Familiengeschichte:Uri und die Kunst des Vaters

Familiengeschichte: Mittagspause auf dem Kunstwerk des Vaters: Ursula Erber genießt die Ruhe auf dem Max-Mannheimer-Platz.

Mittagspause auf dem Kunstwerk des Vaters: Ursula Erber genießt die Ruhe auf dem Max-Mannheimer-Platz.

(Foto: Toni Heigl)

Die 83-jährige Dahoam-is-dahoam-Darstellerin Ursula Erber radelt während der Drehpausen oft zum Max-Mannheimer-Platz. Und setzt sich stolz auf die Steinskulptur, die Josef Erber Anfang der Siebzigerjahre für die Postschule angefertigt hat

Von Christiane Bracht, Dachau

In den Drehpausen kommt sie gerne hierher. Auf dem etwas versteckt gelegenen Max-Mannheimer-Platz kann Ursula Erber wieder Energie tanken. "Hier ist es meistens still", sagt die Schauspielerin. Zehn Jahre ist sie nun schon die Uri oder die Oma von Lansing, dem erfundenen Ort von "Dahoam is dahoam". Und in dieser Zeit ist ihr auch Dachau sehr ans Herz gewachsen. Mit dem Rad fährt sie gelegentlich durch die Stadt, genießt das Flair. Ein Abstecher zum großen Platz vor der Stadtbücherei ist natürlich auch meist dabei. "Es ist einer meiner Lieblingsplätze", sagt Erber und setzt sich auf die Skulptur. Ihr Vater Josef Erber hat sie gemacht, und das erfüllt die 83-Jährige mit "einem gerüttelt Maß an Stolz".

"Er hat sie für die Postschule angefertigt", erinnert sich die Stockdorferin. Aber warum die dreiteilige Plastik gerade hier steht, das leuchtet ihr nicht ein. Ältere Dachauer wissen das natürlich schon. In dem weiß getünchten Altbau war nicht immer die Scheibner-Schule für Wirtschaft. Das 1875 errichte Gebäude wurde einst als Moorbad genutzt. Reiche Leute bekamen hier ihre Anwendungen, um von Gicht, Rheuma oder Frauenleiden geheilt zu werden. Doch nach dem Krieg war das Bad mit einem Mal nicht mehr rentabel. Kaum jemand hatte so viel Geld, um zwei Monate auf Kur zu gehen, und so wurde das Moorbad 1951 an die Post verkauft. Diese richtete dort eine Schule für angehende Postler ein. Anfang der Siebzigerjahre musste das Unternehmen anbauen, denn jedes Jahr kamen bis zu 6000 Schüler aus dem ganzen Bundesgebiet, um hier ihre Seminare zu besuchen. Es entstand das Gebäude, indem heute die Stadtbücherei ist und das jetzige Studentenwohnheim, das damals als Gästehaus genutzt wurde. Den neuen Platz schmückte die Post mit der Skulptur von Josef Erber. Doch der Obermenzinger Künstler hatte keine Signatur an sein Werk angebracht. Im Laufe der Jahre geriet er in Vergessenheit. Die Post verkaufte das Gelände und plötzlich wusste niemand mehr, wie die Plastik dorthin kam, geschweige denn, wer sie gemacht hat.

"Mein Vater war eben sehr bescheiden", sagt Erber. "Man findet auch kaum etwas über ihn im Internet. Ich finde das schade." Hätte die Dachauer Gästeführerin Anni Härtl nicht insistiert und einen ehemaligen Postbeamten gefunden, der unter früheren Kollegen nachforschte, die Stadtangestellten würden noch heute mit den Schultern zucken und fragende Gesichter ziehen, wenn sie auf die Steinskulptur am Max-Mannheimer-Platz angesprochen werden.

