Gedenkfeier:Die Jugend gewinnen

Gedenkfeier: Auch wenn es hier so erscheint: Dieser Herr war am Sonntag nicht allein in der Gedenkstätte. Etwa 1800 Menschen besuchten die Gedenkfeier.

Auch wenn es hier so erscheint: Dieser Herr war am Sonntag nicht allein in der Gedenkstätte. Etwa 1800 Menschen besuchten die Gedenkfeier.

(Foto: Toni Heigl)

Dachaus Kommunalpolitiker sehen sich in die Pflicht genommen, das Gedenken zu bewahren und zu erneuern. Reaktionen auf die Feiern zur Befreiung des Konzentrationslagers vor 70 Jahren und auf die internationale Resonanz.

Von Benjman Emonts, Gregor Schiegl und Robert Stocker, Dachau

Die Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers hat Dachau in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt. Lokale Politiker leiten vom Stellenwert der Feier auch Folgen für die Erinnerungsarbeit in Dachau ab. Sie müsse jetzt an die junge Generation weiter gegeben werden. Fast zweitausend Gäste aus dem In- und Ausland nahmen am Sonntag in der Gedenkstätte an den Feierlichkeiten teil, darunter 138 Überlebende und ihre Angehörigen aus 20 verschiedenen Ländern und amerikanische Befreier des Konzentrationslagers. Im Fokus stand besonders Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in ihrer Rede die Bedeutung der Erinnerungsarbeit und der Gedenkstätten als Lernort würdigte.

Die internationale Bedeutung der Gedenkfeier zum 70. Jahrestag der Befreiung unterstrich auch Landrat Stefan Löwl (CSU). "Die Feier war auf die große Politik abgestimmt und hatte eine größere Reichweite als die jährlichen Gedenkfeierlichkeiten", sagte der Landrat der Dachauer SZ. Wegen der großen Bühne habe die Veranstaltung ein bisschen Authentizität verloren. Doch in der vergangenen Woche habe es in Dachau und im Landkreis viele Veranstaltungen gegeben, bei denen die Überlebenden zu Wort kamen. "Ich selbst habe viele Kontakte knüpfen können", sagte Löwl. Wichtigste Aufgabe der künftigen Gedenkarbeit sei es, das Erinnern an die jungen Leute weiterzugeben. "Wir müssen die Kontakte mit den Enkeln der Überlebenden aufrecht erhalten. In diesem Sinne setze ich die Erinnerungspolitik in Dachau fort."

Auch Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) zeigte sich von den Begegnungen mit den KZ-Überlebenden bewegt. "Die Begegnung ist das Entscheidende." Allerdings verschwinden die Zeitzeugen langsam, weshalb andere Wege des Erinnerns beschritten werden müssen. Hartmann sagte, er habe bereits mit dem Komitee ehemaliger Dachauer CID beraten, welche dies sein könnten. Dabei sei klar zum Ausdruck gekommen, dass die junge Generation die Erinnerung weitertragen solle. "Auf die Jugend kommt es an."

Dachaus ehemaliger CSU-Oberbürgermeister Peter Bürgel bezeichnete die Gedenkfeier als "wichtigen Tag" für die Stadt Dachau. Der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel sei eine Wertschätzung für die Überlebenden und eine große Anerkennung für die Stadt Dachau. Der Landtagsabgeordnete und Dachauer CSU-Kreisvorsitzende Bernhard Seidenath sagte: "Das erinnert uns noch einmal daran, welche historische Verantwortung wir weltweit tragen." Als besonders bewegend habe er allerdings die Statements der Zeitzeugen empfunden, allen voran die des KZ-Überlebenden Abba Naor, der mit zwei seiner Urenkeln auftrat.

Der Dachauer Landtagsabgeordnete Martin Güll (SPD) wies auf die Pflicht von Stadt und Landkreis hin, "alles dafür zu tun, die junge Generation zu unterstützen, sodass sie mit dem Gedenken und Erinnern umgehen kann". Es gelte, den Jugendaustausch, insbesondere mit Israel, weiter zu fördern und die Kontakte der Internationalen Jugendbegegnung Dachau zu unterstützen. Der Vortrag der sechs Schüler eines Gymnasiums aus Garmisch-Patenkirchen sowie der Bavarian International School auf dem Appellplatz habe gezeigt, "dass die junge Generation weiß, welche Aufgabe auf sie zukommt und dass sie die auch annehmen will."

Das Gedenken hatte am Sonntagmorgen mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Karmel-Klosterkirche nahe der KZ-Gedenkstätte begonnen. Die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten und die Befreiung des Konzentrationslagers 1945 seien "wichtig für Europa und den Aufbau einer humanen Zivilisation", sagte der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Er dankte den überlebenden Zeitzeugen, von denen viele erst nach Jahrzehnten die Kraft gefunden hätten, über das Erlittene zu sprechen. Die Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler, die auch Ständige Vertreterin des bayerischen Landesbischofs ist, würdigte auch den Einsatz der US-Soldaten. "Wir verneigen uns in Respekt vor denen, die ihr Leben eingesetzt haben, um den Terror zu beenden."

Im Anschluss an die Befreiungsfeier in Dachau trafen sich auf der Gedenkstätte des ehemaligen SS-Schießplatzes in Hebertshausen mehr als 40 Leute in strömendem Regen, darunter auch eine kleine Abordnung der Deutschen Kommunistischen Partei DKP. Auf dem 1937/1938 zwei Kilometer nördlich vom Dachauer Hauptlager errichteten Schießplatz ermordete die Lager-SS 1941 und 1942 mehr als 4000 sowjetische Kriegsgefangene. Der jüdische KZ-Überlebende Leonid Rubinstein aus Weißrussland sagte: "Wir stehen hier an einem heiligen Ort. Diese Erde ist mit dem Blut russischer Soldaten getränkt." Die Gedenkstätte in Hebertshausen war erst im vergangen Jahr eingeweiht worden. Eine Besucherin aus Hebertshausen berichtete, wie die SS die ausgezehrten Gefangenen durch den Ort getrieben hätte. Keiner habe gefragt, was mit den Gefangenen passiere. "Alle hatten Angst."

Ernst Grube, stellvertretender Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau, zeichnete den ideologischen Hintergrund des Massenmords nach. "Die Nazis schufen gezielt das Feindbild des jüdischen Bolschewismus." Auch nach 1945 sei der Antikommunismus offizieller Bestandteil bundesdeutscher Politik gewesen. Es sei beschämend, dass die Regierung die Sowjetsoldaten bis heute nicht als Opfer der Nationalsozialisten anerkannt habe und den wenigen verbliebenen Überlebenden nicht einmal eine Einmalzahlung von 5000 Euro gewähre. Er rief die Kanzlerin auf, diesen Schritt wenigsten jetzt noch nachzuholen.

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