Errungenschaft:Neues Wahlrecht für Menschen mit Behinderung

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Politische Bildung im Franziskuswerk heißt, sich gemeinsam informieren, aber auch Gespräche im Bundestag zu führen. (Foto: oh)

Im Franziskuswerk in Schönbrunn ist man begeistert darüber. 2020 gibt es gut 500 Stimmen mehr im Landkreis Dachau

Von Christiane Bracht, Röhrmoos

Die Freude in Schönbrunn ist groß: Viele Bewohner des Franziskuswerks dürfen nächstes Jahr zum ersten Mal in ihrem Leben wählen. "Das war ein längst überfälliger Schritt", sagt Michaela Streich, Vorstand der Viktoria-von-Butler-Stiftung und Geschäftsführerin des Franziskuswerks. Schließlich habe Deutschland schon vor zehn Jahren die UN- Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Trotzdem hätten Menschen mit geistiger Behinderung weiterhin für viele ihrer Grundrechte kämpfen müssen, so auch für das Wahlrecht, erklärt die Stiftungssprecherin Sigrun Wedler. Und es klingt wie ein Aufatmen, dass der Durchbruch nun geschafft ist. "Unsere Bewohner sind auf alle Fälle auf die Wahl vorbereitet", versichert Wedler. 850 Menschen mit Behinderung leben derzeit im Landkreis Dachau. Etwa 70 von ihnen sind Kinder und Jugendliche und damit sowieso nicht wahlberechtigt. 650 wohnen in Schönbrunn, der Rest ist im Landkreis verteilt. Der Wahlrechtsausschluss betraf aber nicht alle, nur diejenigen, die unter voller Betreuung stehen, erklärt Wedler. 300 durften also bei der vergangenen Landtagswahl abstimmen, mehr als 500 Menschen mit Behinderung war es dagegen verwehrt, ein Kreuzchen zu setzen.

Natürlich interessiere sich nicht jeder in Schönbrunn für Politik, aber es gebe durchaus einige, die sich begeistert über das Geschehen in der Welt informieren und auch deutlich mehr darüber wissen, als jemand ohne Behinderung, der andere Steckenpferde habe, versichert Wedler. "Wir haben zum Beispiel einen jungen Mann, der das politische Geschehen genau verfolgt. Er wollte sich für das Volksbegehren "Retttet die Bienen" eintragen und ist deshalb extra mit dem Bus zum Rathaus nach Röhrmoos gefahren, aber er durfte nicht unterschreiben, weil er nicht im Wählerverzeichnis stand", erzählt die Sprecherin. "Er fühlte sich sehr diskriminiert."

Natürlich können geistig behinderte Menschen nicht alles verstehen, aber man könne ihnen vieles mit einfacher Sprache begreiflich machen und genau das versuche man in der Einrichtung, sagt Wedler. So gebe es zum Beispiel Nachrichtenkurse, in denen etwa die Wahlprogramme für die Europawahl angeschaut und diskutiert würden oder es kämen Kandidaten vorbei, die in leichter Sprache beschreiben, wofür sie sich einsetzen wollen. "Jeder Mensch, der Informationen verstehen kann, kann sich auch eine Meinung bilden", sagt Wedler. Die Diskussionen der Menschen mit Behinderungen seien zwar auf niedrigerem Niveau als man es vielleicht kenne, aber durchaus gehaltvoll.

Angelika Karl, die Vorsitzende der Bewohnervertretung ist jedenfalls glücklich über die neue Entwicklung: "Ich würde mich freuen, wenn diese Menschen (gemeint sind die mit Behinderung) schon bei der Europawahl ihre Stimme abgeben dürfen", sagt sie. Doch das ist noch ungewiss. Die Gesetzesänderung ist erst für Juli vorgesehen. Die Grünen, FDP und Linke haben jedoch beim Bundesverfassungsgericht angerufen, um den Termin schon vor die Europawahl zu verlegen. Ob sie Recht bekommen, steht noch in den Sternen.

© SZ vom 28.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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