Dachau:Erinnerung fortschreiben

Umkämpfte Erinnerung

„Der Mensch mit seiner Geschichte steht im Vordergrund“, sagt Wolfgang Henneberger.

(Foto: N.P.JØRGENSEN)

Wolfgang Henneberger hat seinen Bundesfreiwilligendienst beim Kreisjugendring absolviert. Währenddessen hat er ein Filmprojekt gestartet, das den Fokus der Erinnerungsarbeit auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg legt

Von Eva Waltl, Dachau

Ernst Grube, der 89-jährige Holocaustüberlebende, stöbert durch sein volles Bücherregal in seiner Regensburger Wohnung. In der nächsten Sequenz liest er seinen eigenen Deportationsbescheid laut vor. Diese Szene und weitere 14 Stunden Videomaterial sammelte der 20-jährige Dachauer Wolfgang Henneberger in den vergangenen neun Monaten. Dank einer Förderung der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Dachau und der Sparkasse Dachau stellt er während seines Bundesfreiwilligendienstes beim Kreisjugendring Dachau (KJR), den er im Herbst vergangenen Jahres antrat, das Projekt "Umkämpfte Erinnerung - Gedenken an den Holocaust" auf die Beine. Ende August beendete Henneberger seinen Dienst und gibt damit auch sein Projekt ab. Ein Projekt, das Zukunft im Erinnern schafft.

Ziel des Projekts sei es gewesen, sich mit der Entstehung der heutigen Erinnerungskultur auseinanderzusetzen, erklärt Wolfgang Henneberger. "Nach dem Krieg ging es primär darum, Deutschland wieder aufzubauen. Holocaustüberlebende wurden mehr oder weniger im Regen stehen gelassen", ergänzt er. Und auch in der Erinnerungsarbeit würde die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg oft zu kurz kommen, bestätigt Ludwig Gasteiger, Geschäftsführer des Dachauer KJR: "Viele Dokumentationen enden mit der Befreiung." Genau hier knüpft das Projekt von Henneberger an: Die Stimmen von Zeitzeugen und Experten der Erinnerungsarbeit einfangen, die den Fokus auf die Zeit nach der NS-Zeit legen.

Protagonist des Projekts ist Ernst Grube, der 1932 in München als Sohn einer jüdischen Mutter geboren wurde. Als Zwölfjähriger wurde er gemeinsam mit seinen Geschwistern und seiner Mutter in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Erst Monate später wurden sie befreit. Doch das Leid sollte auch im befreiten Deutschland anhalten: Als überzeugter Kommunist und Friedensaktivist verbrachte Grube viel Zeit in den Gefängnissen der BRD. An seinem Engagement für Frieden und Freiheit hält er bis heute fest. Er ist Vorsitzender der Lagergemeinschaft Dachau e.V. und Mitinitiator der Internationalen Jugendbegegnung Dachau.

"Es war ein Vater-Sohn-Projekt", sagt Gasteiger. Denn: Hennebergers Vater übernahm die Rolle des Kameramanns. Elf Monate vergingen zwischen ersten Gedanken und Fertigstellung des Films. Insgesamt konnten sie mehr als 14 Stunden Videomaterial und über 100 Bilder und Dokumente von Ernst Grube sammeln. Eine wichtige Frage, die den 20-Jährigen bei der Auswertung des Materials beschäftigte: Wie ordnet man Zeitzeugen in die Geschichtswissenschaften ein? Denn die Einblicke gelten streng genommen als historisch korrekte Quelle. In dem Projekt ginge es aber, so Henneberger, nicht darum, "Geschichtsunterricht" zu machen, sondern die subjektive Wahrnehmung eines Überlebenden wie Grube einzufangen. "Der Mensch mit seiner Geschichte steht im Vordergrund."

Ende August hat er seinen Bundesfreiwilligendienst beendet und mit ihm die Arbeit an seinem Filmprojekt. Doch auch wenn es damit vorerst abgeschlossen ist, bedeutet das nicht das Ende für das Projekt, das Gasteiger als Pilotprojekt bezeichnet. Denn: Die beiden haben den Plan weitere Interviewpartner zu finden, weitere Fördermittel zu erhalten und die große Menge an bereits gesammeltem Filmmaterial für Menschen zugänglich zu machen. "Wir versuchen diejenigen Menschen zu finden, die die Expertise für die Postproduktion haben und entscheiden, wie unser Material verwendet wird", erklärt Henneberger.

Er kann sich sowohl kurze Videoclips für pädagogisches Arbeiten an Schulen, als auch einen 45-minütigen biografischen Dokumentarfilm vorstellen. Die Aufnahmen sollen in jedem Fall möglichst viele Menschen erreichen. Vorerst wird aber wohl der KJR-Geschäftsführer das Projekt alleine weiterverfolgen: Henneberger beginnt im Oktober das Studium der Amerikanistik und Politikwissenschaften in Regensburg, weiß aber sein Projekt bei Gasteiger in guten Händen.

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