Fachkräftemangel:Kampf um jeden Erzieher

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Eltern haben einen Rechtsanspruch auf die Betreuung ihres Kindes. Doch Kommunen und private Träger von Kindertageseinrichtungen können den Bedarf kaum abdecken, weil Pädagogen fehlen. Dafür gibt es viele Gründe

Von Petra Schafflik, Dachau

Alles steht bereit: freundliche Zimmer, Spiel- und Lernmaterial in den Regalen, kleine Tische und Stühle für die Brotzeit, bunte Kissen zum Ausruhen. Nur Mädchen und Buben spielen nicht in so manchen Räumen der städtischen Kindertagesstätten. Obwohl Kita-Plätze eigentlich Mangelware sind, müssen Gruppen leer bleiben, weil Pädagogen fehlen. Allein in Dachau können im Herbst deswegen wohl 70 Plätze nicht belegt werden. Ein Problem, das nicht nur die Stadt trifft. Auch im Landkreis gibt es immer wieder Einrichtungen, die Gruppen schließen müssen, neugebaute Räume nicht voll belegen können, weil es an Mitarbeitern mangelt. Vor allem Erzieher, die in Bayern eine fünfjährige Ausbildung absolvieren, gibt es zu wenige in der Region. Mit diesem Fachkräftemangel kämpfen alle Kita-Träger, egal ob Kommunen oder Wohlfahrtsverbände. Und für alle gilt: Ein Patentrezept gibt es nicht.

Der Mangel an qualifizierten Pädagogen ist kein neues Problem. Nachdem Familien auch für ihr Kleinkind einen Rechtsanspruch auf Betreuung haben, läuft überall der Ausbau der Kita-Kapazitäten. Weil kleine Mädchen und Buben aber nicht nur kindgerechte Räume brauchen, ist parallel auch der Bedarf für Fachkräfte in die Höhe geschnellt. Und während eine Tagesstätte notfalls als Container-Anlage schnell aufgestellt ist, dauert die klassische Erzieher-Ausbildung fünf Jahre. Verschärft wird das Problem im Landkreis durch den Zuzug junger Familien, die den Betreuungs- wie Personalbedarf noch befeuern. Dazu kommt: Viel mehr Eltern als vor einigen Jahren benötigen für ihre Kleinkinder einen Kita-Platz. Junge Mütter kehren rasch zurück in den Beruf, weil qualifizierte Frauen gerne weiter beruflich tätig sein wollen. Aber auch, weil die meisten Familien in der teuren Boomregion schlicht auf zwei Einkommen angewiesen sind. Erschwert wird die Personalplanung in den Kitas noch durch eine der Öffentlichkeit kaum bekannte Vorgabe des Arbeitsschutzes, die dazu führt, dass Erzieherinnen bei einer Schwangerschaft sofort freigestellt werden müssen. Die strikte Regelung schützt das Ungeborene, erleichtert aber nicht die Personalplanung in einem Arbeitsumfeld, in dem viele junge Frauen arbeiten. Was tun?

Kinder brauchen nicht nur geeignete Räume wie hier im Dachauer Kindergarten Nazareth. Für die Betreuung sind auch qualifizierte Kräfte nötig. (Foto: Toni Heigl)

Familien überall im Landkreis sind auf eine gute Betreuung angewiesen, folglich investieren die Gemeinden weiter in Erweiterungen und Kita-Neubauten. Um dann engagierte Pädagogen zu finden, beschreiten kommunale und freie Träger unterschiedlichste Wege. Ganz klassisch hat Petershausens Bürgermeister Marcel Fath (FW) per Anzeige eine Erzieherin gesucht für einen neuen Kindergarten, den die Gemeinde zusammen mit einem Elternverein aufbaut. Der Rathauschef wurde überrascht "Jetzt habe ich mehr Bewerberinnen als Kinder." Einige Kandidaten wohnen in Petershausen und wollen auch dort arbeiten. Zudem reize "die Perspektive, etwas Neues mit aufzubauen."

