Europaparlamentarierin in der Schule:"Ich arbeite für Feminismus und Misthaufen"

Europaparlamentarierin in der Schule: Maria Noichl, 52, saß von 2008 bis 2013 im Bayerischen Landtag. Seit 2014 ist die Sozialdemokratin Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sowie dem Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. Seit 2018 ist sie Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen.

Maria Noichl, 52, saß von 2008 bis 2013 im Bayerischen Landtag. Seit 2014 ist die Sozialdemokratin Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sowie dem Ausschuss für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter. Seit 2018 ist sie Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen.

(Foto: toni Heigl)

Die Europaparlamentarierin Maria Noichl diskutiert mit Gymnasiasten in Indersdorf über Geschlechtergerechtigkeit. Die Schüler widersprechen ihr.

Von Thomas Hürner, Dachau

Die Jugend politisiert sich wieder, sie geht vermehrt zum Demonstrieren auf die Straße und fordert Antworten von der älteren Generation. Im Mittelpunkt stehen für viele jungen Leute der Klimawandel und damit auch die Zukunft dieser Erde. Als Adressaten für ihren Unmut haben sie die Politiker ausgemacht, unter anderem jene, die im Europäischen Parlament sitzen und sich damit mit den großen Themen zu befassen haben. Zu diesen gehört auch die Europaabgeordnete Maria Noichl (SPD), die an diesem Vormittag für eine Gesprächsrunde mit den Q11-Schülern im Gymnasium Markt Indersdorf zu Gast ist. Und an Diskussionsstoff dürfte es nicht mangeln, sagt Schulleiter Thomas Höhenleitner zu Beginn der Veranstaltung: Kein Thema sei aktueller und wichtiger als Europa, und das nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch wegen des Brexit, der kriselnden Partnerschaft mit den USA und eines immer dominanter auftretenden Chinas auf der weltpolitischen Bühne.

Anschließend stellt sich Maria Noichl kurz vor, sie skizziert ihren Weg in die Politik und die Schwerpunkte in ihrer täglichen Arbeit. "Ich arbeite für Feminismus und Misthaufen", erklärt sie mit einem Lächeln und meint damit ihre Mitgliedschaft in den Ausschüssen für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter und für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Sie wolle aber keinen Vortrag halten, sondern Fragen der Schüler beantworten.

Mit der 52-Jährigen entwickelt sich eine lebhafte Diskussion, in der die Schüler einiges an Widerrede leisten - und sich vor allem für das Thema Gleichstellung und das Verhältnis zwischen Mann und Frau interessieren. Und das sei ziemlich unausgewogen, sagt Noichl. Sie spricht von Gewalt gegen Frauen und davon, dass "in unserer Kultur" vor allem ein männlicher Gedanke dafür verantwortlich sei: "Wenn ich dich (die Frau, Anm.) nicht kriegen kann, dann keiner."

Maria Noichl befürwortet eine Frauenquote, mehrere Schüler sehen das anders

Ein Schüler will wissen, ob solche vordefinierten Geschlechterrollen wirklich zuträglich für diese Debatte seien und ob man Männer damit nicht als eine Art Feindbild stilisiere. "Dieses Feindbild gibt es - und zwar zurecht", antwortet Noichl, was sie in dieser Heftigkeit wohl gar nicht so meint, in diesem Moment aber genau so sagt. Gewalt sei letztlich Ausdruck der ungleichen Machtverhältnisse, sagt Noichl. Diese gelte es zu bekämpfen, durch Prävention und - ausgerechnet - einer neuen Definition der klassischen Geschlechterrollen. Noichl bekräftigt dann noch, dass Gewalt gegen Frauen keiner bestimmten Kulturgruppe zuzuschreiben sei, vor rund 30 Jahren aber von der Polizei noch sehr individuell ausgelegt wurde, wann Gewalt eigentlich Gewalt ist. "Wenn die damals gehört haben, dass in einer türkischen Familie eine Frau geschlagen wurde", so Noichl, dann hätten diese gesagt: "Das ist eben so." Immerhin hier sei heute eine "deutliche Verbesserung" zu erkennen.

Über einen kurzen Umweg (angebliche Gesetze zur Krümmung von EU-Gurken und Entwicklungshilfe für ehemalige Kolonialländer) landet das Gespräch wieder schnell beim Machtgefüge zwischen den beiden Geschlechtern, genauer: der Frauenquote. Noichl ist eine klare Befürworterin, ein Schüler sieht das anders und entgegnet: "Wo ziehen wir dann eigentlich die Grenze? Bräuchten wir dann nicht auch Quoten für Muslime und farbige Menschen?" Noichl mahnt zur Vorsicht, denn nach dieser Argumentation werde die Frau zu einer Minderheit verklärt, die sie rein zahlenmäßig gar nicht ist. Außerdem gelte es "die Jetzt-Situation" anzusehen, "und da haben wir schon eine Quote: die Regionalquote". Keiner würde hinterfragen, dass in den sieben bayerischen Regierungsbezirken die Anzahl der Abgeordneten jeweils nach einer Quote festgelegt sind.

Es sei schon ungewohnt, mit einem Unternehmen wie Google "Seite an Seite zu kämpfen", sagt Noichl

Eine Schülerin meldet sich und sagt, dass sie an Eigenverantwortung glaube, etwa bei Gehaltsverhandlungen. Eine Studie habe belegt, dass Frauen häufig schlechter verhandeln, was wiederum ein Grund für Lohnunterschiede sein könne. Noichl antwortet, dass Frauen unter einem anderen Druck stünden, unter anderem wegen der Suche nach Kindergartenplätzen und der Pflege der Schwiegermutter. Und: Frauen verhandelten schließlich auch teilweise mit Chefs, "die sich Prostituierte kaufen", was Noichl im Kontext der Gehaltsverhandlungen dann aber nicht weiter präzisiert.

Nach einer Weile schlägt ein Schüler einen Themenwechsel vor und will Noichls Meinung zu Artikel 13 und der Urheberrechtsreform wissen. Es sei schon ungewohnt, mit einem Unternehmen wie Google "Seite an Seite zu kämpfen", sagt Noichl, "aber es darf nicht sein, dass eine nicht-staatliche Organisation einen Filter anlegt". Der getroffene Reformvorschlag des Europaparlaments habe sein eigentliches Ziel verfehlt, sagt Noichl, woraufhin ein Schüler nach dem Lösungsvorschlag ihrer Partei fragt. Den habe sie nicht im Kopf, sagt Noichl, verspricht aber, diesen per Mail nachzureichen. Hinterher geht es noch kurz um den Brexit, die Spaltung Europas in Nord und Süd, West und Ost, die verschiedenen kulturellen Einstellungen in den Mitgliedsstaaten - aber so richtig interessiert sich nach der kontroversen Debatte niemand mehr dafür.

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