KZ-Gedenkstätte:Vorstoß in unerforschtes Gebiet

KZ-Gedenkstätte: Die KZ-Gedenkstätte Dachau wendet sich mit einem Bildungsangebot an Soldaten.

Die KZ-Gedenkstätte Dachau wendet sich mit einem Bildungsangebot an Soldaten.

(Foto: Toni Heigl)

Die KZ-Gedenkstätte wendet sich mit einem Bildungsangebot an Soldaten, damit sich diese mit der Geschichte der Wehrmacht auseinandersetzen. Das Projekt könnte zur nötigen Aufklärungsarbeit in der Bundeswehr beitragen.

Von Julia Putzger, Dachau

Wie geht die Bundeswehr mit ihrer Vergangenheit um? Wie waren die Soldaten der Wehrmacht ins nationalsozialistische System der Vernichtung eingebunden? Und was bedeutet das alles für den Umgang mit Problemen wie Rechtsextremismus, der heute auch in den Reihen der Soldaten erstarkt? Es sind dies Fragen, auf die es nicht immer Antworten gibt und die viel zu selten gestellt werden. Ein neues Fortbildungsangebot der KZ-Gedenkstätte Dachau mit dem Namen "Bundeswehr erinnert" will das nun ändern. Den Beginn macht eine sechsteilige, digitale Vortragsreihe. Langfristiges Ziel ist es, ein innovatives Seminarkonzept zu etablieren.

Kaum eine andere Gedenkstätte in Deutschland hat solch ein spezifisches Angebot für Soldaten und Angehörige der Bundeswehr im Angebot - und das, obwohl diese nach den Schulklassen zur größten institutionellen Besuchergruppe zählen. Schon 2007 hatten sich deshalb Vertreter aus Bundeswehr, Gedenkstätten und historisch-politischer Bildung bei einer Tagung Gedanken zu dem Thema gemacht. Doch bis auf das Erscheinen eines Sammelbands im Jahr 2010, in dem die Vorträge der Tagung veröffentlicht wurden, ist seitdem nicht viel geschehen. Lediglich die Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg bietet Studientage zum Thema "Wehrmacht und KZ-System" an.

1016 Verdachtsfälle für extremistische Bestrebungen

"Von einem weitgehend unerforschten Gebiet" sprach deshalb auch die Dachauer Gedenkstättenleiterin Gabriele Hammermann zu Beginn der Vortragsreihe in Bezug auf das Verhältnis von Gedenkstätten und Bundeswehr.

In weiteren fünf Onlinevorträgen werden bis Ende März Aspekte der Geschichte und Rolle der Wehrmacht in der Zeit des Nationalsozialismus detailliert betracht. Sie dürften so zu einem wichtigen Baustein in der dringend nötigen Aufklärungsarbeit der Bundeswehr werden, wie nicht zuletzt der abschließende Vortrag am 25. März von Journalist und Filmemacher Dirk Laabs erahnen lässt: Mit dem Titel: "Staatsfeinde in Uniform - Rechtsextreme Netzwerke in der Bundeswehr" verspricht er, auf ein brandaktuelles Thema einzugehen.

Das Erstarken ebenjener Tendenzen ist längst nicht mehr nur subjektive Wahrnehmung auf Basis der Lektüre zahlreicher Zeitungsberichte, sondern lässt sich konkret beziffern: Der Jahresbericht für 2020 der Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle des Bundesverteidigungsministeriums bestätigt beispielsweise 1016 Verdachtsfälle für extremistische Bestrebungen, die zum Jahresende 2020 zur Bearbeitung vorlagen. 843 dieser Fälle wurden dem "Phänomenbereich Rechtsextremismus" zugeordnet. Ein Jahr zuvor waren es nur 592 Fälle in diesem Bereich und 743 Verdachtsfälle insgesamt gewesen. Eine überproportionale Häufung der Verdachtsfälle gibt es dabei bei den Angehörigen der Bundeswehr, die jünger als 35 Jahre sind.

"Ein Personalpool, der über jahrelange Morderfahrung verfügt"

Das vielfältige Fortbildungsangebot der KZ-Gedenkstätte Dachau für Angehörige der Bundeswehr könnte einen Teil zur Lösung dieses Problems beitragen. Dank Fördermitteln des Programms "Jugend erinnert" konnte Projektleiterin Maria Dechant das Konzept erarbeiten. Zu Beginn der digitalen Reihe referierte Stefan Hördler vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Georg August-Universität Göttingen zum Thema "Wehrmachtssoldaten als KZ-Wachmannschaften". Der Geschichtswissenschaftler leitete unter anderem schon die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora und brachte dementsprechend umfangreiche Expertise mit.

Mit Sätzen wie "Wie Ihnen sicher bekannt ist", "Wie Sie alle wissen", komprimierte er in 63 Minuten Vortragszeit sein breites Wissen zu einem dichten Referat. Er skizzierte die zeitlichen Entwicklungen, gab Einblicke in die verschiedenen Organisationsgruppen von SS und Wehrmacht, erklärte Interdependenzen und zeigte viel historisches Bildmaterial. Darunter etwa Gruppenbilder von Weihnachtsfeiern oder Ausflügen, auf denen die Soldaten in SS-Uniform ins Auge stächen, würde nicht Hördler auf diejenigen am Bildrand hinweisen, die die Uniform der Wehrmacht tragen und so belegen, wie die beiden Organisationen gemeinsame Sache machten. Er sprach davon, wie die Soldaten der Wehrmacht "sukzessive in die Waffen-SS inkorporiert" wurden, wie sie in "weltanschaulichen Schulungen" getrimmt wurden, wie so ein "Personalpool, der über jahrelange Morderfahrung verfügt", entstand.

Auch wenn für diejenigen, die bisher kaum mit dem Thema vertraut waren, die Informationen fast zu schnell und zu detailliert einprasselten, so blieb die grundlegenden Botschaft doch eindringlich: Im System der Konzentrationslager war die Wehrmacht längst keine Unbeteiligte, sondern sowohl personell als auch organisatorisch gab es enge Verflechtungen.

Zeit zum Verschnaufen war zwischendurch kaum - dafür am Ende des Vortrags für etliche Fragen der Teilnehmer. Im Chat ploppte eine Blase nach der anderen auf: Die Zuhörer schilderten spezifische Situationen von Familienangehörigen aus der Vergangenheit und wollten dazu mehr Informationen von Hördler, hakten bei vorherigen Inhalten nach und erkundigten sich nach weiterführender Literatur. In der regen Diskussion und der großen Teilnehmerzahl - rund 60 Personen waren online dabei - sah schließlich auch Gedenkstättenleiterin Hammermann die Bestätigung: Es besteht großes Interesse an dem Themenkomplex.

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