Erinnerungskultur:Allianz gegen Antisemitismus

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An der Vorstellung der neuen Plattform nahmen unter anderem Simone Fleischmann (zweite von links), Präsidentin des BLLV, und Markus Gruber, Amtschef im bayerischen Sozialministerium und Vorsitzender der Max Mannheimer Stiftung, teil (zweiter von rechts) (Foto: N.P.JØRGENSEN)

Die Max Mannheimer Stiftung unterstützt das "Forum Erinnern" des Lehrerverbandes, der mit einer neuen Website die historisch-politische Bildung zur Geschichte des Nationalsozialismus im Schulalltag fördern will

Von Helmut Zeller, Dachau/München

Seine Worte bleiben: "Ihr seid nicht schuld an dem, was war, aber verantwortlich dafür, dass es nicht mehr geschieht." Das hat der großartige Max Mannheimer, der 2016 im Alter von 94 Jahren gestorben ist, in allen Zeitzeugengesprächen den gebannt zuhörenden Jugendlichen am Ende seiner Erzählung gesagt. Diesen Satz des Auschwitz-Überlebenden zitiert auf einer Pressekonferenz Markus Gruber, Amtschef des bayerischen Sozialministeriums und Vorstandsvorsitzender der Max Mannheimer Stiftung; dem Vorstand gehören auch Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) und Landrat Stefan Löwl (CSU) an. Zweimal wiederholt Gruber die Worte des Namensgebers des Studienzentrums im Max Mannheimer Haus in Dachau. Die Einrichtung ist einer der Träger des "Forums Erinnern", einer Initiative des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV), die nun der Öffentlichkeit präsentiert worden ist.

Diese Offensive im Netz gegen Antisemitismus hätte Max Mannheimer gefallen, denn sie will, worum es auch ihm stets ging: Aufklärung der Jugendlichen über die Shoah und Bewahrung der Demokratie. Markus Gruber spricht von der "fortwährenden Verpflichtung, Geschichte wahrheitsgemäß darzustellen, der Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken und Verantwortung für die demokratische Entwicklung" zu übernehmen. Das ist der Anspruch des Max Mannheimer Studienzentrums, das unter der Leitung von Felizitas Raith zurzeit ein bundesweit einmaliges Projekt zur Prävention von antisemitischen Verschwörungsmythen erarbeitet - in Kooperation mit Wissenschaftlern der Universität Bielefeld. Gruber geht es auch um eine "kritische Auseinandersetzung mit den Nachwirkungen des Nationalsozialismus bis heute".

Zum Beispiel der Tatort Schule: Antisemitische Übergriffe gehören zum Alltag an deutschen Bildungseinrichtungen und das seit vielen Jahren. Nur hat man in früherer Zeit kaum darüber gesprochen. Die Reaktionen auf entsprechende Vorfälle folgen aber noch heute häufig dem Muster: wegschauen oder verharmlosen. Schulleiter bangen um den guten Ruf ihrer Schule, Lehrkräfte stehen judenfeindlichen Äußerungen von Schülern oft hilflos gegenüber. Und zur Politik nur ein Beispiel: CSU, Freie Wähler und AfD im bayerischen Landtag lehnten eine von den Grünen geforderte Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an Schulen ab.

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Es gibt jedoch nicht wenige Pädagoginnen und Pädagogen, die mit großem Engagement die Jugendlichen über Antisemitismus, Rassismus und Antiziganismus aufklären. Aber nicht immer finden sie die nötige Unterstützung. Was Deutschland die Aufklärung über den Nationalsozialismus und seine Nachwirkungen in der Gegenwart wert ist, zeigt sich schon daran, dass diese größtenteils außerhalb von Schulen und Universitäten stattfindet - und dafür vergleichsweise wenig Geld ausgegeben wird. Die gedenkstättenpädagogische, die historisch-politische Bildungsarbeit wird vielerorts von Freiberuflern in prekären Arbeitsverhältnissen geleistet, die in der Coronakrise besonders sichtbar geworden sind.

