Erziehermangel:Eine Existenzfrage

Das Familienglück steht auf dem Spiel: David und Marion Meißner mit Zoé und Dejan finden keinen Krippenplatz in Karlsfeld.

Das Familienglück steht auf dem Spiel: David und Marion Meißner mit Zoé und Dejan finden keinen Krippenplatz in Karlsfeld.

(Foto: Toni Heigl)

Familie Meißner plagen Zukunftsängste. Erst fiel der Krippenplatz in Karlsfeld kurzfristig weg, nun könnte die Mutter ihre Arbeitsstelle verlieren. Wie eine junge Familie unter den Folgen des Erziehermangels leidet.

Von Gregor Schiegl

Bisher ist es für die Familie gar nicht so schlecht gelaufen. Marion Meißner arbeitete als Arzthelferin in einer Schwabinger Praxis, Teilzeit. Jeden Tag um halb zwei hatte sie Feierabend. "Das ist ideal." Nach der Arbeit holte die Karlsfelderin ihre Tochter Zoé vom Kinderhort ab, ihr Mann David arbeitet ganztags. Vor neun Monaten kam ihr zweites Kind auf die Welt, Dejan. Das Familienglück schien perfekt. Doch jetzt plagen die Meißners Zukunftsängste. "Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergehen soll", sagt Marion Meißner. Die Gemeinde hat die Zusage für Dejans Platz in der Kinderkrippe "Nesthäkchen" kurzfristig zurücknehmen müssen. Personalmangel.

Es geht um mehr als nur einen Betreuungsplatz

Die Meißners sind nicht die einzigen, die ohne Betreuungsplatz dastehen. Nach Schätzungen von Max Haberl, dem Leiter der kommunalen Kinder- und Jugendarbeit, stehen in Karlsfeld derzeit 50 bis 60 Eltern auf der Warteliste. Für die Meißners geht es aber um weitaus mehr als nur einen Betreuungsplatz für den Kleinen. Für sie geht es um die Existenz. "Wenn ich keinen Krippenplatz habe, muss ich in die Arbeitslosigkeit gehen", sagt die junge Mutter. "Aber warum sollte ich das tun, wenn ich eine feste Arbeitsstelle habe?"

Das Leben in Karlsfeld ist teuer. Marion Meißners Mann David arbeitet als Einzelhandelskaufmann auf Provision bei einem Sportausstatter in Allach; es gibt bessere Monate und schlechtere. Aber für einen Vier-Personen-Haushalt reicht sein Verdienst nicht aus. Schon allein die Miete von 800 Euro verschlingt den Großteil des Einkommens. Ersparnisse, mit denen sie sich über die Runden retten könnten, haben die Meißners nicht. "Das belastet unsere Familie sozial und mental sehr", sagt Marion Meißner. "Ohne Unterbringung unseres Sohnes kann ich mich auch für eine neue Beschäftigung nicht bewerben. Das ist ein ganz blöder Kreislauf."

Dabei ist es nicht so, dass die Gemeinde sich nicht bemühen würde: 1300 Betreuungsplätze hat sie schon geschaffen, allein in diesem Jahr investiert sie wieder dreieinhalb Millionen Euro. Aber Krippen nützen wenig, wenn man das Personal dafür nicht findet. Oder wenn es, wie bei der Kinderkrippe "Nesthäkchen" geschehen, plötzlich abspringt. Erzieherinnen werden überall händeringend gesucht. "Wir schauen, was wir für Sie tun können", hat Haberl den Meißners zurückgeschrieben. Dann ein Hoffnungsschimmer.

Eine Mischung aus Wut und Verzweiflung

Die Tagesmütter im Sonnenwinkel Dachau hätten noch Plätze frei. Aber mit einem Auto, einem Führerschein würde das schlecht klappen, sagt die Karlsfelderin. Und die Zeiten passen auch nicht.

In die Verzweiflung mischt sich bei den Meißners auch Wut darüber, dass andere zum Zuge kommen, die den Krippenplatz nicht so dringend brauchen wie sie. Es gebe Kinder in der Krippe, deren Eltern arbeitslos zu Hause säßen und vom Jugendamt die Einrichtung bezahlt bekämen, sagt Marion Meißner. "Im Endeffekt nehmen sie den Eltern die Plätze weg, die arbeiten gehen wollen." Mit der Folge, dass Eltern in die Arbeitslosigkeit rutschten. "Das kann nicht das Ziel unseres Sozialsystems sein." Karlsfelds Bürgermeister Stefan Kolbe (CSU) verweist auf die Rechtslage. Alle Eltern von Null- bis Dreijährigen hätten einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz. Alle. Wirklich alle.

Gesetz ist Gesetz

Dennoch ist die Frage der Meißners berechtigt: Wenn Betreuungsplätze nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind, sollte man sie nicht zuerst denen zugänglich machen, die darauf angewiesen sind? In der Praxis ist das aber gar nicht so einfach. "Wir dürfen die Einkommensverhältnisse der Eltern nicht abfragen", sagt Bürgermeister Kolbe. Anders wäre es ihm ja auch lieber. Aber was soll er machen? Gesetz ist Gesetz.

In München hat die Stadt ein Vergabesystem eingerichtet, das Alleinerziehende und Kinder aus Migrantenfamilien bevorzugt. "Wir haben in Karlsfeld auch heftigst über Vergabekriterien diskutiert", sagt Max Haberl. "Aber ich sehe das sehr kritisch." Welche Vergabekriterien legt man an? Wer kontrolliert sie? Und wer kann das überhaupt leisten? "Ich sehe große Umsetzungsschwierigkeiten", sagt Haberl. Auch das Münchner Modell hält er nicht für wirklich gerecht. Der Familie Meißner hätte es ja auch nichts genützt: verheiratet, keine Migranten.

Völlig willkürlich verläuft die Vergabe der Plätze aber auch in Karlsfeld nicht. "80 Prozent der Leute auf den Listen werden von den Trägern selbst verteilt", sagt Haberl. Dabei habe sich in den vergangenen Jahren ein zunehmend differenziertes System von Bedarfsgraden herausgebildet. Die soziale Komponente spielt also doch eine Rolle - auch wenn sie keinen offiziellen Vorgaben folgt.

Aber es gibt auch andere Kriterien: Die Gruppen sollen die richtige Altersmischung haben, das richtige Geschlechterverhältnis und auch der Anteil von deutsch- und nichtdeutschsprachigen Kindern. Die Not der Eltern, die nicht zum Zuge gekommen sind, kann Max Haberl gut verstehen. Als er seinen kleinen Sohn in einer Kinderkrippe in München anmelden wollte, hat er auch eine Absage kassiert. Bei der Kinderbetreuung stoßen derzeit fast alle Kommunen an ihre Grenzen.

Und auch sehr viele Familien.

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