Erfolgreich auf Personalsuche war heuer auch Iris Hille-Lücke, die als Bereichsleiterin das 45-köpfige Pädagogen-Team der gemeindlichen Kindergärten in Bergkirchen koordiniert und heuer fünf Mitarbeiterinnen einstellen konnte. Wichtig sei ein gutes Arbeitsklima wie auch möglichst passgenaue, flexible Arbeitszeiten, erklärt Hille-Lücke. Auf stabile Teams, in denen sich die Mitarbeiter wohlfühlen, setzt auch Hebertshausens Bürgermeister Richard Reischl (CSU). Dazu wirke eine gute Personalquote, also mehr Mitarbeiter als gesetzlich vorgegeben, positiv. Nicht nur als pädagogischer Mehrwert für die Kinder. "Das gibt uns auch Luft für Krankheitsfälle." Auch rein formelle Abläufe können im Bewerbungsverfahren den Ausschlag geben. Die Stadt Dachau will deshalb ihren Bewerbungsprozess noch optimieren, damit interessierte Kandidaten rasch eine Zusage erhalten. Entspannt betrachtet dagegen der Sulzemooser Bürgermeister Gerhard Hainzinger (FWG) die Situation. Denn im nahegelegenen Augsburg bilden zwei Fachakademien Erzieher aus, im schwäbischen Umland gebe es aber offenbar wenige Arbeitsplätze. Hainzinger unterhält daher enge Kontakte zu den Akademien, macht Aushänge, bietet Praktika. Das zahlt sich aus. Für die jetzt geplante Erweiterung der Kita in Einsbach steht das Team schon unter Vertrag.

Auch wenn einzelne Einrichtungen immer wieder erfolgreich Pädagogen einstellen, der Fachkräftemangel in der Region bleibt. Aber warum entscheiden sich nicht mehr junge Leute für den interessanten Beruf? "Am Geld liegt es eher nicht", sagt in Dachau Amtsleiter Markus Haberl. Die Gehälter sind in jüngster Zeit angehoben worden, ausgebildete Fachkräfte erhalten als Berufsanfänger im öffentlichen Dienst 2685 Euro, auch die meisten freien Träger zahlen ähnliche Löhne. Wer länger im Beruf ist, verdient bis zu 3700 Euro. Was abschreckt, das betonen alle Gesprächspartner, ist die mit fünf Jahren Dauer lange Erzieherausbildung, in der die angehenden Pädagogen nichts verdienen. Um schnell mehr Personal in die Kitas zu bekommen, sollte die Durchlässigkeit für Quereinsteiger wie Lehrer oder Pädagogen aus dem Ausland verbessert werden, findet Bürgermeister Reischl (CSU). Oder für Experten anderer Berufe, die sich pädagogisch qualifizieren.

An so einem Programm des Sozialministeriums beteiligt sich die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die im Landkreis als Träger 12 Tagesstätten betreibt. "Multiprofessionelle Teams sind eine Bereicherung", betont AWO-Fachbereichsleiterin Braun. Unter dem Namen Optiprax wurde auch eine verkürzte Qualifikation aufgelegt, für Bewerber mit mehr Vorbildung, die während der Ausbildung bei einem Träger angestellt sind. Zusätzlich müsste die kostenpflichtige Weiterbildung von berufserfahrenen Kinderpflegern finanziell gefördert werden, finden die Kita-Verantwortlichen. Die Vielfalt der neuen Wege zum Erzieherberuf, die aus der Not heraus entstehen, trifft auf Skepsis. Statt die bewährten Strukturen abzuspecken, sollte die klassische Erzieherausbildung einem Sozialpädagogik-Studium gleichgestellt werden, in Wertschätzung wie Bezahlung, findet Bergkirchens Bereichsleiterin Iris Hille-Lücke. Die frühkindliche Bildung stelle wichtige Weichen. "Dafür brauchen wir die Besten."

© SZ vom 11.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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