Das weiß man natürlich im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Die neue Website, das Forum Erinnern, bündelt Bildungsangebote zur historisch-politischen Erziehung und Aufklärung für Schulen und außerschulische Lehrkräfte. "Für alle, die es genau wissen wollen", sagte BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann. Dieser Service unterstützt Pädagogen bei der Suche nach passenden Seminaren, Rundgängen, Ausstellungen und anderen buchbaren Bildungsangeboten, etwa der KZ-Gedenkstätte Dachau oder des Dachauer Forums zur Geschichte des Nationalsozialismus und dem Antisemitismus heute, der nach 1945 nicht verschwunden war, oder zur Ausgrenzung und Diskriminierung von Sinti und Roma - auch hier spielt Dachau oder besser gesagt, die evangelische Versöhnungskirche an der KZ-Gedenkstätte eine besondere Rolle. Die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma nahm ihren Ausgang mit einem Hungerstreik in der Versöhnungskirche in den 1980er Jahren, an dem der heutige Präsident des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma, Romani Rose, als junger Mann teilnahm.

Lehrkräfte können darüber hinaus auf der Website öffentliche Veranstaltungen, Vorträge und Fortbildungen finden oder sich von Projektideen an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen für ihr eigenes Projekt inspirieren lassen. Alle Angebote sind thematisch, methodisch und regional geordnet. Zu den Trägern gehören noch das Bayerische Bündnis für Toleranz und das NS-Dokumentationszentrum München. Auf der Website sind bereits mehr als 130 Bildungsangebote von mehr als 60 Partnern unter den Bildungseinrichtungen in Bayern gebündelt - darunter auch Rundgänge an der KZ-Gedenkstätte oder Workshops des Dachauer Forums. Es gehe dabei auch um die Vernetzung der Angebote zur historisch-politischen Bildung, sagt Thomas Rink vom NS-Dokumentationszentrum München.

Der gesellschaftspolitische Rahmen der BLLV-Initiative: Der zeitliche Abstand zum Nationalsozialismus ist heute groß, wie Rink sagt, die Zeitzeugen sterben und die Erinnerungskultur wird von rechtspopulistischer Seite in Frage gestellt, die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben. Dagegen müsse man Wissen und Aufklärung setzen. "Erinnern ist ein demokratischer Prozess." Rink zitiert einen Satz der kürzlich verstorbenen Zeitzeugin Esther Bejarano, die häufig in Dachau war: "Was geht in einem Menschen vor, der einem anderen das Menschsein abspricht?" Die Antwort zielt auf eine Erziehung nach Auschwitz, wie sie beschaffen sein müsste, damit sich ein solches Verbrechen nicht wiederholt.

Daran will die BLLV-Initiative ansetzen. Das Problem beginnt mit der Ausbildung der Lehrer. Nicht einmal bei Studienfächern wie Geschichte, Politikwissenschaften oder Germanistik gehört die Shoah zum Pflichtstoff, stellte 2018 eine Studie der Freien Universität Berlin fest. Eine CNN-Umfrage aus dem selben Jahr bestätigte einen katastrophalen Kenntnisstand: Demnach wissen 40 Prozent der befragten Deutschen zwischen 18 und 34 Jahren nur "wenig" oder "gar nichts" über die Shoah. Andererseits wünschten sich laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2014 acht von zehn Deutschen, die Geschichte der Judenverfolgung endlich hinter sich zu lassen, am stärksten war der Wunsch in der jüngeren Generation ausgeprägt.

Erinnern aber heißt, die Schuld akzeptieren, wie die BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann erklärt. Die Vermittlung dieses kritischen Bewusstseins für die deutsche Geschichte, auch als Teil der nationalen Identität, liege in der Verantwortung der Schulen und des BLLV. Gerade jetzt, da radikale Haltungen um sich greifen würden. "Wir Lehrer beobachten, wie die Gesellschaft gespalten wird", sagt Fleischmann. Das Gift des Antisemitismus breite sich auch im Schulalltag aus. Auch wenn vielen Schülern der antisemitische Charakter von Äußerungen nicht bewusst sei, würde dadurch der Boden für Hass und Ausgrenzung geschaffen.

Dem Wunsch des evangelischen Landesbischofs Heinrich Bedford-Strohm schlossen sich alle an. Als Vertreter des Toleranz-Bündnisses wünschte er der Website "viele Likes".

© SZ vom 17.07.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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