"Die Skulptur ist dafür gemacht, dass man sie als Sitzgelegenheit nutzt", sagt Erber. Doch der Platz ist leer. Sie ist etwas enttäuscht, dass sich niemand auf dem Werk ihres Vaters ausruht. Gut, nicht alle steinernen Vorsprünge sind bequem, gibt sie zu. "Aber hier kann man schon ein Mittagsschläfchen machen oder zum Himmel aufschauen", sagt die Schauspielerin, setzt sich auf die gedrehte Steinplastik, die wie eine riesige Schraube wirkt, und lehnt sich weit zurück. Doch schon nach kurzer Zeit springt sie auf. Der Stein ist kühl. Aber Erber hat erst angefangen, die Möglichkeiten zu entdecken: "Hier kann man sich verkriechen, wenn es regnet", kichert sie und kauert sich unter dem hochkanten Standbild zusammen. Ob der steinerne Querbalken über dem Sitzvorsprung viel Nässe abhält, ist allerdings fraglich. Aber die ältere Dame ist agil. Sie zieht die Beine hoch, wie ein junges Mädchen.

"Mein Vater hat viel für die Post gemacht", sagt Erber etwas verträumt. "Wunderschöne Sachen." Sie schwärmt besonders von einer goldenen Plastik, einem Baum mit Vögeln darauf, die vor der Oberpostdirektion München stand. Auch ihr Bruder, Simon Erber, erinnert sich. Der Vater habe mit Leidenschaft daran gearbeitet, verdient habe er allerdings an dieser Plastik nichts - eher draufgezahlt. "Sie ist berückend schön", sagt Ursula Erber. Doch ihr Bruder weiß auch, dass eben diese Plastik bei einem Umbau grob "vom Sockel gerissen" und schwer beschädigt wurde. "Es kümmert sich ja keiner darum. Das ist die Entropie des Lebens", sagt er etwas resigniert. Viele Kunstwerke des Vaters, die im Rahmen von "Kunst am Bau" in den sechziger und siebziger Jahren entstanden sind, existierten nicht mehr. Man habe sie im Zuge von Neubauten oder Veränderungen an den Plätzen einfach weggeworfen. In seltenen Fällen sei man sensibler mit dem künstlerischen Erbe umgegangen und habe den Plastiken einen neuen Raum gegeben. "Es war eine schnelllebige Epoche", sagt Erber. In kollektiver Erinnerung ist allen der Weiß Ferdl auf dem Viktualienmarkt geblieben. Dabei seien die Münchner damals stocksauer gewesen, weil Josef Erber ihn als "billigen Angeber" dargestellt hatte, sagt der Sohn.

"Eine gute Plastik muss von jeder Seite anzuschauen sein und etwas erzählen", das habe der Vater immer gesagt, erinnert sich Ursula Erber. Sie wandert um die Dachauer Skulptur herum. "So wie diese hier. Es entstehen Durchbrüche, dann werden sie wieder verdeckt." Zuhause im Atelierhaus in Obermenzing entwarf der Bildhauer die Modelle, passte sie in den Raum ein, für die eigentliche Steinmetzarbeit fuhr er in den Steinbruch. "Er hatte einen guten Bezug zu Flossenbürg. Dort hat er seine Steine ausgesucht", sagt Ursula Erber. Auch ihr Bruder erinnert sich, dass der Vater oft mehrere Wochen dort war. Manchmal habe er ihm geholfen. Die Skulptur in Dachau ist aus Granit - "ein hartes Urgestein, das lässt sich gut bearbeiten." Es trägt den Titel: Brief, Technik, Bank - passend zum Auftraggeber eben.

Am meisten freut sich Ursula Erber, dass der Platz nun Max-Mannheimer-Platz heißt. "Das ist fabelhaft", ruft sie. Ihr Vater habe Mannheimer kennengelernt und war begeistert von ihm. Er habe die Leidenschaft bewundert, mit der Mannheimer erzählt hat, was er durchgemacht hatte. Josef Erber hatte während der Zeit des Nationalsozialismus praktisch Berufsverbot. "Er war ein in der Wolle gefärbter Antifaschist", sagt die Schauspielerin.

Und dann ist Pause in der Schule gegenüber. Die Jugendlichen strömen auf den Platz. In Gruppen stehen sie zusammen. Einige setzen sich auf die Steinskulptur, um zu ratschen. Erber ist begeistert.

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