Es wird eng:2000 neue Karlsfelder in 15 Monaten

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Längst ist die Gemeinde kein Straßendorf mehr. Kein Ort im Landkreis bekommt den Siedlungsdruck stärker zu spüren.

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Karlsfeld erlebt derzeit einen beispiellosen Wachstumsschub. Nachdem die Gemeinde im Oktober 2015 die Marke von 20 000 Einwohnern geknackt hat, liegt die Zahl nun schon bei mehr als 22 000. Zum Stichtag 1. März waren im Einwohnermeldeamt 22 025 Menschen mit Wohnsitz in Karlsfeld gemeldet. "Es ist schlichtweg Wahnsinn, was wir jetzt für einen Zuzug haben", sagt Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU). Selbst die Stadt Dachau bleibt mit einem Zuwachs von etwa 300 Neubürgern im Jahr 2016 weit hinter Karlsfeld, der zweitgrößten Kommune im Landkreis, zurück.

In seiner Geschichte erlebte das einstige Straßendorf zwischen München und Dachau zwei große Entwicklungssprünge: einmal nach dem Krieg, als sich Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten im Moos zwischen München und Dachau ansiedelten, und in den Sechzigerjahren, als Tausende "Gastarbeiter" im Münchner Norden eine neue Heimat fanden. Jetzt sind es vor allem die großen Baugebiete "Am Prinzenpark" westlich der Bahn und im Ortszentrum, die die Einwohnerzahl rasant nach oben schnellen lassen, aber auch ein rasch voranschreitender Nachverdichtungsprozess in den alten Wohngebieten.

Bündnis-Fraktionssprecherin Mechthild Hofner kritisiert, Karlsfelds schnelles Wachstum stehe im Widerspruch zu den Leitlinien "Zwischen Dorf und Metropole", die der Landkreis mit seinen Bürgern ausgearbeitet hat. Danach sollten die Gemeinden ein moderates Wachstum von etwa einem Prozent im Jahr anstreben; Karlsfeld entwickelte sich im vergangenen Jahr etwa mit der achtfachen Geschwindigkeit. "Wir müssen jetzt dringend die Bremse reinhauen", fordert Hofner. "Sonst haben unsere Enkel nichts mehr zu planen."

Bei 24 500 Einwohnern soll Schluss sein

Karlsfeld ist die flächenärmste Gemeinde des Landkreises. Nach dem Flächennutzungsplan sollte sie bis zum Jahr 2030 maximal 24 500 Einwohner bekommen. Würde die Entwicklung so weitergehen, wäre das selbst gesetzte Limit bereits Ende 2018 erreicht. Zwar sind keine großen Neubaugebiete mehr geplant und der Bestand an freiem Bauland beinahe erschöpft, aber einige große Anlagen sind noch nicht bezogen oder werden gerade gebaut. Dazu gehören der geplante fünfstöckige Komplex für Sozialwohnungen an der Parzivalstraße mit mehr als 60 Wohnungen und der Bauriegel am S-Bahnhof mit 252 Wohnungen für Betreutes Wohnen.

Danach soll mit der Ausweisung neuer Baugebiete erst einmal Schluss sein, darüber herrscht im Gemeinderat Einigkeit. Auch Bürgermeister Kolbe sagt immer wieder, jetzt müsse man "vom Gas gehen" und schauen, dass man mit dem Bau der notwendigen Infrastruktur - Straßen, Schulen und Kitas - hinterherkomme. Die Wucht des Wachstums, so scheint es, hat man auch im Rathaus unterschätzt. Allerdings gibt es für den Karlsfelder Bau-Boom auch gute Gründe: Es herrscht ein extrem starker Siedlungsdruck, den kein Ort im Landkreis so zu spüren bekommt wie Münchens Nachbargemeinde Karlsfeld, welche die großen Industriebetriebe MAN und MTU quasi direkt vor der Haustür hat. Und Karlsfeld hat Nachholbedarf: Von 2000 bis 2010 stagnierte die Einwohnerzahl bei etwa 18 000 Bürgern.

Das Wachstum bringt die Gemeinde auch finanziell an ihre Grenzen

Trotz reger Bautätigkeit steht der Immobilienmarkt nach wie vor nirgendwo im Landkreis so unter Druck wie in Karlsfeld. Die durchschnittliche Nettomiete liegt hier bei 9,47 Euro pro Quadratmeter, bei modernen Wohnungen von kleinem Zuschnitt erreicht sie auch schon mal Spitzenwerte von 14,20 Euro. Die Gemeinde, deren S-Bahnhof bereits auf Münchner Grund liegt, ist nicht nur attraktiv für junge Karlsfelder, sondern auch für Neubürger aus dem Hinterland, die sich den Weg zur Arbeit nach München verkürzen wollen, und für Familien aus München, die sich das Leben in der Stadt nicht mehr leisten können.

Der Zuzug junger Familien beschert Karlsfeld einen sagenhaften Kindersegen, aber auch hohe Folgekosten: Bürgermeister Kolbe rechnet für 2017 mit einem Defizit von 6,14 Millionen Euro in der Kinderbetreuung - und das trotz massiver Erhöhung der Kita-Gebühren. Bei einem Treffen mit dem bayerischen Finanzstaatssekretär Albert Füracker forderten er und Dachauer Kollegen deshalb jüngst stärkere finanzielle Hilfen für Kommunen in Ballungsräumen. "Wir haben alle Register gezogen", sagt der Rathauschef. "Mehr geht irgendwann nicht mehr."

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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