer Kampfabstimmung und füllten die Kreisliste mit völlig unbekannten Namen. Die Aktion war offenkundig orchestriert, die neuen Gesichter erhielten nach einer Äußerung Stelzers schnell den Namen "Freundeskreis Stelzer-Ullmann". Als Strippenzieher galt nämlich Herbert R. Ullmann, ein Dachauer Bauunternehmer und Freund Stelzers, der die Kreispartei neoliberal ausrichtete. Als "Umsturz" bezeichnete die Dachauer SZ den Bruch damals.

Newsletter abonnieren
:SZ Gerne draußen!

Land und Leute rund um München erkunden: Jeden Donnerstag mit den besten Freizeittipps fürs Wochenende. Kostenlos anmelden.

"Da wurde handstreichartig die FDP übernommen", erinnert sich Jürgen Seidl. Er ist heute der einzige, der von jenem "Freundeskreis" noch übrig ist. Damals wurde er von Ullmann für die Partei angeworben: "Dabei wollte ich mit Politik ursprünglich nichts zu tun haben." Hat er jetzt aber. Seit 2014 ist Seidl der einzige FDP-Stadtrat in Dachau. Sein Vorgänger: Alfred Stelzer. Die Neueintritte damals haben die Mitgliedschaften Seidl zufolge auf bis zu 130 katapultiert - Traumzahlen. Dann kam Hans Peter Posch, der im Frühjahr 2013 als Kreisvorsitzender in Betrugsverdacht geriet und sich zunächst weigerte, zurückzutreten. Die Mitgliederzahl sei daraufhin auf etwa 30 gesunken, erzählt Seidl. Bei den Bundestagswahlen 2013 stürzte die FDP im Landkreis - parallel zum Bund - sagenhaft ab, von 15,5 auf 4,49 Prozent. 2014 übernahm Christian Stangl den Kreisvorsitz, weil es sonst keiner machen wollte. Lediglich einen Ortsverband unterhielt die FDP: in der Stadt Dachau. "Damals war die Partei total am Boden, heute ist sie obenauf", sagt Stangl. Stand jetzt: Fünf Ortsverbände, zwei werden zeitnah gegründet - Erdweg und Hilgertshausen-Tandern - sowie 101 Mitglieder, allein vier neue seit der Bundestagswahl. Die Julis zählen aktuell 21 Köpfe, ihr Kreisschatzmeister Obeser erwartet nach der Wahl noch mehr Zuwachs. "Es gibt eine Aufbruchsstimmung", sagt er. Und die führt weg von den alten Parteien. Im Wahlkampf habe man dies gemerkt, etwa an den Infoständen. "Die CSU kam spät und ging früh", erzählt er. Wahlkampf habe die CSU im Landkreis offenbar nicht so interessiert.

"Man muss am Ball bleiben", so Obeser. An eine künftige Bundesregierung unter FDP-Beteiligung stellt er Erwartungen. Die soll Themen voranbringen, die den Julis wichtig sind. Etwa die Cannabis-Legalisierung, die von den Jungen "durch die FDP geboxt" worden sei, und die drei Ds: Digitalisierung, Demografie - hier präferiert Obeser die sogenannte Aktienrente - und Dekarbonisierung. "Ich bin überzeugter Öffi-Fahrer", sagt er. Der ÖPNV gehöre ausgebaut. Ansonsten setzt er - ganz auf FDP-Linie - auf eine CO₂-Mengenregulierung. Das alles soll laut Parteiprogramm ohne Steuererhöhungen klappen.

Bei allem Überschwang erkennen sowohl Stangl als auch Obeser einen Wermutstropfen im Erfolg: Es mangelt der FDP an Frauen. Obeser: "Wir sind noch zu männerlastig."

© SZ vom 06.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

MeinungSondierung
:Abschied von Jamaika

SZ PlusKommentar von Daniel Brössler
Portrait undefined Daniel Brössler

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: